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Vielfalt beginnt im Kopf

Gastbeitrag | Banksy ist das Pseudonym eines britischen Streetart-Künstlers, der seit über zwanzig Jahren mit Schablonengraffiti auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam macht. Bisher ist es nicht gelungen, die wahre Identität festzustellen. Aber in der überwiegenden Anzahl aller Medienberichte wird davon ausgegangen, dass es sich um einen männlichen Künstler aus Großbritannien handelt.


Philipp Depiereux

Vor einiger Zeit tauchte bei Twitter dann dieser Tweet von @habichthorn auf: “Liebe ja, wie überall ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, Banksy sei ein Mann.”


In dem Moment, wo man diesen Tweet liest, fühlt man sich ertappt. Banksy ist in erster Linie einmal eine geschlechtslose Kunstfigur. Ob da in Wirklichkeit ein Mann, eine Frau oder ein ganzes Kollektiv dahinter steckt, ist für diese interessante psychologische Erkenntnis unerheblich. Warum wird automatisch angenommen, dass diese Kunstfigur männlich sei?


Ich selbst bin schon oft genug in die gleiche Denkfalle getappt. Auch in meinem Kopf sind Rollenklischees fest verankert, wie mein ChangeRider-Talk mit Magdalena Rogl, Head of Digital Channels bei Microsoft, gezeigt hat. Ich war damals wie heute ein großer Fan von Magdalena und ihrer Arbeit und wollte meiner Bewunderung Ausdruck verleihen, indem ich mit der Frage einstieg, wie sie ihre anspruchsvollen Aufgaben als Influencerin, Führungskraft bei Microsoft und Mutter von vier Kindern unter einen Hut bekäme. Sie hat mich in ihrer sehr offenen und freundlichen Art zurückgefragt, ob ich diesen Einstieg auch gewählt hätte, wenn mir ein Mann gegenüber gesessen hätte. Erwischt.


Für mich war das ein Augenöffner. Auch ich falle, wenn ich nicht aufpasse automatisch in alte Denkmuster zurück. Solange der Mann Karriere macht und die Frau sich um die Kinder kümmert, ist es nichts Besonderes. Wenn es umgekehrt läuft, muss man schon mal nachhaken. Natürlich hatte ich bei meiner Frage nur die besten aller Absichten. Aber gut gemeint ist nun mal nicht immer auch gut gemacht. Und so habe ich beschlossen, auch in meiner persönlichen Kommunikation noch viel mehr darauf zu achten, dass ich solche veralteten Rollendefinitionen nicht mehr bediene.


Wenn es um die Disruption von Geschäftsmodellen geht, fällt es mir persönlich überhaupt nicht schwer, Althergebrachtes zu hinterfragen und bestehende Strukturen bei Bedarf, ohne mit der Wimper zu zucken, achtkantig aus dem Fenster zu werfen. In diesem Kontext ist die Phrase: “Das haben wir schon immer so gemacht!” für mich ein rotes Tuch. Aber als Geschäftsführer eines Unternehmens, welches in der Führungsebene selbst zu 80 Prozent aus Männern besteht, muss ich selbstkritisch eingestehen, dass beim Thema Female Empowerment auch bei uns noch sehr viel Luft nach oben ist.


Unsere Wirklichkeit wird zu einem Großteil geprägt durch unsere Sprache. Und es ist natürlich eine Möglichkeit, genau an dieser Stelle anzusetzen. Ob es letztendlich die Gendersternchen sein werden, die dafür sorgen, dass man bei einer offiziell geschlechtslosen Kunstfigur nicht mehr reflexhaft einen Mann im Kopf hat, weiß ich nicht zu sagen. Die Entscheidung, mein aktuelles Buch “Werdet WELTMUTFÜHRER” komplett in der weiblichen Form zu schreiben, hat zumindest einige meiner männlichen Kollegen im ersten Moment irritiert. Aber “umparken im Kopf” bedeutet auch, dass man aus der eigenen Komfortzone herauskommen und die verwunderten Blicke aus der “Peergroup” ertragen muss. Zumindest auf mich selbst hatte diese Entscheidung eine spürbare Wirkung. Ich nehme mittlerweile nicht mehr automatisch an, dass ich es mit einem Mann zu tun habe, wenn bei mir “Termin mit CEO, CFO oder Head of Marketing” im Kalender steht.

Natürlich kann das höchstens der erste Schritt auf dem Weg zur Chancengleichheit sein. Allein die Erkenntnis, dass natürlich jede Position jederzeit von der jeweils kompetentesten Person - ungeachtet welchen Geschlechts - besetzt werden kann, führt nicht zwangsläufig dazu, dass dies in der Praxis auch wirklich so gelebt wird.


Vor einiger Zeit haben sich prominente Frauen unter anderem die von mir sehr geschätzten Janina Kugel und die Bestseller Autorin Verena Pausder zusammengeschlossen und gemeinsam mit dem SPIEGEL die Kampagne “Quotenfrauen” gestartet. Das Ziel war es Frauen in Spitzenpositionen sichtbar zu machen und dem Begriff der Quotenfrau so das Stigma zu nehmen. Diese Aktion war richtig und wichtig, wurde aber zum Teil grob missverstanden und hat deswegen einiges an Kritik hervorgerufen. Häufig wurde argumentiert, dass eine Quote die Leistung der Frauen herabsetzen würde.


Dabei wird vergessen, oder absichtlich übersehen, dass niemand gerne “Quotenfrau” ist. Alle Menschen möchten ihre Position natürlich aufgrund der eigenen Leistung einnehmen und nicht aufgrund von primären Geschlechtsmerkmalen. Trotzdem werden Frauen, die im Rahmen einer Quotenregelung in eine Führungsposition kommen, immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, dass das Leistungsprinzip bei ihrer Auswahl keine Rolle gespielt hat. Es wird unterstellt, dass sie weniger geleistet hätten als männliche Mitbewerber.


Das ist ein Trugschluss. Keine Quotenfrau wurde vom Kinderspielplatz weg gecastet, nach dem Motto: “Wir brauchen hier eine Frau im Vorstand, könnten Sie das vielleicht mal machen?” Ganz im Gegenteil. Jede Frau, die eine Führungsrolle übernimmt, hat sich gegen zahlreiche männliche Bewerber durchgesetzt, um überhaupt erst einmal für diese Position in Betracht gezogen zu werden. Und wenn sie die Position innehat, dann muss sie doppelt und dreifach so viel leisten, wie ihr männliches Pendant, um zweifelsfrei zu beweisen, dass sie diese Position eben zurecht ausfüllt.


Bitte nicht falsch verstehen. Ich bin kein Freund der Quote. In einer idealen Welt bekommt die Person den Job, die bestmöglich dafür qualifiziert ist. Aber in einer idealen Welt haben auch alle die gleichen Chancen, überhaupt in die Position zu kommen, sich für jeden Job bewerben zu können. Und davon sind wir noch meilenweit entfernt. In der Theorie vielleicht nicht. Da ist es natürlich möglich, dass ein ambitioniertes Mädchen alles dafür tut, um die nächste Elon Musk zu werden. Aber in der Praxis fehlt es an Vorbildern. Obwohl Angela Merkel seit fast 16 Jahren als Kanzlerin die deutsche Politik prägt, sind immer noch weniger als ein Drittel der Bundestagsabgeordneten weiblich. Die Hoffnung ist, dass sich das Vorbild Angela Merkel in der nächsten und übernächsten Generation von Politikern bemerkbar macht. Schon jetzt werden die weiblichen Stimmen lauter und vor allem junge Aktivistinnen bekommen bei wichtigen Fragen wie zum Beispiel der Klimapolitik endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Aber damit können wir uns nicht zufriedengeben.


Führungskräfte, Vorständ:innen, Entscheider:innen egal welchen Geschlechts müssen sich dafür einsetzen, dass wir auch in Zukunft immer mehr weibliche Vorbilder in exponierten Positionen antreffen. Das hat nicht nur idealistische Gründe. Je größer die Vielfalt am Arbeitsplatz ist, desto mehr Perspektiven gibt es in den Diskussionen, desto kreativer sind die Ideen und desto besser sind die Ergebnisse. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir produktivere, kreativere und insgesamt erfolgreichere Organisationen sehen werden, wenn es uns gelingt, nicht nur über demografische Vielfalt zu sprechen, sondern diese auch nachhaltig in den Unternehmensstrukturen zu verankern.

Bis es soweit ist, halte ich es mit diesem Zitat der verehrten Heidi Kabel: "Die Quote brauchen wir erst dann nicht mehr, wenn es mal eine völlig unqualifizierte Frau in den Vorstand geschafft hat."


Über den Autor:

Als Gründer und Geschäftsführer der Innovationsberatung und Startup- Schmiede etventure treibt Philipp Depiereux (43) seit über 10 Jahren den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft voran – mit neuen Denkweisen und neuen Methoden. Außerdem ist Depiereux Initiator und Moderator des Non-Profit-Formats ChangeRider. In seinem Video- und Podcastformat erzählen Menschen aus Politik, Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft, wie sie den Wandel gestalten, die digitale Transformation vorantreiben sowie Land und Menschen nach vorne bringen. Mit seinem zweiten Buch „Werdet WELTMUTFÜHRER“ (2020) schafft Depiereux eine Blaupause für die Digitalisierung und Transformation der Unternehmen. Dabei aber nicht technisch, sondern indem er Mut, Mindset, Diversity, Leadership und weitere Themen ins Zentrum rückt, inklusive vieler Anekdoten aus den unzähligen Gesprächen mit Unternehmenslenkern, erfolgreiche Transformationsbeispiele sowie Scheitergeschichten.

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