Annahita Esmailzadeh

vor 2 Tagen

7 Min. Lesedauer

Warum Gleichberechtigung nicht ohne Männer funktioniert

Gastbeitrag | Obwohl Deutschland in puncto Gleichberechtigung in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht hat, liegen wir nach wie vor in zahlreichen Bereichen weit hinter vielen europäischen Ländern zurück. Um endlich eine reelle Gleichberechtigung zu erreichen, braucht man weiterhin den Einsatz engagierter Frauen – und Männer. Warum uns pauschales Männer-Bashing nicht weiterbringt und wie wir mehr Männer als Allies für die Gleichberechtigung gewinnen können, erklärt uns die Microsoft-Managerin Annahita Esmailzadeh in ihrem Gastbeitrag.

Warum Gleichberechtigung nicht ohne Männer funktioniert
Warum Gleichberechtigung nicht ohne Männer funktioniert

Meine Eltern kamen Mitte der 80er Jahre aus dem Iran nach Deutschland, um sich hier ein neues Leben in Freiheit aufzubauen. Damit hatte ich das Privileg, in einem Land aufzuwachsen, in dem ich als Frau selbstbestimmt über mein eigenes Leben entscheiden kann. Für mich ist dies nicht selbstverständlich, denn Tag für Tag riskieren Iranerinnen und Iraner im Widerstand gegen das dortige Regime ihr Leben, um ebenjene Freiheit zu erreichen. Vergleicht man die Lage der Frauen im Iran mit der in Deutschland, findet man hierzulande eine sehr privilegierte Ausgangssituation vor. Eine Situation, die allerdings auch hierzulande lange nicht selbstverständlich war.

Bis 1977 brauchten Frauen in der Bundesrepublik die Einwilligung ihrer Ehemänner, um arbeiten zu dürfen. Erst seit 1994 dürfen Frauen bei der Eheschließung gleichberechtigt ihren Nachnamen verwenden und erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Keine Frage: Die Frauenbewegung hat viel erreicht. Frauen in Deutschland sind Männern aus rechtlicher Sicht heutzutage in allen Bereichen gleichgestellt. Doch obwohl Deutschland in puncto Gleichberechtigung in den vergangenen Jahren viele Fortschritte gemacht hat, liegen wir nach wie vor in zahlreichen Bereichen weit hinter vielen europäischen Ländern zurück.

Die Situation sieht auch heute noch für Frauen in deutschen Führungsetagen nicht rosig aus

Frauen sind in Führungspositionen sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft nach wie vor unterrepräsentiert. Noch 2017 gab es mehr Vorstandsmitglieder namens Thomas und Michael als Frauen in deutschen Vorständen. Dies änderte sich erst im Jahre 2019 – drei Jahre nach Einführung der Frauenquote. Doch die Situation sieht auch heute noch für Frauen in deutschen Führungsetagen nicht rosig aus:

Das Problem wird wohl noch lange andauern, denn bis heute übernehmen Frauen in Deutschland einen disproportionalen Anteil der unbezahlten Care-Arbeit und treten dafür im Beruf zurück – mit spürbaren negativen Konsequenzen für ihre Karrieren sowie ihre spätere Rente. Mindestens jede dritte Frau in Deutschland wird im Durchschnitt zudem einmal in ihrem Leben Opfer von sexualisierter und/oder physischer Gewalt. Insgesamt sind 80,5 Prozent der von Partnerschaftsgewalt betroffenen Menschen weiblich.

Ebenso werden im Rahmen von klinischen Studien Medikamente häufiger an männlichen Probanden getestet. Das Ergebnis ist, dass basierend auf diesen Tests geschlechterübergreifend die gleiche Dosis für Männer und Frauen festgesetzt wird. Dies hat teilweise sogar lebensgefährliche Nebenwirkungen für Frauen, da Medikamente, je nach Geschlecht, eine unterschiedliche Wirkung haben können: So führt etwa das Antidepressivum Fluvoxamin in der gleichen Dosis bei Frauen zu einem bis 100 Prozent höheren Blutspiegel als bei Männern und damit auch zu einer wesentlich höheren Gefahr einer Überdosierung. Auch Herzinfarkte werden bei Frauen oft zu spät erkannt, weil die gemeinhin bekannte Symptombeschreibung überwiegend auf Männer anwendbar ist und die spezifischen Herzinfarktsymptome bei Frauen damit oft übersehen werden. (Winkel, Bo G. et al.: Gender differences in sudden cardiac death in the young-a nationwide study (BMC Cardiovascular Disorders, 2017)

Ich könnte jetzt noch lange weitermachen, aber ich denke, mein Punkt ist deutlich geworden. Möchte man diese Herausforderungen angehen, um endlich eine reelle Gleichberechtigung zu erreichen, braucht man weiterhin den Einsatz engagierter Frauen – und Männer. Leider scheint dies allerdings noch nicht überall angekommen zu sein. Ich war irritiert, als Katharina Wolff von der negativen Resonanz erzählte, nachdem sie sich dafür entschieden hatte, erstmals einen Mann auf das STRIVE-Cover zu setzen. Einige Frauen kündigten in der Konsequenz sogar ihr Abo.

Dies erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich einst auf Clubhouse hatte. Ich betrat eher zufällig einen virtuellen Raum, in dem gerade leidenschaftlich über Männer geschimpft und über toxische männliche Führungskräfte hergezogen wurde. Als die beiden Hosts mich entdeckten, wurde ich umgehend auf die virtuelle Clubhouse-Bühne eingeladen – und lieferte mir ein grobes Foul. Ich hatte die Frechheit zu behaupten, dass schlechte oder gute Führung aus meiner Sicht absolut geschlechtsunabhängig ist. Meine Aussagen stießen auf blanke Entrüstung bei den Damen und man verabschiedete sich umgehend wieder von mir.

Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass sich Männer in der Regel aufgrund des Status quo nicht glücklich ins Fäustchen lachen. Im Gegenteil.

Dieses Erlebnis steht für mich leider sinnbildlich für ein pauschales Männer-Bashing, das ich nicht selten beobachte. Die zugrundeliegende Frustration in Anbetracht der nach wie vor vorherrschenden Herausforderungen für Frauen ist für mich nachvollziehbar. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass sich Männer in der Regel aufgrund des Status quo nicht glücklich ins Fäustchen lachen. Im Gegenteil.

Genauso wenig sollten wir vergessen, dass wir den Weg Richtung gelebter Gleichberechtigung nur gemeinsam erfolgreich beschreiten können. Mit Vorgesetzten, die Frauen fördern und befördern und ihnen Türen aufmachen, die ihnen sonst verschlossen bleiben würden. Mit progressiven Vätern, die gleichberechtigt an der Erziehung ihrer Kinder partizipieren und partnerschaftlich die Care-Arbeit aufteilen. Mit männlichen Allies, die nicht wegsehen und einen aktiven Beitrag zu Chancengerechtigkeit leisten. Gelebte Gleichberechtigung schaffen wir nur miteinander. Nicht gegeneinander.

Über die Autorin:

Seit 2021 leitet Annahita Esmailzadeh den Bereich Customer Success Account Management für die Reise- und Transportindustrie sowie für den Energie- und Versorgungssektor bei Microsoft. Vor ihrer aktuellen Funktion verantwortete die studierte Wirtschaftsinformatikerin als Head of Innovation den Innovationsbereich für das SAP Labs in München. Als eine der bedeutendsten Business Influencerinnen im DACH-Raum, setzt sie ihre Reichweite auf den sozialen Netzwerken und in den Medien für mehr Diversität in der Wirtschaft sowie moderne Kultur- und Führungsansätze in der Arbeitswelt ein.

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