Dabei haben Studien längst bewiesen, dass genau das für Frauen lebensnotwendig ist. Dass ihre hormonellen, genetischen, anatomischen und immunologischen Unterschiede mitgedacht werden müssen. Chemotherapien beispielsweise wirken an unterschiedlichen Zyklustagen unterschiedlich stark, wie eine Studie erst im vergangenen Jahr (!) herausfand.
Auch in klinischen Studien sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Laut einer Analyse der FDA (2015) waren in kardiologischen Studien nur rund 34 Prozent der Teilnehmenden weiblich. Die Folge: Symptome bei Frauen, insbesondere bei Herz-Kreislauf-, Schmerz- oder Autoimmunerkrankungen, weichen vom „Standard“ ab und werden nicht erkannt.
Besonders dramatisch zeigt sich das bei Erkrankungen wie:
- Herzinfarkt: Frauen erhalten im Notfall seltener EKGs oder Koronarangiografien. Eine Studie der American Heart Association (2021) zeigte, dass Frauen mit Herzinfarkt eine um 37 Prozent höhere Sterblichkeit haben, wenn sie von männlichen Ärzten behandelt werden.
- Endometriose: Betroffene warten in Deutschland im Schnitt sieben bis zehn Jahre auf eine Diagnose.
- Autoimmunerkrankungen wie Lupus oder Hashimoto-Thyreoiditis werden häufig zunächst als psychische Erkrankung fehlgedeutet.
Was tun, wenn ich mich nicht ernst genommen fühle?
Wer als Patientin oder Patient den Eindruck hat, nicht gehört oder ernst genommen zu werden, dem empfehle ich dranzubleiben. Und zu verstehen, dass wir Ärzte und Ärztinnen von Feedback profitieren. Häufig hilft es zum Beispiel enorm, wenn Sie Symptome dokumentieren, etwa mit Schmerz-Tagebüchern, Zyklusdaten und Fotos. Alles, was Beschwerden objektiviert, kann aufschlussreich sein. Dann würde ich erneut das Gespräch mit den Behandelnden suchen und im Zweifelsfall eine Zweitmeinung einholen.
Was im deutschen Gesundheitssystem leider ebenfalls eine Realität ist: Viele Mediziner und Medizinerinnen sind überlastet. In unserer ökonomisch fehlincentivierten Struktur ist die dringend notwendige Zeit für ausführliche Gespräche mit Patient:innen deswegen oft nicht vorhanden. Auch deshalb bleiben wir trotz unseres hochspezialisierten Gesundheitswesens hinter unseren Möglichkeiten zurück. Medical Gaslighting zu erkennen, birgt die Möglichkeit, uns als Gesellschaft damit auseinanderzusetzen, besser zu werden und es stellt auch Fragen nach den überstrapazierten Arbeitsbedingungen von medizinischem Personal.
Medical Gaslighting ist kein individuelles Problem „empfindlicher Patientinnen“, sondern ein systemisches Defizit einer Medizin, die auf Neutralität ausgelegt ist, aber männlich geprägt wurde. Es ist Zeit, zuzuhören. Und Frauen endlich als Norm zu begreifen – nicht als Ausnahme.