Prof. Fabiola Gerpott

vor 7 Tagen

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Künstliche Intelligenz, echte Entlastung: Wo KI für Führungskräfte sinnvoll ist

Alle reden über KI und dass sich damit so viel Zeit sparen ließe. Doch wo konkret und mit welchem Tool eigentlich? Leadership-Professorin Fabiola Gerpott macht in ihrem STRIVE-Gastbeitrag greifbare Vorschläge für Führungskräfte in drei Kernbereichen.

Künstliche Intelligenz, echte Entlastung: Wo KI für Führungskräfte sinnvoll ist
"Die wahre Kunst ist nicht, mit KI Zeit zu sparen – sondern mit der gewonnenen Zeit klüger zu führen", sagt Prof. Fabiola Gerpott | Foto: WHU

1. Aufgabenbezogene Führung

Überbuchte Kalender, E-Mail-Rückfragen zu Prozessen, doppelt gepflegte Projektpläne in fünf verschiedenen Tools: Viele Führungskräfte verbringen einen Großteil ihres Arbeitstags mit kleinteiliger Abstimmung, fragmentierter Kommunikation und endlosen Meetings. Genau hier kann KI als leise, aber wirkungsvolle Assistentin entlasten.

 

Laut dem aktuellen Work Trend Index-Report von Microsoft und LinkedIn sparen Power-User von KI im Schnitt über 30 Minuten pro Tag – durch Automatisierung, aber auch durch mentale Entlastung. Wer den Tag mit dem Gedanken beginnt: „Was kann heute KI für mich übernehmen?“, schafft sich Raum für Fokus, Reflexion und strategische Entscheidungen.

 

Doch Führungskräfte können nicht nur in der eigenen Arbeit profitieren. In Zukunft wird KI auch Teile der aufgabenbezogenen Mitarbeiterführung übernehmen – nicht als autoritärer „Bot Boss“, sondern durch subtile Unterstützung. Ähnlich wie eine Smartwatch an das Aufstehen erinnert, kann KI nudgebasiert Hinweise für Mitarbeitende geben, wie Arbeit effizienter gestaltet werden kann: etwa durch individuelle Empfehlungen zu Konzentrationsphasen, Pausen oder Task-Priorisierung. Diese Zukunft beginnt jetzt – wenn man sie gestaltet.

 

 

Konkreter Umsetzungsimpuls: Es lohnt sich, ein Überblick über die im eigenen Unternehmen verfügbaren KI-Tools und deren Einsatzmöglichkeiten im Führungsalltag zu gewinnen. So erstellt beispielsweise der AI Companion in Zoom automatisiert Meeting-Protokolle und extrahiert nächste Schritte und Verantwortlichkeiten.

 

Microsoft Copilot kann direkt in Outlook bei der Terminfindung über mehrere Kalender hinweg unterstützen, Anfragen priorisieren, zeitliche Engpässe erkennen und Kommunikationsströme in Teams-Channels bündeln. 

2. Beziehungsbezogene Führung 

Je mehr Arbeit digital – und zunehmend mit KI – stattfindet, desto eher laufen wir Gefahr, andere zu „objektifizieren“. Menschliche Nuancen gehen verloren, echte Verbundenheit wird zur Herausforderung. Gleichzeitig kann genau hier KI unterstützen: Bereits heute analysieren Tools Kommunikationsmuster und erkennen, wer im Team sich zurückzieht, wer überlastet wirkt oder Anschluss sucht – und geben Führungskräften rechtzeitig Impulse.

 

Das klingt futuristisch? KI-gestützte Anwendungen wie Woebot in der psychologischen Betreuung oder digitale Sport-Coaches zeigen, dass KI-Tools Nähe herstellen können und im Blindtest oft nicht mehr von menschlichen Gesprächspartnern unterschieden werden. Entscheidend ist: KI-gestützte Führung darf nicht weniger Beziehung bedeuten. Stattdessen gilt mehr denn je: Man muss Menschen mögen. Führungskräfte dürfen Raum schaffen für echte Begegnung und das, was der Soziologe Hartmut Rosa als Resonanz beschreibt.

 

Konkreter Umsetzungsimpuls: Wer als Führungskraft schwierige Mitarbeitendengespräche führen muss – etwa zu Leistungsfeedback oder Konflikten – kann diese Situationen zunächst mit Chatbots wie ChatGPT simulieren und unterschiedliche Gesprächsverläufe testen.

 

Darüber hinaus bieten Tools wie Yoodli oder CoachAI fundierte Rückmeldungen zur eigenen Rhetorik, Stimme und Wirkung – und trainieren alternative Gesprächsstrategien. Der Unterschied zwischen Empathie (Einfühlung) und Ekpathie (gesunde Abgrenzung) ist zentral für gute Führung. KI kann helfen, beides zu balancieren und hat dabei einen klaren Vorteil: Sie urteilt nicht. Das macht sie zum idealen Übungspartner – nicht nur für Gespräche, sondern auch für Selbstreflexion.

3. Veränderungsbezogene Führung 

Wie formuliert man eine Vision, die motiviert? KI-gestützte Sprachgeneratoren können helfen, Ideen in klare Worte zu fassen, Rhetorik zu verfeinern oder Wirkungen zu testen. Führungskräfte können sich damit rhetorisch stärken, ihre Storys testen oder Change-Kommunikation auf Zielgruppen anpassen – alles auf Basis der neusten Führungsforschung.

 

Die angestrebte Veränderung kann jedoch auch die Einführung von KI selbst sein. Ein Extrem-Beispiel liefert das Unternehmen Shopify. Im Rahmen einer konsequenten „AI-first“-Strategie sorgte CEO Tobi Lütke kürzlich für Aufmerksamkeit: In einem internen Memo erklärte er, dass der effektive Einsatz von KI künftig eine grundlegende Erwartung an alle sei. Bevor neue Teammitglieder eingestellt werden dürfen, müssen Führungskräfte nachweisen, warum die betreffende Aufgabe nicht von KI übernommen werden kann. Andere Tech-Unternehmen wie Spotify verfolgen ähnliche Ansätze, etwa durch „Bring Your Own AI“-Modelle, die Mitarbeitenden ermöglichen, eigene KI-Tools zu integrieren – unter klar definierten ethischen und sicherheitstechnischen Standards. Oder „Meeting-light Days“, an denen Teams mithilfe von KI ihre Kalender entlasten, asynchron arbeiten und Fokuszeiten priorisieren. 

 

Konkreter Umsetzungsimpuls: Wenn durch den klugen Einsatz von KI Zeit gespart wird, besteht die Gefahr, diese sofort wieder mit neuen Aufgaben zu füllen. Genau dieses Muster kennen wir aus früheren Automatisierungswellen. Deshalb gilt: KI-gestützte Veränderung braucht nicht nur Technik, sondern auch Haltung. Es lohnt sich, bewusst Zeit in Reflexion und Lektüre zu investieren – etwa zur psychologischen Wirkung von KI-Einführungen oder zur Gestaltung menschzentrierter Transformationsprozesse. So kann man sich einen klaren Karrierevorteil sichern: KI kann Muster, Sie können Mensch.

 



| Foto: StudiolineZur Person

Prof. Dr. Fabiola H. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Personalführung an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Sie hat in Betriebswirtschaftslehre und Organisationspsychologie in Bremen und Amsterdam promoviert und war zeitgleich bei Mercedes-Benz im Bereich intergenerationale Qualifizierung und Führungskräfteentwicklung beschäftigt.

 

Im Februar 2025 erschien ihr gemeinsam mit Prof. Dr. Stephan A. Jansen verfasstes Buch "Die Arbeit: Wie wir sie mit KI neu erfinden" bei brand eins books im Rowohlt Verlag

 

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