Burnout: So meisterte Gründer Ali Mahlodji die größte Krise seines Lebens
Was er erlebt hat, reicht für drei Leben: Als Kind floh er mit seinen Eltern aus dem Iran nach Österreich. Er trainierte sich selbst das Stottern ab, schmiss die Schule, schaffte es auf die Konzernkarriereleiter. Und dann warf ihn ein schweres Burn-out aus der Bahn. Heute ist Ali Mahlodji (41) nicht nur ein bekannter Gründer, sondern auch ein Visionär. Mit seinen Firmen whatchado und futureOne bereitet er junge Menschen auf den Arbeitsmarkt der Zukunft vor. Wie er es immer wieder schafft, Krisen zu überwinden – und warum er seine neueste Idee nicht verkauft, sondern einfach verschenkt.
Fotos: Martin Jordan
Ali, du hattest als junger Mann einen Zusammenbruch, da erschien von außen alles perfekt: Konzernkarriere, Dienstwagen, Aktienoptionen.
Genau, ich war Manager in einem Tech-Konzern, hatte die Haare immer mit Gel aufgestellt, trug einen schwarzen Anzug. Ich dachte, ich bin der Coolste. Irgendwie hatte ich mich aber selbst komplett verloren. Jeden Abend, wenn ich nach Hause kam, weinte ich. Ich sagte mir: Das ist eben der Preis des Erfolgs. Dann starb dein Vater mit 53 Jahren. Er hatte einen Herzklappenfehler, von dem wir nichts wussten. Eines Nachts wurde er von der Rettung abgeholt, er ist noch im Krankenwagen gestorben. Ich konnte mich nicht einmal verabschieden. Ich bin dann vom Krankenhaus ins Büro gefahren und habe keine Luft mehr bekommen.
Hast du dir nicht erst mal freigenommen?
Doch, aber es wurde nicht besser. Wenn ich meine E-Mails öffnete: Schweißausbrüche, Rückenschmerzen, ich konnte kaum noch aufrecht gehen. Wenn ich ins Büro fahren wollte, bin ich in den Aufzug gestiegen und dachte, die Wände fallen über mir zusammen. Ich wollte schreien. Meine Kolleg:innen meinten, ich bräuchte ein bisschen Entspannung. „Geh auf Kur, fahr mal ein Wochenende in die Therme, das wird schon“, sagten sie.
Das Burn-out war das Beste, was mir passieren konnte. Ich musste zerbrechen, um Neues zu wagen. Sonst würde ich mich heute immerzu fragen: was wäre, wenn?
Aber du brauchtest Hilfe, keinen Saunaabend.
Mein Arzt hat eine schwere Depression diagnostiziert. Ich bekam Ritalin und Serotonin-Aufnahmehemmer. Die Medikamente waren für den Anfang gut, damit ich mir nichts antat. Aber ich spürte: Allein so wird es nicht besser. Ich hatte keine Empathie mehr, meine Beziehung ging in die Brüche. Es war die Hölle, mein Leben eine Katastrophe, ich hatte Suizidgedanken.
Was hat dich gerettet?
Eine Gesprächstherapie. Mein Therapeut hat mich mit meinen Lebensträumen konfrontiert, ich sollte eine Liste erstellen. Da lachte ich ihn aus. Es hat mich Wochen und viele Tränen gekostet, bis ich mich traute, niederzuschreiben, was ich wirklich will. Letztlich habe ich aber doch aufgeschrieben: Ich möchte etwas für Kinder machen. Ich möchte mein eigenes Ding gründen, einen Marathon laufen. Ich möchte der größte Lehrer der Welt werden, der sowohl Kindern als auch Erwachsenen etwas beibringen kann.
Das sind schöne, große Lebensträume…
Ich las sie meinem Therapeuten vor, und er sagte: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ Er hat etwas gemacht, das sich Embodyment nennt. Diese Methode nutze ich heute auch im Mentoring. Damals verstand ich nicht, was er von mir wollte. Ich sollte die Liste so lange vorlesen, bis er mir glauben konnte. Irgendwann wurde ich sauer, spürte meinen ganzen Körper. Plötzlich dachte ich: Ja, klar, ich werde das machen, und schrie meine Wünsche förmlich aus mir heraus! Der Therapeut sagte: „Wir sind fertig. Gehen Sie und erzählen das den Menschen.“
Was hast du mit diesem Rat angefangen?
Innerhalb von wenigen Monaten bin ich Lehrer für Mediendesign am Gymnasium geworden. Und kurze Zeit später habe ich meinen Verein whatchado gegründet. Aus ihm wurde schließlich ein Unternehmen. Alles nahm seinen Lauf.
Rückblickend sagst du, das Burn-out war das Beste, was dir passieren konnte.
Ich musste zerbrechen, um Neues zu wagen. Sonst würde ich mich heute immer fragen: was wäre, wenn? Was ist neben deiner Bestimmung, die du gefunden hast, die wichtigste Erkenntnis? Niemand muss sich für ein Burn-out schämen. So etwas kann passieren. So, wie sich jemand die Hand bricht und sechs Wochen lang einen Gips trägt. Da kommen die Leute auch und helfen dir. Sie schauen, wie du deine Hand gut lagern kannst, damit alles wieder heilt. Bei einem Burn-out muss man zuhören und darf die Person nicht zum Opfer abstempeln. Und man sollte unbedingt etwas aus dem Burn-out lernen. Wo habe ich mich dermaßen reinreiten lassen, dass das passieren konnte?

4 TIPPS VON GRÜNDER ALI MAHLODJI
1. DEINE SCHWÄCHE IST NICHT DEIN LIMIT
Als Kind habe ich zehn Jahre lang stark gestottert – und mache das auch heute noch. Ich habe gelernt, damit umzugehen: mit der Erweiterung meines Wortschatzes. Wenn ich merke, ich bekomme ein Wort nicht raus, überlege ich mir drei andere Satzendungen.
2. EINE KRISE IST IMMER EINE CHANCE
Ich habe die Schule geschmissen und alles Mögliche gemacht, um über die Runden zu kommen. Dann erkannte ich: Wenn du alle Menschen enttäuscht hast, bist du frei. Niemand hat mehr Erwartungen an dich. Also begann ich Dinge, die mich wirklich interessierten, etwa eine Ausbildung in Softwareentwicklung. Auf einmal war ich kein schlechter Schüler mehr.
3. SUCHE DIR VORBILDER
Wenn du eine Person hast, die an dich glaubt, schaffst du alles. Wenn du das nicht hast, brauchst du ein Vorbild. Ich bin Fan von Michael Jordan. Als junger Ausländer nachts durch Gegenden in Wien zu laufen, in denen auch Rechte leben, ist gefährlich. Ich hatte Angst. Dann fragte ich mich: Wie würde Michael jetzt nach Hause gehen? Der würde sich nicht unterkriegen lassen. Wenn nötig, würde er sich verteidigen. Ich habe mir sein Mindset ausgeborgt.
4. HÖR IN DICH REIN
Weil ich nach meinem Schulabbruch so abgekapselt vom normalen Leben war, hatte ich massig Zeit für mich. Ich war viel in der Stille. Wenn du es da schaffst, in dich reinzuhören – und nicht nur auf die negativen Gedanken zu achten –, dann weißt du meistens genau, was zu tun ist.
Die Zahl der mentalen Erkrankungen steigt gerade rasant an. Woran liegt das?
Bei den Betroffenen, die ich kenne, war es so, dass sie die Signale nicht frühzeitig erkannt haben. Irgendwann arbeiten sie gegen ihr Wertesystem und machen Dinge, die sie als sinnlos ansehen. Dann zerbrechen sie. Das haben wir während Corona gesehen. Die Leute saßen im Homeoffice und realisierten, dass sie sich nur einreden, wie wichtig ihre Aufgabe ist.
Wird der Begriff Burn-out inzwischen zu inflationär gebraucht, die Diagnose zu schnell gestellt? Ich glaube, dass jede Person, die das Gefühl hat, dass da etwas nicht stimmt, respektiert werden muss. Es hat noch nie geholfen, jemandem zu sagen: Es gibt Menschen, denen geht es viel schlimmer als dir. Jede Depression und jeder Angstzustand ist anzusehen, aber natürlich darf man die Dinge nicht überinterpretieren. Wenn jemand einen stressigen Tag hat und mal weint, schreit, traurig ist, gehört das dazu. Die meisten Menschen lernen jetzt erst, was es bedeutet, Emotionen zuzulassen. Und wenn sie traurig sind, dann meinen sie, es ist eine Depression. Aber die baut sich länger auf und ist auch nicht mit einmal weinen vorbei.
Heute ist es kein Stigma mehr, zu sagen: Mir geht es mental nicht gut.
Ich erlebe gerade Männer, die dieses Bild vom Macher leben. Sie erzählen mir: Ich habe jetzt – mit 50 Jahren – gelernt, dass es okay ist, zu sagen, dass es mir schlechtgeht. Niemand verurteilt mich, im Gegenteil: Die Leute kümmern sich. Es ist das Zeitalter, in dem die Menschen eine neue Verletzlichkeit lernen. Wichtig ist, dass man jetzt nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholt und immer, wenn es einem schlechtgeht, einfach sagt: Ach, wird schon wieder.
Wie stellst du sicher, dass du selbst nie wieder an diesen Punkt kommst?
Das kann ich nicht garantieren. Ich versuche, keine Erwartungen an mich zu haben. Zumindest weniger als damals. Und ich möchte mehr Zeit für mich in mein Leben holen. Neulich erst entdeckte ich, wie glücklich es mich macht, im Wald zu sein.
Wirst du mit dem Alter gelassener?
Bis vor Kurzem war ich vor jedem meiner Auftritte nervös. Die ersten Minuten waren eine Katastrophe. Das hat aufgehört, als ich 40 wurde. Ich bin jetzt gelassener als je zuvor. Studien zeigen, dass bei den echt guten Unternehmen die Gründer:innen im Schnitt 42 Jahre alt sind. Wenn du das verinnerlichst und es über das Narrativ legst, dass du mit 50 Jahren zum alten Eisen gehörst, dann verstehst du, warum so viele ausbrennen. Alle denken, sie müssten zwischen 25 und 40 ihr großes Ding machen.
Als Kind bist du mit deiner Familie aus dem Iran geflüchtet. Wie hat dich das geprägt?
Zuerst waren wir in einem Flüchtlingsheim untergebracht, dann bekamen wir einen Asylbescheid und sind nach Wien gezogen. Mein Vater war im Iran Manager in einem Konzern. Er ist an der Flucht zerbrochen, wurde psychisch schwer krank. Die Ehe meiner Eltern überlebte das nicht. Am Tag der Trennung begannen mein Bruder und ich, zu stottern. Es brauchte zehn Jahre, bis ich lernte, damit umzugehen.
Heute stotterst du nicht mehr, oder?
Oh doch, aber ich habe eine Strategie entwickelt. Wenn ich merke, ich bekomme ein Wort nicht raus, überlege ich mir während des Sprechens drei andere Satzendungen. Leute sagen mir, ich wäre eloquent. Die Wahrheit ist: Das war die einzige Chance, um nicht im Stottern festzustecken.

2012 hast du whatchado gegründet, eine Karriereplattform für junge Menschen. Dreieinhalb Jahre später hast du den CEO-Titel abgegeben. Warum?
Ich bin einer, der die Dinge auf die Beine und zu einer Flughöhe bringt, aber ich bin kein Verwalter. Loszulassen ist viel schmerzhafter, als man denkt. Heute habe ich mit futureOne ein Unternehmen, mit dem ich mit den größten Brands der Welt und NGOs zusammenarbeite und ihnen beibringe, wie sie mit der Zukunft umgehen. Mein Ziel ist es, Menschen dahin zu entwickeln, dass sie selbstverantwortlich die Zukunft gestalten können.
Gerade haben wir mit futureOne Heroes das weltweit erste Programm für professionelle Persönlichkeitsentwicklung anhand des inneren Rufs gelauncht. Wäre ich heute noch CEO von whatchado, wäre das alles nicht möglich gewesen.
Wer als Außenseiter:in darum gekämpft hat, wahrgenommen zu werden, hat alle Skills, die die Businesswelt jetzt braucht.
Kurz vor dem Launch von futureOne Heroes hast du eine Entscheidung getroffen: Das Programm wird nicht wie geplant an die Kund:innen verkauft, sondern ist gratis nutzbar. Warum?
Im Sommer wurde mein Leben wieder einmal durcheinandergeworfen. Bei einer Routineuntersuchung wurde ein Knoten in meinem Hals gefunden. Inzwischen weiß ich: Alles ist gut, es ist nicht bösartig. Aber die Zeit bis zu dieser Diagnose war hart. Ich habe eine kleine Tochter und habe mich plötzlich gefragt: Wird sie ohne ihren Vater aufwachsen?
Du hast dir erneut die Sinnfrage gestellt.
Ja, und ich habe mich gefragt: Wann hätte ich selbst ein Programm wie die futureOne Heroes am dringendsten gebraucht? Die Antwort ist: zu einem Zeitpunkt in meinem Leben, an dem ich nie und nimmer das Geld dafür gehabt hätte. Ich möchte aber, dass jeder Mensch auf dieser Welt die Chance bekommt, zu erkennen, wo sein oder ihr Potenzial liegt. Unter dieser Prämisse war die Entscheidung, das Programm kostenfrei zugänglich zu machen, das einzig Richtige.
Was glaubst du: Welche Fähigkeiten werden die Menschen in der Zukunft brauchen?
Es sind die Außenseiter:innen-Skills. Wer einmal darum kämpfen musste, wahrgenommen zu werden, hat alles, was in den nächsten zehn Jahren gebraucht wird, um diese Gesellschaft und die Businesswelt zusammenzuhalten. Aber alle die, die immer auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, zerbrechen jetzt.

Ali Mahlodji zu Gast im neuen STRIVE-Podcast
Auf mentaler Achterbahnfahrt: Als Kind stotterte er, schmiss die Schule, schaffte es an die Universität und auf die Konzernkarriereleiter – und dann warf ihn ein Burn-out aus der Bahn. Wie er es geschafft hat, immer wieder neue Krisen zu überwinden: Darüber spricht der Gründer und Visionär Ali Mahlodji mit STRIVE-Herausgeberin Katharina Wolff in unserem neuen Podcast „STRIVE up your Life“. Zu hören ab dem 7. Dezember hier.
