STRIVE Magazine
1 Min. Lesedauer

„Wir brauchen mehr weibliche Gründerinnen und vielfältigere Startup-Strukturen.“

Nach prägenden Jahren in der Medien- und Kreativbranche verantwortete Jeannine Koch als Direktorin der re:publica Berlin Europas größte Digitalkonferenz und internationale Showcases. Heute steht sie als Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin von medianet berlinbrandenburg an der Spitze eines Netzwerks, das Branchen, Politik und Wissenschaft verbindet. Im Interview spricht sie darüber, wie Berlin weltweit als Games-Hotspot etabliert werden soll, warum Diversität und Sichtbarkeit für Gründer:innen entscheidend sind, welche Themen aus ihrer Sicht in der Arbeitswelt noch zu wenig Beachtung finden und worum es beim diesjährigen People & Culture Festival geht. Außerdem verrät sie, was sie antreibt, wie sie Balance in einem fordernden Alltag findet und warum echte Begegnungen für sie nur jenseits von Smalltalk stattfinden.

„Wir brauchen mehr weibliche Gründerinnen und vielfältigere Startup-Strukturen.“
Jeannine Koch, Vorstandvorsitzende und CEO von medianet berlinbrandenburg e. V. | Foto: Emely Timm, Die Hoffotografen

Liebe Jeannine, stell Dich doch mal kurz vor: Wie sah Dein Weg bisher aus und wie bist Du an den Punkt gelangt, an dem Du heute stehst?

Ich bin in Ost-Berlin geboren und vor dem Mauerfall mit meinen Eltern ausgereist. Niemand aus meiner Familie kannte sich in dem neuen System in West-Berlin aus und so bin ich recht schnell erwachsen geworden. Ich konnte schon in jungen Jahren viele spannende Erfahrungen in der Medienbranche sammeln. Wann immer es eine Möglichkeit gab, ein interessantes Praktikum oder einen Werkstudentinnen-Job anzunehmen: Ich war sofort dabei! Ob bei „m2m“ (die späteren Gründerinnen von FluxFm), Universal Music, Telekom oder als erste Weltreisebloggerin für JTI im Jahr 2004, noch lange vor Instagram etc., die Medien- und Kreativwelt hat mich schon immer fasziniert. 2008 bin ich mit einem Stipendium für ein Jahr nach Sydney gegangen und studierte „International Communications“. Diese Erfahrungen gaben mir viel Inspiration für mein Studium in Berlin, bei dem ich mich intensiv mit der Digitalbranche beschäftigt habe.*

Was waren Deine wichtigsten beruflichen Stationen?

Bei der Internationalen Gartenausstellung Berlin hatte ich das Glück, sechs Jahre als Marketing- und Kommunikationsleiterin ein internationales Stadtentwicklungsprojekt kommunikativ aufzubauen und mit meinem Team umzusetzen. In dieser Zeit machte ich auch meine Ausbildung zum systemischen Business Coach. Nach Projektende wechselte ich als Direktorin zur re:publica Berlin und verantwortete Europas größte Digitalkonferenz, Projekte für das Auswärtige Amt und die internationalen re:publica-Showcases in Europa, Afrika und USA. Dann kam die Pandemie und ich wurde gefragt, ob ich den Netzwerkverein für Creative Technologies, medianet berlinbrandenburg, als Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin übernehmen möchte. Seitdem entwickle ich zahlreiche Formate wie das People & Culture Festival und das Female Inverstors´ Dinner, um den Unternehmen der Hauptstadtregion Sichtbarkeit und Wissenstransfer zu ermöglichen. Darüber hinaus stehe ich im engen Austausch mit der Politik, um die Belange der Wirtschaft zu vermitteln und verknüpfe Unternehmende auf Delegationsreisen mit internationalen Playern. Zudem bin ich eine von zwei Gesellschafterinnen für den MediaTech Hub Potsdam, einen von 25 Digital Hubs der Bundesregierung.

Woran arbeitest Du gerade?

Wir arbeiten gerade an den letzten Vorbereitungen für das People & Culture Festival, das am 9. Oktober im Berliner Kino Colosseum stattfindet. Das Programm auf sieben Bühnen steht, rund 100 hochkarätige Sprecherinnen und spannende Aussteller sind dabei.* Ein anderes Projekt, das im kommenden Jahr seine Eröffnung feiern wird, ist das "House of Games Berlin". Im Herzen Berlins wird ein kreativer Ort geschaffen, der das gesamte Games- und Creative Technologies-Ökosystem abbilden wird. Ziel ist ein stetig wachsendes Netzwerk aus nationalen und internationalen Games-Studios, Startups, Indie-Studios, E-Sport-Akteurinnen, Anbieter für Technologie und Dienstleistungen, Agenturen, Verbänden, Vereinen, Kultur- und Forschungseinrichtungen sowie Freelancer zu versammeln, die von Synergieeffekten profitieren. Für dieses im Berliner Koalitionsvertrag verankerte Projekt, das Berlin weltweit als Games-Hotspot etablieren soll, sind wir von der Senatskanzlei beauftragt und arbeiten gemeinsam mit einem Steuerungskreis an der Realisierung.*

Was hat Dich dazu inspiriert, das People & Culture Festival ins Leben zu rufen?

Die Idee entsprang der Corona-Pandemie. Die Unternehmen der Medien- und Kreativwirtschaft hatten die wirtschaftlichen Auswirkungen besonders zu spüren bekommen. Das erstmals 2022 ausgetragene Festival sollte dem großen Fachkräftebedarf dieser Wirtschaftszweige entgegenwirken. Ziel war und ist es, Unternehmen und Bildungsträger mit Studierenden, Absolvierenden, Jobsuchenden sowie Querein- und Umsteigenden zu vernetzen. Gleichzeitig finden jedes Jahr Workshops, Keynotes und Panel Talks statt, die brandaktuelle Themen der Arbeitswelt beleuchten. Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe hat das Festival im Frühjahr 2022 in ihrem Programm „Neustart Wirtschaft“ verankert und uns dankenswerterweise bislang jedes Jahr maßgeblich gefördert.

Das People & Culture Festival widmet sich einen Tag lang Themen aus der Arbeits-, Aus- und Weiterbildungswelt: Über welche Themen wird aus Deiner Sicht noch zu wenig gesprochen?

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Wirtschaft und Arbeitswelt schneller verändern als je zuvor. Neue Technologien und Arbeitsmodelle, weltweite Krisen. Das beeinflusst unsere Zukunft und ist omnipräsent in Medien und Gesellschaft. Ich möchte vier Themen hervorheben, die in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht (noch) etwas zu kurz kommen, und die wir beim Festival stark in den Fokus rücken. Erstens der demografische Wandel. Laut Schätzungen werden 2035 ohne Gegenmaßnahmen rund 7 Mio. Erwerbstätige fehlen. Wie sichern wir Wohlstand, wenn weniger Menschen arbeiten? Müssen wir mehr oder effizienter arbeiten? Zweitens: Welche strukturellen Hürden müssen überwunden werden, damit mehr Frauen in den Arbeitsmarkt eintreten bzw. eine Vollzeittätigkeit wahrnehmen können? Das dritte Thema dreht sich um Mental Health & Wellbeing am Arbeitsplatz: Wie schaffen Unternehmen gesunde Arbeitsumfelder und wie kann speziell das Thema Frauengesundheit eine noch größere Sichtbarkeit erhalten? Außerdem beschäftigen wir uns damit, welche „Future Skills“ es braucht, um Resilience Ready zu werden!

Das People & Culture Festival widmet sich einen Tag lang Themen aus der Arbeits-, Aus- und Weiterbildungswelt: Über welche Themen wird aus Deiner Sicht noch zu wenig gesprochen?

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Wirtschaft und Arbeitswelt schneller verändern als je zuvor. Neue Technologien und Arbeitsmodelle, weltweite Krisen. Das beeinflusst unsere Zukunft und ist omnipräsent in Medien und Gesellschaft. Ich möchte vier Themen hervorheben, die in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht (noch) etwas zu kurz kommen, und die wir beim Festival stark in den Fokus rücken. Erstens der demografische Wandel. Laut Schätzungen werden 2035 ohne Gegenmaßnahmen rund 7 Mio. Erwerbstätige fehlen. Wie sichern wir Wohlstand, wenn weniger Menschen arbeiten? Müssen wir mehr oder effizienter arbeiten? Zweitens: Welche strukturellen Hürden müssen überwunden werden, damit mehr Frauen in den Arbeitsmarkt eintreten bzw. eine Vollzeittätigkeit wahrnehmen können? Das dritte Thema dreht sich um Mental Health & Wellbeing am Arbeitsplatz: Wie schaffen Unternehmen gesunde Arbeitsumfelder und wie kann speziell das Thema Frauengesundheit eine noch größere Sichtbarkeit erhalten? Außerdem beschäftigen wir uns damit, welche „Future Skills“ es braucht, um Resilience Ready zu werden!

Wie triffst Du schwierige Entscheidungen? (gerne mit Beispiel)

Bei schwierigen Entscheidungen versuche ich alle Perspektiven einzubeziehen und abzuwägen, welche Konsequenzen die eine oder andere Richtung einer Entscheidung haben könnten. Derartige Entscheidungen treffe ich wohlüberlegt und auch nicht aus dem Bauch heraus, sondern strategisch. Ich hole mir oft die Meinungen des Teams oder einer vertrauten Person ein, die die Herausforderung systemisch kennt oder sich hineinversetzen kann. Das hilft ungemein, um seine Blind Spots im Blick zu behalten und nicht impulsiv zu entscheiden.

Wofür möchtest Du mit Deiner Arbeit bei medianet berlinbrandenburg heute und in Zukunft stehen?

In meinem Leben dreht sich seit Jahren alles um den strategischen Aufbau von Ökosystemen und Innovationsorten sowie um die Umsetzung von zukunftsweisenden Projekten im In- und Ausland. Die Hauptstadtregion und ihre Medien-, Kreativ-, Tourismus- oder Digitalwirtschaft liegen mir besonders am Herzen. Ich möchte, dass medianet als Brückenbauer zwischen Creative Technologies, Politik, Wissenschaft und Bildung wahrgenommen wird. Ziel ist es zu unterstützen, dass die Wirtschaft wächst, Innovationen entwickelt werden und sich Talente in Berlin-Brandenburg ansiedeln. Persönlich möchte ich noch mehr Sichtbarkeit und bessere strukturelle Voraussetzungen für mehr Diversität bei Startup-Gründungen schaffen: Mehr weibliche Gründerinnen und soziale und ethnische Diversität in Startup-Strukturen. Bei allem ist medianet seit 25 Jahren ein verlässlicher Partner und hier sehe ich es auch in Zukunft.

Wie gelingt Dir die Balance zwischen Karriere und Privatleben?

Offen gestanden: mal besser, mal weniger gut. Mein Job besteht nicht nur darin, mit meinem 15-köpfigen Team beim medianet branchenübergreifend Ökosysteme und Projekte zu entwickeln. Ich bin auch häufig selbst als Gast auf Veranstaltungen unterwegs und unterstütze andere Institutionen. Das ist zeitlich oft eine Herausforderung. Zudem ist es mir sehr wichtig aus meiner eigenen Bubble herauszutreten, um die relevanten Themen zu identifizieren, die die Branchen, die Gesellschaft und mich künftig beschäftigen werden. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Tage sind oft sehr lang und da hilft nur konsequentes Abschalten (oder auch mal Einschalten): z. B. eine spannende Doku, Routinen entwickeln, gesunde Ernährung, Sport, der einem Spaß macht, und den Kontakt zu seinen engsten und liebsten Menschen im Leben nicht zu verlieren, denn das ist „the real fuel for life!“

Welche Begegnung hat Dich zuletzt nachhaltig beeindruckt?

Ich habe das große Glück, durch meine Arbeit viele spannende Menschen zu treffen, von denen ich regelmäßig inspiriert bin. Von der Art, wie sie ihr Leben gestalten, ihr Unternehmen führen oder ihre Prioritäten setzen. Mich beindrucken Menschen, die sich im Gespräch öffnen können. Ich habe eine große Abneigung gegen Smalltalk: dazu ist mir meine Lebenszeit zu wertvoll! Ich möchte hinter die Fassaden blicken, um festzustellen, ob es eine Verbindung zwischen dem Menschen und mir gibt. So habe ich bereits unglaublich spannende Personen kennengelernt: Gestandene Unternehmerinnen, die mir von ihren Erfahrungen und Beeinträchtigungen mit der Menopause im Berufsleben erzählen. Menschen, die ihre größten Niederlagen mit mir teilen. Das Gleiche gilt für Erfolge, die man gemeinsam feiern kann! Es funktioniert jedoch nach einem Prinzip: Du musst dich genauso öffnen können, damit ein solcher Safe Space, voller gegenseitigem Vertrauen, entstehen kann.

Was würdest Du Deinem jüngeren Ich heute raten?

Ich würde meinem jüngeren Ich dazu gratulieren, dass es schon früh selbstständig so viele wichtige und wegweisende Entscheidungen für sich getroffen hat, die sich im Erwachsenenleben auszahlen werden. Ich würde ihm sagen, dass es richtig ist, wie er sich für Gerechtigkeit und Chancengleichheit einsetzt, und dass das auch einmal ein Motor seines beruflichen Lebens sein wird. Ich würde ihm sagen, dass es wichtig ist, sich früh ein eigenes Netzwerk an Freundinnen und Verbündeten aufzubauen, denn das wird sein Leben und seine Aktivitäten einmal sehr prägen! Zuletzt würde ich ihm wünschen, dass er niemals den Mut zur Veränderung verliert, um damit auch andere Menschen mitzureißen und zu inspirieren.*

Über Jeannine Koch

Jeannine Koch ist Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführerin von medianet berlinbrandenburg, dem Netzwerk für Creative Technologies in der Hauptstadtregion.

Zuvor verantwortete sie als Direktorin der re:publica Berlin Europas größte Digitalkonferenz sowie internationale Projekte in Europa, Afrika und den USA. Heute baut sie Brücken zwischen Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft, Politik und Wissenschaft, um Innovationen voranzutreiben und Berlin-Brandenburg als internationalen Standort zu stärken.

Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Förderung von Diversität und Chancengleichheit in der Startup-Szene sowie auf der Entwicklung von Formaten, die Unternehmen, Talente und Ideen zusammenbringen, darunter das People & Culture Festival und das Female Investors’ Dinner.

| Foto: Daniel Hinz