Silvia Ihring
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Overthinking: Wie wir unsere innere Stimme richtig für uns nutzen

STRIVE+ | Alltagssorgen, Zukunftsängste, Selbstzweifel: Viele Menschen stehen im unbewussten Austausch mit ihrer inneren Stimme, die anspricht, was sie gerade beschäftigt. Manchmal hat sie recht – aber unser eingebautes Plappermaul kann auch zur Belastung werden. Was können wir dann tun?

Overthinking: Wie wir unsere innere Stimme richtig für uns nutzen
Overthinking: Wie wir unsere innere Stimme richtig für uns nutzen

Der Komödienklassiker „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ aus dem Jahr 2001 unterhält mit witzigen Dialogen. Wobei: Eigentlich sind es vor allem die inneren Monologe, für die der Streifen so berühmt wurde. Die Hauptfigur Bridget Jones, eine unsichere Verlagsmitarbeiterin mit einer Vorliebe für emotional nicht verfügbare Männer, gibt aus dem Off die Gedanken wieder, die ihr parallel zur Handlung durch den Kopf gehen und die sie anschließend in ihrem Tagebuch niederschreibt.

Jones redet sich selbst in eine emotionale Achterbahnfahrt. Mal feuert sie sich an, mal plagt sie sich mit Selbstzweifeln, immer wieder quält sie sich mit Fragen darüber, was andere über sie denken. Auf diese Weise beeinflusst sie, wenn auch unbewusst, wie sie sich fühlt und verhält. Nun ist der Klassiker der Regisseurin Sharon Maguire nicht gerade ein tiefenpsychologisches Charakterstück, aber wer sich in seinem eigenen Leben einmal die Zeit nimmt, in sich hineinzuhören, wird vermutlich eine ähnliche Erfahrung machen wie Bridget Jones: dass da eine innere Stimme ist, die permanent Fragen, Sorgen, Überzeugungen oder ganz banale Alltagsgrübeleien durchkaut. Und wer ihr einmal zuhört, wird feststellen, wie laut und manchmal auch aufmüpfig dieser Sidekick in unserem Kopf werden kann.

Wenn Gedanken zum Stimmungskiller werden

„Fast alle gehen mit einer halb bewussten Stimme im Kopf durch den Alltag“, sagt der Autor und Wissenschaftsjournalist Bas Kast (50). „Man grüßt auf dem Gang die Chefin, und sie grüßt nicht zurück. Ohne dass man es wirklich merkt, setzen die Gedankenkaskaden ein: ‚Was ist denn los, habe ich etwas falsch gemacht?‘ Eine Gedankenkette wird in Gang gesetzt, die die Stimmung in hohem Maße beeinflusst.“ Das alles spielt sich im Kopf ab, selbst wenn man gerade mit etwas völlig anderem beschäftigt ist, etwa im Supermarkt nach dem Lieblingsjoghurt sucht, durch E-Mails scrollt oder sich mit einem Kollegen beim Lunch unterhält.

„Eine Studie der Universität Harvard aus dem Jahr 2010 hat nachgewiesen, dass wir uns ungefähr die Hälfte der Zeit in einem Zustand des Halbbewusstseins befinden. Wir sind im Kopf nicht vollständig bei der Aktivität, der wir uns gerade widmen, sondern hängen irgendwelchen Gedanken nach“, sagt Kast. Sein neuestes Buch „Kompass für die Seele“ widmet sich der inneren Stimme und der Frage, wie dieser Austausch mit uns selbst unser Wohlbefinden beeinflusst.

Meistens, sagt Kast, tue er dies auf negative Weise. Die HarvardStudie wies auch nach, dass das Gedankenkarussell den Großteil der Befragten unglücklich macht. „Der menschliche Geist ist ein wandernder Geist, und ein wandernder Geist ist ein unglücklicher Geist“, zitiert Bas Kast die Erkenntnisse der Studie. Das kann im schlimmsten Fall zu Depressionen führen, Menschen in psychische Abgründe stürzen, in denen man sich pausenlos gedanklich selbst zerfleischt: mit Selbstzweifeln, Unsicherheiten, Traumata aus der Vergangenheit oder Ängsten vor der Zukunft. Das andere Extrem sind Menschen, die gar keine oder selten eine innere Stimme hören. „Aber das sind Ausnahmen“, meint Kast. Bei fast jedem Menschen tritt die innere Stimme auf, und zwar in unterschiedlich hoher Intensität. „Das kann genetische Ursachen haben, mit der Erziehung zusammenhängen oder mit Erfahrungen, die man in der Vergangenheit gemacht hat. Auch die Frage, ob man sich gerade in einer Krise befindet, spielt eine Rolle.“

3 Tipps für innere Stille

1. Aufschreiben

Grübelattacken hält man mit einer Journaling-Routine im Zaum. Wer sich Gedanken regelmäßig von der Seele schreibt, schafft damit die nötige Leere im Kopf, um entspannt in den Schlaf zu finden.

2. Zuhören

Bei wichtigen Entscheidungen kreisen die Gedanken oft um die immer gleichen Fragen. Setzen Sie sich bewusst und für eine begrenzte Zeit mit der inneren Stimme auseinander. Hören Sie zu, um eine Lösung zu erarbeiten.

3. Glück empfinden

In Momenten der Ekstase schweigt die innere Stimme. Beim Sex gibt man sich völlig dem Moment hin. Aber auch der erste Urlaubstag oder der erste Sprung ins Meer kann einen ähnlichen Effekt haben.

Die innere Stimme kann man wegtrainieren

Prinzipiell hat die innere Stimme durchaus einen Sinn: Sie macht auf Probleme aufmerksam und hilft im besten Fall bei deren Lösung. Oft jedoch beißt sich die innere Stimme an Glaubenssätzen, Überzeugungen oder Annahmen fest, die das Ergebnis früherer Erfahrungen oder gesellschaftlicher Prägungen sind – aber wenig mit der Realität zu tun haben: dass die Führungskraft immer andere bevorzugt, dass man im Meeting nie überzeugt, dass man garantiert den Job verlieren wird. „Oft fokussiert sich die innere Stimme auf Themen, die evolutionär bedingt wichtig für uns sind, wie Status, Machtkämpfe, Ressourcen. Manchmal ist das in unserem Sinne, aber eben nicht immer, und dann kann uns das regelrecht das Leben vermiesen“, meint Kast.

„Oft fokussiert sich die innere Stimme auf Themen, die evolutionär bedingt wichtig sind: Status, Machtkämpfe, Ressourcen.“ Bas Kast

Das merkt man jedoch erst, wenn das Plappermaul im Kopf als solches wahrgenommen wird. Dafür ist es wichtig, im Alltag Momente zu finden, in denen man bewusst aus dem Autopilotmodus aussteigt. Als eine der wichtigsten Übungen empfiehlt Bas Kast eine einfache Meditation. „Das Ziel ist dabei, die Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten. Das fällt vielen Menschen schwer, weil die Gedanken immer wieder woanders hinwandern“, sagt er. „Sobald man sich dabei ertappt, muss man die Gedanken wieder zurück zum Atem bringen. Wenn man das immer wieder macht, merkt man, wie oft die Stimme im Kopf übernimmt, und trainiert, sich mehr von ihr zu lösen.“

Bloß nicht alles glauben, was der Kopf sagt!

Wer sich der inneren Stimme erst einmal bewusst wird, kann sie auch mit kleinen Momenten der Achtsamkeit zum Schweigen bringen. Hände waschen, vom Schreibtisch aufstehen, ein Glas Wasser holen: Die kleinen Dinge zwischendurch sind gute Gelegenheiten, um sich ganz auf den Moment zu konzentrieren. „Man geht bewusst in seinen Körper hinein, und sobald man das tut, ist kein Platz mehr für Gedanken da“, sagt Kast. Manchmal sind es aber nicht unbedingt die Gedanken, sondern ihr Inhalt, der quält – vor allem bei Selbstzweifeln oder negativen Glaubenssätzen, die man über sich selbst verinnerlicht hat. Kast rät, eine Distanz zu diesen Gedanken zu schaffen. Mit einer Technik, die Defusion genannt wird. „Anstatt sich zu sagen: ‚Du bist ein:e Versager:in‘, denkt man: ‚Ich habe den Gedanken, dass ich ein:e Versager:in bin‘“, erklärt Kast. „Oder man singt den Satz zur Melodie von ‚Alle meine Entchen‘. Spätestens jetzt können sich die meisten Menschen damit nicht mehr identifizieren.“

„Zwanghaftes ‚Positive Thinking‘ bringt übrigens auch nichts. Im schlimmsten Fall sorgt man sich darüber, dass man sich Sorgen macht.“ Bas Kast

Das Ziel ist, die innere Stimme als das zu entlarven, was sie ist: ein automatischer, von äußeren Einflüssen geprägter Mechanismus, der uns weder als Menschen definiert noch die Wahrheit über uns gepachtet hat. Um das zu erkennen, lohnt es sich, mit anderen Stimmen zu sprechen. Der eine:r Freund:in oder eine:r Therapeut:in zum Beispiel. „Man kann sich dabei an den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie orientieren, deren Ziel es ist, zu den Grundannahmen hinter den negativen Gedanken vorzustoßen und diese mit verschiedenen Techniken, etwa der Defusion, zu widerlegen.“ Stimmt es, dass man immer alles falsch macht? Welche Situationen im Leben beweisen das Gegenteil? Was sagen Personen, die einem nahestehen? Wer die innere Stimme herausfordert, wird feststellen, wie oft sie danebenliegt.

Kast hält allerdings wenig davon, krampfhaft zu versuchen, die innere Stimme umzuprogrammieren. „Zwanghaftes ‚Positive Thinking‘ bringt nichts, denn die Gedanken zu steuern ist schwer. Im schlimmsten Fall sorgt man sich darüber, dass man sich Sorgen macht, und hat das Problem nur vergrößert“, sagt er. Oft reiche die bewusste Auseinandersetzung mit den Gedanken. Die Erkenntnis sei häufig: Vieles von dem, was wir uns selbst einreden, stimmt schlichtweg nicht. Unser eingebautes Plappermaul hat keine Deutungshoheit über unser Leben.

Selbst Bridget Jones erlebt das. Obwohl ihre innere Stimme sicher ist, dass Mark Darcy sie nicht leiden kann, kommt es zum Happy End – mit spektakulärer Kussszene.

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