Dr. Tina Ruseva

09. September 2024

7 Min. Lesedauer

Wollen statt Müssen: Hört auf, Befehlsempfänger:in zu sein!

Bist du in Deinem Job wirkmächtig oder eher Befehlsempfänger:in, die insgeheim schon morgens auf den Feierabend schielt? Neben den Aufgaben hat das laut Dr. Tina Ruseva massiv mit der Unternehmenskultur zu tun. Was sie unter Muss-Kultur” versteht und warum sie Mitarbeitenden und Führungskräften gleichermaßen schadet, erklärt sie in ihrem Gastbeitrag.

Wollen statt Müssen: Hört auf, Befehlsempfänger:in zu sein!
"Wer immer muss, der will irgendwann nicht mehr", sagt die Präsidentin des New Work-Verbands, Dr. Tina Ruseva | Foto: Haufe

Stell Dir vor, Du stehst morgens auf und fühlst Dich schon beim Gedanken an den Arbeitstag erschöpft. Im Büro gehst Du folgsam Deinen Aufgaben nach, schließlich erwartet Dein:e Vorgesetzte:r, dass du Deinen Teil des aktuellen Projekts bis zum Abend vorlegst. Dein Vorschlag, wie das Team effizienter zusammenarbeiten könnte, wurde schon vor Tagen angehört. Letztendlich bleibt aber doch wieder alles so, wie es ist. Und während Du freundlich lächelst, zählst Du insgeheim nur die Stunden bis zum Feierabend.

Was ich unter "Muss-Kultur" verstehe

Klingt vertraut? Dann steckst du wahrscheinlich mitten in einer Muss-Kultur”. In vielen Unternehmen herrscht ein Klima, in dem eigene Ideen, persönliche Bedürfnisse oder gar das Wohlbefinden der Mitarbeitenden kaum eine Rolle spielen. Das Mantra lautet: "So läuft es hier, und wer nicht mitzieht, hat hier keinen Platz." Und genau diese Kultur – offen gelebt oder gut getarnt – macht uns unglücklich, lässt uns abstumpfen und zerstört unsere Motivation.

 

| Foto: Haufe

Das habe ich schon selbst erlebt. Nicht irgendwo, sondern in einem vermeintlichen Traumjob mit Spitzengehalt: Du „musst" dies, wir „müssen" das – es ging selten ums Wollen. Egal wie viel Kreativität und Eigeninitiative man mitbringt, beides erstickt die Muss-Kultur früher oder später. Stattdessen ist man einfach Befehlsempfänger:in, verliert die Freude an der Arbeit und irgendwann auch an der eigenen Karriere.

Kein Raum für Kreativität und Eigeninitiative 

In einer Muss-Kultur stehen Anweisungen, Abläufe und Autorität im Vordergrund, aber auch traditionelle Hierarchien, intransparente Strukturen und politische Machtspielchen. Zwischen Team und Chef:in wird stets eine gewisse Distanz gewahrt, unterstützt durch ritualisierte Kommunikation. Die Arbeit ist ein Vertrag, in dem man Leistung gegen Geld tauscht. Dabei ist natürlich jegliche Leistung messbar, in Arbeits- und Überstunden oder in Zielen.

 

Wenn Leistungen so bewertet werden und ein höheres Gehalt nur mit der Führungskarriere verbunden ist, ist es verständlich, dass man sich entsprechend verhält und das Spiel mitspielt. Auf kurze Sicht mag das funktionieren, langfristig untergräbt es allerdings jeglichen Sinn der Arbeit. Statt gemeinsam an Zielen zu arbeiten, frisiert man lieber seine KPIs – kein schöner, aber ein wirksamer Weg in der Muss-Kultur.

 

Betrug, Ausgrenzung und Diskriminierung als Worst-Case

Natürlich sind die Folgen auch für Unternehmen massiv schädigend. Denn: Wer immer muss”, der will irgendwann nicht mehr – und wer nicht will, ist für ein Unternehmen nutzlos. Eine Muss-Kultur bremst den Teamgeist, fördert Wettbewerb statt Kooperation und der Frust resultiert in beiderseitigen Kündigungen. Was für eine Potenzialverschwendung!

 

Im schlimmsten Fall fördert die Muss-Mentalität sogar extreme Handlungen wie Betrug, Ausgrenzung und Diskriminierung. Das liegt daran, dass man verlernt, problematische Verhaltensweisen und Prozesse zu hinterfragen oder sich diesen gar entgegenzustellen. Schließlich macht man ja nur seinen Job und hat sowieso keinen wirklichen Einfluss oder gar Mitbestimmungsrecht. Dieselgate, Facebook-Cambridge-Analytica oder der Wirecard-Skandal sind nur einige Beispiele, wozu wir in einer Muss-Kultur bereit sind. 

Raus aus dem Müssen: Das macht uns im Job wirklich glücklich  

Dabei wollen wir doch! In so vielen von uns steckt eine intrinsische Motivation, wir sind bereit, etwas zu bewegen und uns zu engagieren. Alleine in Deutschland sind 30 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig, unzählige weitere finden die Motivation, einen Marathon zu laufen, kreativen Hobbys oder wissenschaftlichen Projekten nachzugehen. Das ist ein klares Zeichen, wie stark der Wunsch ist, sich für etwas einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen.

 

Die Selbstbestimmungstheorie benennt die wichtigsten drei Faktoren, aus denen eine solche intrinsische Motivation entsteht – privat und beruflich:

  • Autonomie
  • Kompetenz und
  • soziale Eingebundenheit.

Diese Faktoren entstehen in einer Kultur, die ich Will-Kultur” nenne. Durch den Aufbau und die Pflege sozialer Bindungen, das Vertrauen in Eigenverantwortung und eine dezentrale Organisation wird ein Umfeld geschaffen, in dem Mitarbeitenden wirklich wollen – und dadurch echte Leistung bringen. Es geht darum, Freiheit in der Gruppe und Zusammenhalt trotz Individualität zuzulassen. Wer eine Führungskraft hat, die Verantwortung teilt und Entscheidungsmacht abgibt, weiß wahrscheinlich, wovon ich spreche.   

Wie wir eine positivere Unternehmenskultur leben

Die gute Nachricht ist: Wir tragen alle zur Unternehmenskultur bei. Jede:r von uns hat es in der Hand:

  • Hilft man sich oder sucht man erst nach den Schuldigen?
  • Wie treffen wir Entscheidungen und verteilen Gewinne?
  • Was fördert man – individuelle Leistung oder gemeinsame Zielerreichung?

Wenn wir den Wert der Gemeinschaft erkennen, so bemühen wir uns automatisch mehr um produktive Arbeitsbeziehungen, beantworten besser unsere E-Mails und achten auf die Bedürfnisse unserer Kolleg:innen. Die Muss-Kultur ist ein Relikt aus alten Zeiten, das keinen Platz mehr in Deiner Karriere verdient. Es ist an der Zeit, Will-Kulturen zu bauen, in denen sich jede:r einbringen und weiterentwickeln kann. Denn keine:r kann alles, und jede:r kann etwas. Doch nur wer will, bringt wirklich Leistung – und das ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen und erfüllten Karriere. 

 

 

Zur Person

Dr. Tina Ruseva ist CEO von Mentessa, einer skill-basierten Plattform für Wissensaustausch und Mitarbeitendenentwicklung, sowie Präsidentin des Bundesverbands New Work. Sie setzt sich für ein nachhaltig gesundes Miteinander und Chancengleichheit in der Wirtschaft ein. Außerdem ist sie Initiatorin des Big & Growing New Work Festivals. In ihrem neuen Buch “Ich muss gar nichts!” teilt die Unternehmerin noch mehr Gedanken zur von ihr scharf kritisierten “Muss-Kultur”. Es erscheint am 24. September 2024 bei Haufe.

 

 

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