Kristina Kreisel
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Mein Job war toxisch: Das würde ich heute anders machen

Joanne Glinka bekommt ihren Traumjob. Das denkt sie jedenfalls. Doch dann beginnt das schlimmste Kapitel ihrer bisherigen Karriere. Warum sie rückblickend sagt, dass sie in einem toxischen Arbeitsumfeld gelandet war, was sie Menschen rät, die in ähnlich ungesunden Strukturen arbeiten und was sich gerade Berufseinsteiger:innen bewusst machen sollten, erzählt sie im Interview.

Mein Job war toxisch: Das würde ich heute anders machen
"Der Begriff „toxisch“ wird heute oft inflationär verwendet. Dabei ist es wichtig, die eigentliche Bedeutung ernst zu nehmen", sagt Joanne Glinka. Foto: Philip Rösler

STRIVE: Du hast Deinen Job in einem Startup wegen toxischer Führungskräfte gekündigt. Wie kam es dazu?
Joanne Glinka:
Der Job war mein absoluter Traumjob. Doch es fehlte an klarer Kommunikation und Priorisierung seitens der Führungsebene. Herausforderungen wurden trotz Feedback nicht ernst genommen, was zu ständig wachsendem Workload und sinkender Effizienz führte. Am Ende hatte ich vier Führungskräfte gleichzeitig, die sich teilweise widersprachen. Mein „Klickmoment” war in meinem Jahresendgespräch.

 

Was ist passiert?
Das Jahresendgespräch war ein 20-minütiger Monolog, in dem ich – auf Deutsch gesagt – zu hören bekam, wie scheiße ich eigentlich bin und zwar sowohl persönlich als auch fachlich. Mir wurde vorgeworfen, ich würde nicht genug geben so “wie alle anderen”, weshalb ich “teamunfähig” wäre. Mir wurde nahegelegt, ob ich nicht lieber kündigen wolle.

 

Wurde das Feedback an konkreten Beispielen festgemacht? 

Nein. Es gab keine echte Kritik oder Feedback, nur pauschale Vorwürfe und Behauptungen. Meine Arbeitsleistung wurde systematisch abgewertet. Statt über Inhalte zu sprechen, wurde ich klein gemacht.

 

Inwiefern?

Man ist mir immer wieder bewusst ins Wort gefallen. Das gesamte Gespräch war derart manipulativ aufgebaut, dass es fast schon zu offensichtlich war, dass ich zur Kündigung gedrängt werden sollte. Als ich zum wiederholten Mal sagte, dass ich mir eine bessere Priorisierung für meine Zielvorgaben wünsche, wurde das abgetan mit: “Dann musst du halt noch mehr arbeiten”. In dem Moment wurde mir klar, dass das alles für mich nicht mehr tragbar ist. 

 

Seither beschäftigst Du Dich als Content Creatorin mit Toxizität in Führung. Was genau macht eine:n Chef:in oder ein Umfeld „toxisch“?

Der Begriff „toxisch“ wird heute oft inflationär verwendet. Dabei ist es wichtig, die eigentliche Bedeutung ernst zu nehmen: “Toxisch” bedeutet so viel wie “giftig”. Es ist also nicht nur "unangenehm", sondern es beschreibt ein Arbeitsumfeld oder eine Führung, die dauerhaft ungesund und schädlich ist – psychisch wie emotional. 

 

Kannst Du das an einem Beispiel erklären?

Toxische Führung zeigt sich zum Beispiel durch herablassendes Verhalten, Bloßstellungen vor dem Team, ständiges Kleinmachen oder das bewusste Überschreiten persönlicher Grenzen. Es fehlt an Selbstreflexion, an echter Wertschätzung und an Verantwortung. Oft wird mit subtiler Manipulation gearbeitet: Fakten werden verdreht, Mitarbeitende verunsichert. Das alles greift massiv das Selbstwertgefühl an. 

 

Welche subtilen Anzeichen für eine toxische Führungskraft sollte jede:r kennen? 

Ein erstes Warnsignal ist für mich: wenn ich nicht gehört werde. Wenn Probleme und Feedback konsequent ignoriert werden, kann das der Anfang eines toxischen Musters sein.

Was sind weitere potenzielle Alarmzeichen? 

Auch fehlende Wertschätzung und ständige Schuldzuweisungen sind meiner Ansicht nach wichtige Anzeichen. Genauso ist es wichtig hinzusehen, wenn Führungskräfte sich für alles die Lorbeeren einsammeln, aber bei Misserfolgen keine Verantwortung, geschweige denn Selbstreflexion, übernehmen. 

 

Was rätst Du Menschen, die sich hier wiederfinden und das Gefühl haben, ebenfalls in einem toxischen Umfeld zu arbeiten? 

Mein Rat wäre erstens, die Herausforderungen sowie Feedback auf Augenhöhe zu kommunizieren. Selbst, wenn die Gefahr besteht, gegen eine Wand zu sprechen. Auch wenn es schwerfällt, gibt es die Chance, dass Dinge besser gemacht werden können. Für einen selbst ist es immer ein gutes Gefühl zu wissen, dass man es ernsthaft probiert hat. 

 

Und zweitens? 

Zudem ist es hilfreich, sich zu fragen, ob man sich gerade nur in einer schlechten Phase befindet und ob es Aussicht auf Besserung gibt. Das Leben besteht immer aus Phasen und auch im Job wird es diese immer geben. Die Frage ist, ob man mit dem Status quo leben könnte. Wenn nicht, liegt es an mir, meine Situation zu ändern. 

 

Wann ist eine Kündigung unausweichlich?

Eine Kündigung muss nicht immer der erste Schritt sein. Aber wenn sich trotz mehrfacher Versuche nichts ändert, ist sie oft der gesündeste. Was mir kurzfristig geholfen hat, ist, eine emotionale Distanz zu meinem Job aufzubauen. Ich habe aufgehört, darin Selbstverwirklichung und Erfüllung zu sehen. Gleichzeitig empfehle ich, sich frühzeitig nach anderen Möglichkeiten umzusehen. Ja, das ist anstrengend. Aber ein Plan B gibt Sicherheit und stärkt das eigene Gefühl von Kontrolle.

 

Nehmen wir mal an: Du würdest wieder fest für eine Firma arbeiten. Was würdest Du heute anders machen, um das Risiko zu minimieren, erneut Teil eines toxischen Systems zu werden?

Ich würde jetzt schneller Grenzen setzen bzw. diese auch klar kommunizieren. Ich hatte früher immer Angst davor. Nicht, weil ich generell kein Feedback gegeben habe. Das habe ich mehrfach. Doch klare Grenzen zu setzen, ist irgendwie nochmal eine andere Sache. “Nein” zu sagen, fällt im beruflichen Kontext den wenigsten leicht. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen: Ich bin nicht zu sensibel oder zu schwach. Meine Emotionen und Gefühle sind berechtigt und das in jeder Lebenssituation. Vor allem dann, wenn wir unser Bestmögliches geben. 

 

Warum findest Du das so wichtig?

Die Gefahr, sich in ungesunden Jobsituationen zu verlieren und diese als “normal” zu betrachten, ist vor allem bei jungen Menschen hoch. Wäre diese Erfahrung meine erste berufliche Station gewesen, weiß ich nicht, wie das ausgegangen wäre. Deshalb spreche ich offen darüber, um etwas zu bewegen und anderen zu helfen.

Foto: Philip Rösler

Zur Person

Joanne Glinka (28), bekannt als Joi Bella, arbeitete im Influencer Marketing eines Startups, bis sie aufgrund toxischer Führung kündigte und ihr Hobby zum Beruf machte. Heute ist sie als Content Creatorin aktiv und beschäftigt sich öffentlich mit Themen wie moderner Arbeitswelt, New Work und Machtstrukturen in Unternehmen. 2024 erschien ihr Buch „Bye Bye, Toxic Leader – Was, wenn der Traumjob zum Albtraum wird?”