STRIVE: Eure Agentur hat aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit beim Münchner Amtsgericht Insolvenz angemeldet. Die Rede ist von zwei Millionen Euro Verbindlichkeiten. Wie kam es dazu?
Martin Eggert: Die Summe ist das Ergebnis hoher unternehmerischer Ambition und einer darauffolgenden zu starken Expansion. Wir haben in den letzten Jahren Büros an verschiedenen Standorten eröffnet. Wir hatten nie Investor:innen, sondern haben immer aus dem Cashflow gearbeitet und finanziert. Das ging viele Jahre gut und hat uns den Weg geebnet. Phasenweise sind wir exponentiell und gegen den Markt gewachsen, was natürlich spannend war. Wir wollten diese Welle weiterreiten und waren, wie die meisten Unternehmer:innen, überzeugt von dem, was wir tun. Also haben wir uns Geld geliehen.
Aber?
Im Nachhinein muss ich sagen: Wir sind zu aggressiv gewachsen, haben nicht eng genug geführt und haben, da wir neun Jahre lang in der Topline sehr schnell gewachsen sind, zu spät angefangen, über Kosten zu steuern.
Sind das die Management-Fehler, von denen Du in einem früheren Interview sprichst?
Eggert: Absolut. Wir hatten zwar gute Ideen und Visionen, selbst die Baupläne waren gut. Aber wir haben sie zu fahrlässig exekutiert. Wir haben keine gute Due Diligence gemacht, weder bei uns selbst noch bei den Management-Teams an den Standorten, die wir verpflichtet haben. Teilweise haben wir uns auch selbst zu klein gemacht.
Wie meinst Du das?
Eggert: Wir haben nach Lebensläufen eingestellt und gedacht, dass seniore Management-Erfahrung komplementär zu unserem Gründer-Mindset wäre. Die Praxis zeigt leider, dass die wenigsten Manager:innen in einem Startup wirklich funktionieren. Es ist ein Unterschied, ob man sich zehn, 15, 20 Jahre in vordefinierten Systemen und Logiken bewegt hat oder mit einem leeren Blatt anfängt. Wir haben falsche Leute eingestellt und zu lange zugeschaut.
Viele würden diese Fehler stillschweigend abwickeln. Warum sprichst Du offen darüber?
Eggert: Wir leben nach dem Grundsatz „aus Fehlern lernen“. David und ich haben die Agentur ohne Startkapital und ohne großes Vorwissen gegründet. Aber wir haben immer zugehört und versucht, von anderen zu lernen. Vielleicht hätten wir manchmal noch besser zuhören sollen (lacht). Jetzt möchten wir diese Erfahrungen teilen und das geht nur, wenn man transparent ist. Stillschweigend abwickeln wäre sicher einfacher gewesen, aber dann würde man außer Acht lassen, dass es hier um viele Arbeitsplätze geht und wir diese gerne erhalten möchten.
Wie schwer ist Transparenz dennoch, wenn es um Fehler geht? Gerade in einer Branche, die stark auf Erfolg und Außenwirkung getrimmt ist?
Eggert: Das ist sicherlich typabhängig, und es gibt kein richtig oder falsch. Wir waren immer sehr offen, egal ob etwas gut oder schlecht lief. Diese Offenheit hat uns viele Jahre großen Erfolg ermöglicht. Warum sollten wir es jetzt nicht so handhaben? Nur weil es mal ein Misserfolg ist? Das wäre zum einen nicht authentisch, und zum anderen kann man Lösungen nur bauen, indem man mit anderen darüber spricht. Daher empfand ich die Offenheit als alternativlos. Aber natürlich gab es auch die Sorge um die Wahrnehmung, denn, wie du richtig sagst, ist unsere Branche durchaus ein Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Wie waren die Reaktionen?
Eggert: Viel besser als erwartet. Man hat natürlich Horrorszenarien im Kopf: Alle Kund:innen springen ab, das Team kündigt, die Stimmung ist schlecht. Bei uns ist das Gegenteil der Fall, und ich glaube, dass gerade die radikale Offenheit dafür gesorgt hat. Aber dafür haben wir auch sehr viel kommuniziert, in großen Runden und Einzelgesprächen. Das war harte Arbeit und ist nicht mit einer Pressemeldung oder E-Mail getan. Und das führt dazu, dass wir, abgesehen von einer erhöhten Administration, einen ganz normalen Agenturalltag haben, Kampagnen entwickeln und normal weitermachen. Eine Insolvenz wird oft mit einem Ende gleichgesetzt, ist aber vor allem das Instrument einer Neuordnung.
Tatsächlich gehören Niederlagen und Fehler zum Leben. Trotzdem können viele Menschen nicht mal zugeben, wenn sie die falsche Mail verschickt haben.
Eggert: Wenn ich mir meinen Werdegang anschaue, waren da nicht nur Erfolge, sondern vor allem viele Niederlagen. Ich habe immer viel darüber gesprochen, um rauszuzoomen und mir Kontext zu verschaffen, um nachvollziehen zu können, wie ich beim nächsten Mal Dinge anders machen kann. Über die Jahre haben sich dadurch viele sehr offene und brutal ehrliche Beziehungen mit Menschen entwickelt, die mich seit Jahren begleiten. Sowas zwingt zu Reflexion. Und irgendwann merkt man: Darüber zu sprechen ist einfacher, als alles mit sich selbst auszumachen.
Warum tun wir uns in Deutschland trotzdem häufig so schwer, übers Scheitern zu sprechen?
Eggert: In Deutschland wird der Begriff Scheitern häufig als etwas Finales, das Ende, gesehen. Im Amerikanischen steht das Wort Failure eher für einen temporären Snapshot und wird daher als Lernerfahrung, die Teil des Weges und der Story ist, betrachtet. Dadurch ist das Mindset offener und etwas lockerer. Dieses Mindset ist für mich inspirierend. Ich habe aus den letzten Monaten sehr viel gelernt und freue mich auf die Chance, das in Zukunft einzubringen. Ich schaue zwar mit Demut, aber vor allem optimistisch in die Zukunft. Denn man darf ja nicht vergessen und das steht im Mittelpunkt: Der Betrieb bei uns geht weiter.