Hannah Andresen

19. August 2021

8 Min. Lesedauer

Warum wir nicht auf unsere Eltern hören sollten

Interview mit Julia Rittereiser, Gründerin von Kora Mikino: Bei unserem Format "Meine Gründungsstory" stellen wir spannenden Gründer:innen Fragen zu ihrem Werdegang. Sie geben euch Tipps und Tricks und teilen ihren spannendsten Learnings.

Stellen Sie sich (und ggfs. Ihr Team) doch einmal vor

Ich bin Julia und habe Kora Mikino vor ziemlich genau drei Jahren in Berlin gegründet. Studiert habe ich irgendwas mit Geisteswissenschaften und bin der Meinung, dass es zum Gründen null notwendig ist, ein BWL-Studium zu haben.

Warum wir nicht auf unsere Eltern hören sollten
Warum wir nicht auf unsere Eltern hören sollten

Was hat Sie zum Gründen bewogen?

Nach fünf Jahren bei Google hat mir auf Dauer etwas gefehlt – und das, obwohl ich superhappy mit meinem Job war. Ich wollte unbedingt gesellschaftliche Veränderungen voranbringen und diesem starken Bedürfnis habe ich irgendwann nachgegeben.

 

Wie entstand die Idee?

Die Idee entstand aus dem eigenen Bedarf in Kombination mit einem USA-Aufenthalt: ich habe sehr starke Periodenschmerzen und deswegen Tampons immer nur sehr ungern benutzt, Binden ebenso, denn die verrutschen eigentlich immer. Während meiner Google-Zeit war ich ein Jahr in den USA in San Francisco. Dort hielt ich zum ersten Mal einen Perioden-Slip in den Händen und war ein bisschen schockverliebt. Mein erster Gedanke war: “cool”, mein zweiter: “das geht noch besser”. Ich wollte einen Perioden-Slip kreieren, den man bei der Benutzung nicht spürt, der total zuverlässig ist, richtig gut aussieht und nachhaltig produziert ist.

 

Haben Sie allein gegründet oder im Team? Warum?

Ich habe allein gegründet, das lag daran, dass niemand aus meinem näheren Umfeld zum gleichen Zeitpunkt gründen wollte und ich mir einfach nicht vorstellen konnte mit einem komplett fremden Menschen ein Unternehmen aufzuziehen. Heute sehe ich das ein wenig anders, denn die Belastung als Single Founder ist sehr hoch.  Es hat aber auch den Vorteil, dass ich Entscheidung sehr schnell treffen kann. Um die fehlende Co-Founderin auszugleichen, habe ich mir ein Netzwerk aus vertrauten Personen aufgebaut, mit denen ich mich berate und die mir ungeschönt Feedback geben, das ist mir unfassbar wichtig.

 

Mit VC Geld oder ohne?

Bisher ohne, es gab allerdings einige Angebote, die ich immer abgelehnt habe, denn ich bin einfach gerne meine eigene Chefin! Wir haben das absolute Glück, dass wir einen unfassbar guten Cashflow haben und bereits nach knapp drei Jahren am Markt profitabel sind, bei siebenstelligen Umsätzen. Ich würde aber nicht ausschließen, dass ich in der Zukunft mal jemand externen mit reinhole, bisher kam einfach noch nicht das passende Angebot.

 

"Hindernis klingt mir zu negativ. Ich spreche lieber von Learnings und von denen gibt es vor allem beim Gründen jede Menge." - Julia Rittereiser

 

Welche Hindernisse hatten Sie beim Gründen?

Hindernis klingt mir zu negativ. Ich spreche lieber von Learnings und von denen gibt es vor allem beim Gründen jede Menge. Der Blickwinkel erleichtert dabei vieles. Und manchmal ist Humor sehr hilfreich. Dazu folgende Story: bei einer Bank habe ich, um eine Förderung für ein neues Produkt gegen Periodenschmerzen gepitched. Der männliche Berater hat alle Daten und Fakten, die ich recherchiert hatte, ignoriert – schlimmer, er hat sie ohne jegliches Vorwissen versucht kleinzureden. Auch die Tatsache, dass es kein vergleichbares Produkt am Markt dazu gibt, war für ihn ein Erfolgs-Verhinderer und kein Alleinstellungsmerkmal. Am Ende empfahl er mir, dass ich eine Unterhose für Männer mit Hämorrhoiden entwickeln solle. Heute kann ich darüber schmunzeln. In der Situation war ich einfach fassungslos. Neben ignoranten Bankberatern und unzuverlässigen Geschäftspartnern gibt es auch regelmäßig Technik-Bugs, die mein Team und mich an unsere Grenzen bringen. Schlussendlich findet sich für alles eine Lösung. Und das ist auch meine Botschaft an alle, die gründen wollen manchmal klappt Plan A nicht dann testet man Plan B und wenn das nicht klappt gibt es immer einen Plan C.

 

Wie haben Sie sich am Anfang finanziert?

Ich habe relativ spät gegründet, mit Anfang 30, das bedeutet ich konnte Eigenkapital mit einbringen. Ich bin mir total bewusst, dass es ein Privileg ist und dass nicht alle Menschen, die gründen, eigenes Geld einbringen können. Darüber hinaus habe ich auch eine Finanzierung über eine Bank gemacht, das war am Schluss einfacher als gedacht. Und ich habe von der IBB einen Förderzuschuss erhalten.

 

"Du hast fast immer die Wahl zwischen, Rückschritt, Lehrstunde oder Chance." - Julia Rittereiser

 

Welche Fuck-Ups mussten Sie und ihr Team bereits überwinden?

Tausende! Unser Webshop war down, wir hatten einen Shitstorm, eine ganze Produktions Charge hatte einen Fehler und wir mussten viele hundert Perioden Slips zurückrufen, ein Bankberater hat mir ins Gesicht gesagt ich glaube nicht an ihre Idee. Dabei ist die Periode eine Art „biologisches Abo“, denn sie kommt in der Regel jeden Monat wieder. Der Bedarf nach guten Periodenprodukten wird immer da sein! Das sind nur einige Beispiele. Man sieht, es geht häufig was schief aber noch häufiger läuft es gut. Am Schluss kommt es auf die eigene Bewertung des Fuckups an. Du hast fast immer die Wahl zwischen, Rückschritt, Lehrstunde oder Chance.

 

Was war für Sie persönlich die größte Herausforderung?

Die größte und gleichzeitig schönste Herausforderung ist der Umgang mit der Unsicherheit - es kann morgen vorbei sein, es kann aber auch sein, dass wir morgen doppelt so viel Perioden Slips verkaufen. Diese zwei Optionen sind mir immer bewusst. Die Gefahr ist, zu oft und zu viel darüber nachzudenken. Das kann in einen richtigen Mindfuck ausarten.  Ich habe ein gesundes Verhältnis zum Thema Risiko, da ist die Fallhöhe nicht so groß.

 

Wie haben Sie gelernt zu führen?

Ganz ehrlich: ich glaube der Lernprozess in Sachen Leadership läuft bei mir noch. Ich kenne meine Stärken und Schwächen als Managerin sehr gut und ich weiß mit welchen Persönlichkeiten ich gut harmoniere und zusammenarbeiten kann und mit welchen einfach nicht. Am besten funktioniert es mit Menschen, die proaktiv, organisiert und ehrgeizig sind. Persönlichkeiten, die gemeinsam mit dem Team etwas bewegen wollen und mit Leidenschaft die Dinge ans Laufen bringen. Wenn das alles gegeben ist, versuche ich meinen Mitarbeiterinnen möglichst wenig zu “reinzuquatschen” und bin wenig Chefin, viel Kollegin und auch Sparringpartnerin.

 

Was haben Sie für Erfahrungen gemacht, als Sie vom Arbeitnehmertum ins Unternehmertum „gewechselt“ sind?

Ich habe vorher bei Google im Vertrieb gearbeitet. Die Summen, mit denen wir zu tun hatten, waren unfassbar groß. Bei KORA MIKINO haben wir total klein angefangen und wenn wir 1.000 Euro am Tag Umsatz hatten, haben wir uns wirklich gefreut. Für 1.000 Euro hätte ich in meinen vorigen Job nicht mal den Telefonhörer in die Hand genommen und einen Kunden angerufen. Perspektiven ändern sich!

 

Was war Ihr größtes Learning?

Es kann gut gehen! Und “gute Tipps” von außen immer einordnen und in Perspektive setzen. Ich frage zum Beispiel keine sehr risikoscheuen Personen mehr nach Feedback zu neuen Business-Ideen. Ich spreche aber gerne mit ihnen über Themen, bei denen Vorsicht ein totaler Vorteil sein kann.

 

Was ist Ihr Buch-/Filmtipp für Gründer:innen?

Ich liebe Podcasts, so bilde ich mich weiter und hole mir Inspiration. Oft amerikanische Podcasts mit dem Fokus auf Start-ups wie Resilient Retail, Glossy und diverse Shopify Podcasts aber auch die Podcasts von OMR, Dr. Teo Pham, Henrick Lennarz, Innovator Sessions und der Podcast von Tobias Beck.

 

"Hör nicht auf Deine Eltern! Die dachten, ich solle in die örtliche Kreisverwaltung gehen." - Julia Rittereiser

 

Welchen Tipp würden Sie ihrem 18-jährigen Ich in Sachen Gründung geben?

Hör nicht auf Deine Eltern! Die dachten, ich solle in die örtliche Kreisverwaltung gehen. Viele Eltern drängen vor allem ihre Töchter in diese vermeintlich sicheren Jobs wie Lehrerin, Beamtin oder Sachbearbeiterin im Großkonzern. Das war auch bei mir so. Ich musste mich mit Händen und Füßen wehren und bin ganz rebellisch an die Uni gegangen und das auch noch im Ausland. So viele Statistiken sprechen dagegen, dass eine Frau aus einem Nicht-Akademiker Elternhaus ein Unternehmen gründet, trotzdem habe ich es geschafft, also kannst du es auch!

 

 

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