Können Sie das genauer erklären?
Es geht darum, sich zu fragen: Welchen Anteil habe ich daran, dass ich unzufrieden bin? Was kann ich beeinflussen und ändern? Meine Erfahrung ist, dass man bei einer zunehmenden Unzufriedenheit mindestens 50 Prozent der Gründe bei sich selbst findet. Wenn es zum Beispiel um die Beziehung zu anderen Mitarbeiter:innen geht, bin ich zu 50 Prozent für eine gute Beziehung verantwortlich. Also habe ich auch einen großen Wirkhebel mich einzubringen.
Meine Erfahrung ist: In 90 Prozent der Fälle, wo ein:e Klient:in zu mir sagt, ich will kündigen, finden wir eine Lösung innerhalb des aktuellen Unternehmers. Wegen Unzufriedenheit das Unternehmen zu wechseln oder zu kündigen, ist in den meisten Fällen nicht die beste Lösung. Ich habe viele Hunderte Führungskräfte in den letzten 25 Jahren gecoacht. In der ganzen Zeit habe ich nur zweimal die Kündigung empfohlen.
Dennoch: Was sind klare Anzeichen, die für einen Wechsel sprechen?
Die Rahmenbedingungen und Aufgabe passen ganz und gar nicht zu meinen Fähigkeiten und Stärken. Im Grunde bin ich im falschen Job, auf der falschen Position. Oder aber meine Werte passen nicht zu denen des Unternehmens. Oder ich habe Karrierewünsche oder Ziele, die ich im Unternehmen definitiv nicht verwirklichen kann. Außerdem habe ich schon viele Gespräche geführt, es ändert sich nichts. Diese Anzeichen sind wirklich eher selten bzw. wenn dann, nicht über Nacht entstanden.
Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten wie diesen sollten Wechsel gut überlegt sein. Was sind problematische Gründe zu wechseln?
Nur wegen eines hohen Gehalts zu wechseln, klappt selten, wenn es nicht noch andere attraktive Aspekte gibt. An ein hohes Gehalt sind immer auch hohe oder sogar sehr hohe Ansprüche geknüpft. Das Gleiche gilt für hochtrabende Titel und Positionsbezeichnungen. Geschäftsführer:in hört sich für viele sehr gut an. Welche Verantwortung damit einhergeht, machen sich viele nicht bewusst. Auch zu kündigen, weil ich Streit mit meiner Führungskraft habe, ist ein schlechter Grund, denn in jeder Konstellation, in jedem Unternehmen, kann es jemanden geben, den man nicht mag. Besser ist es da an den Kommunikationsfähigkeiten zu arbeiten.
Welche Fragen sollten sich gerade Führungskräfte, die mit einem Wechsel liebäugeln, vor einer Kündigung stellen?
Ist das Angebot wirklich besser? Was ist wirklich die Aufgabe? Wie sind das Umfeld und die Rahmenbedingungen? Welche Rolle soll ich dort einnehmen? Wer ist mein:e zukünftige:r Chef:in? Wer die Kolleg:innen? Passt die Position zu meinen Stärken? Welchen Nutzen kann ich dem Unternehmen bringen? Ist es ein guter, passender Karriereschritt in die richtige Richtung? Aber auch: Was ist mir insgesamt in meinem Berufsleben wichtig? Sind dort die wichtigsten Punkte, die ich brauche, um gut zu sein, vorhanden? Ist das Angebot realistisch, oder eher wie in einem Wahlkampf, zu schön, um wahr zu sein? Hinterfragen Sie das Angebot konstruktiv und kritisch. Sonst kann es sehr bitter enden.
Haben Sie das in Ihrer Coaching-Arbeit oft erlebt?
Ich habe mal mit einer Führungskraft gearbeitet, die gerade auf Jobsuche war. Ein waschechter Berliner im IT-Bereich. Er bekam ein Angebot aus München zum Dreifachen seines bisherigen Gehaltes. Er meinte, das muss er machen. Ich hielt es für falsch, aber er ließ sich nicht beirren. Zwei Jahre später traf ich ihn durch Zufall wieder in Berlin.
Und?
Auf die Frage, wie es ihm ginge, formulierte er: Gut, aber ich bin jetzt arbeitslos. Und Sie hatten Recht! Die Kurzfassung: Er hat das hochbezahlte Angebot angenommen. Aber er war so unglücklich in München, dass er innerhalb des ersten Jahres gekündigt hatte. Er habe festgestellt, dass das Geld nur solange attraktiv war, bevor er den neuen Job angenommen hatte. Von da an war es nur noch Schmerzensgeld. Er habe es in München nicht ausgehalten und gekündigt, ohne was Neues zu haben. Zurück in Berlin sah der Markt inzwischen verdammt schlecht aus. Er musste dann kleinere Brötchen backen, um wieder Fuß zu fassen.
Letzte Frage: Welche Faustregel sollten Führungskräfte vor einem Wechsel immer beherzigen?
Schauen Sie sich immer das Gesamtpaket an. Natürlich erscheint das Gras in Nachbars Garten immer grüner als im eigenen. Aber ein Wechsel ist immer auch mit vielen neuen Herausforderungen verbunden, von denen ich meistens vorher nichts weiß. Gerade in schwierigen Zeiten ist die Gefahr hoch, in der Probezeit wieder gekündigt zu werden oder für sich selbst festzustellen, das war der falsche Schritt. Wenn Sie zu dem finalen und endgültigen Schluss kommen, wechseln zu wollen, dann machen Sie es geplant, mit Bedacht und nicht aus spontanem Ärger heraus.