Kristina Kreisel
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Empathisch zu sein ist harte Arbeit, gerade wenn unsere Kapazitäten begrenzt sind

Haben wir verlernt, emphatisch zu sein? Autorin Yasmine MBarek findet: an vielen Stellen schon. Meinungen würden zu oft absolut, Zwischentöne unmöglich. Woran das liegt und was helfen kann, wieder emphatischer miteinander umzugehen, erklärt sie im Interview.  

Empathisch zu sein ist harte Arbeit, gerade wenn unsere Kapazitäten begrenzt sind

STRIVE: Yasmine, Du hast ein Buch über Empathie geschrieben. Wer oder was hat Dich dazu inspiriert?
Yasmine M’Barek:
Im politischen Alltag oder in den Kommentarspalten der sozialen Medien begegnet uns immer wieder diese Forderung, emphatischer zu sein. Ich habe mich gefragt, was das genau bedeutet und ob wir wirklich alle so unempathisch sind? Auch im Privaten habe ich die Erschöpfung beim Miteinander wahrgenommen und mich gefragt: Verlangen wir dem Begriff Empathie vielleicht das Falsche ab?

Und zu welchem Schluss kommst Du? Haben wir wirklich verlernt, emphatisch miteinander zu sein?
Wir haben es nicht unbedingt verlernt, sondern unsere Kapazitäten sind begrenzter. Care Arbeit, Job, Inflation, multiple Krisen, Kriege: Viele befinden sich in der Überbelastung, da kann es schwer werden, feinfühlig zu sein und in manchen Momenten einen Schritt zurückzugehen und sich zu fragen: Warum macht die andere Person das? Gibt es vielleicht Gründe, die ich nicht kenne?

Worauf führst es noch zurück, dass wir uns mit der Empathie gerade teilweise schwertun?
An die Anforderungen der Empathie. Wir denken, wenn wir das magische Zauberwort aussprechen und uns als emphatisch etikettieren, wird alles besser, alle lieben sich. Nachvollziehen, besonders wenn man Menschen eigentlich nicht mag oder auf seiner Meinung beharren möchte, ist harte Arbeit.

Wann hast Du persönlich zuletzt Empathie bei Deinem Gegenüber vermisst?
Immer wieder mal im Alltag, in Gesprächen, in Momenten, in denen mein Gegenüber genervt war, ich übrigens auch zwischendurch. Dann denkt man danach: Wäre man ein bisschen reflektierter gewesen, hätte man den eigenen Groll nicht auf das Gespräch oder den Gegenüber projiziert.

Wie lässt sich Empathie trainieren? Welche Strategien kannst Du empfehlen?
Wann immer man kann, nach den Grautönen zu suchen. Ob bei hitzigen Debatten im Netz oder wenn man sich mit dem Partner streitet, mal einen Schritt zurückgehen und überlegen, wie emphatisches Nachvollziehen zu einer Verbesserung von Konflikten beitragen kann. Dafür muss man auch emphatisch mit sich selbst sein können, und vor allem lernen, was die eigenen Grenzen sind.

Du sprichst in Deinem Buch von „emphatischen Egoist:innen“. Was meinst Du damit?

Empathie ist immer egoistisch, aber sie führt zum Communitygefühl und Gemeinschaft. Wenn alle emphatisch zueinander sind und es dementsprechend auch zurückerhalten, haben wir einen Mehrwert, den Menschen natürlich auch bei sozialen Interaktionen haben wollen. Selbstlose Empathie kann toxisch sein.

Wenn wir auf den Jobkontext gucken: An welchen Stellen oder in welchen Situationen würde hier mehr Empathie guttun?
In der direkten Kommunikation mit dem genervten Chef oder die Solidarität in der Teeküche oder auf Slack: Wenn wir Situationen mit emphatischen Nachfragen oder Einlassungen entschärfen, beruhigen wir auch unser direktes Arbeitsumfeld. Das darf niemals in devote Unterwürfigkeit führen, aber die stärksten sind jene, die ehrlich, reflektiert und emphatisch gegenüber ihren Kollegen auftreten können.

„Emphatisch zu sein ist harte Arbeit, gerade wenn unsere Kapazitäten durch Job, Care Arbeit und die multiplen Krisen unserer Zeit begrenzt sind.“

Yasmine M’Barek

Portrait

Yasmine M'Barek

Journalistin und Autorin 

Zur Person Yasmine M’Barek, geboren 1999, ist Journalistin, Podcasterin und Autorin. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und arbeitet als Redakteurin bei ZEIT Online. Gerade ist ihr Buch „I feel you“ im Bastei Lübbe Verlag erschienen. M’Barek lebt in Köln und in Berlin.

Foto: Leonie Braun