Christina Bösenberg

vor 5 Tagen

8 Min. Lesedauer

Ungleichheit: „Am Kopierer brach mein Happyland zusammen“

Gastartikel | Auch mehr als 20 Jahre nachdem die Bundesregierung die berufliche Gleichstellung zwischen Männern und Frauen empfohlen hat, ist davon nicht viel zu sehen. Oder? Unsere Kolumnistin Christina Bösenberg findet: es ist viel passiert – und doch viel zu wenig.

Ungleichheit: „Am Kopierer brach mein Happyland zusammen“
Ungleichheit: „Am Kopierer brach mein Happyland zusammen“

Ein Foto hat zuletzt eine ganze Woche meinen Feed bei LinkedIn bestimmt. Ihr wisst bestimmt, welches ich meine. Darauf zu sehen sind 30 Männer in höherem Alter an einer reich gedeckten Tafel. Das Foto ist eine Aufnahme vom CEO-Lunch neben Münchner Sicherheitskonferenz, bei dem die Wirtschaftselite des Landes zum Essen zusammenkommt. Keine einzige Frau war auf dem Foto zu sehen, es ist also brandaktuell aus diesem Jahr – 2022 und damit ganze 21 Jahre nach der Empfehlung der Bundesregierung zur Umsetzung der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in der Arbeitswelt entstanden. Und das, obwohl wir ja bereits 17, 5 Prozent DAX-Vorständinnen haben. Was immer noch kümmerlich ist – aber immerhin.

Dass wir zu wenige Frauen in den Vorständen der großen Konzerne dieses Landes haben, ist also kein neues Thema. Das jüngst entstandene Foto suggeriert aber, dass sich bisher nichts getan hat. Das stimmt so nicht. Das Gute vorweg: Es ist viel passiert – und auch das zeigt die einwöchige Omnipräsenz des Fotos in meinen Feeds. Es tauchte ja nicht von alleine immer wieder auf, sondern weil sich so viele Menschen, Frauen wie Männer, Senior-Level wie Berufseinsteiger:innen, an dem Bild gestört haben. Das Thema ist längst in den meisten Köpfen angekommen und ich werte das als durchaus gutes Zeichen. Dass das nicht immer so war, das könnt ihr euch denken. Oft hilft ein Blick in die Vergangenheit, um zu sehen, wie sich ein Thema entwickelt hat.

Ein Kopierer in den 90ern

Wagen wir ein Gedankenexperiment und stellen uns einmal vor, das Foto wäre in den 1990er-Jahren entstanden. Der ganze LinkedIn-Ärger wäre damals ausgeblieben, es hätte keine öffentliche Reaktion gegeben – von einem gesellschaftlichen Aufschrei, Interview- und Talkshowdebatten sowie sich entschuldigenden Verantwortliche ganz zu schweigen. Nur Männer auf einem Business Bild wäre im Jahr 2000 ganz normal gewesen. Die Gleichstellung zwischen Mann und Frau war einfach kein breit diskutiertes Thema, trotz der Relevanz. Statistiken erhob man so gut wie gar nicht.

Ich nahm Stufe um Stufe, es erschien mir alles normal – bis… ja, bis ich eines Tages die Gehaltsübersicht eines meiner Peer-Kollegen im Kopierer fand.

Das heißt aber nicht, dass Frauen keine Rolle in der Arbeitswelt spielen konnten. Mir (und einigen anderen) ist es damals schließlich auch gelungen, mich in einer von Männern dominierten Arbeitswelt durchzusetzen, in einem männerdominierten Tech-Unternehmen in fünf Jahren vom Einstieg in eine Führungsposition mit über 500 Mitarbeiter:innen zu gelangen. Klingt nach einer Erfolgsgeschichte – und ehrlicherweise hatte ich damals nicht den Eindruck, Opfer einer systematischen Ungleichbehandlung zu sein. Mit einer gesunden Mischung aus Naivität, Forschheit und Tatendrang habe ich mir eine Sichtbarkeit verschafft, die mich schließlich die Karriereleiter erklimmen ließ. Ich nahm Stufe um Stufe, es erschien mir alles normal – bis… ja, bis ich eines Tages die Gehaltsübersicht eines meiner Peer-Kollegen im Kopierer fand. Dieses hochvertrauliche Dokument war dort irrtümlich vergessen worden – als ich es las, brach mein Happyland in sich zusammen. Bis dahin war mir ehrlich gesagt nicht klar, dass es dieses Problem gibt, das ich nach Recherche als Gender Pay Gap identifizieren konnte. Frauen verdienten damals schon um die 30 Prozent weniger als viele Männer. Im Rückblick auf das Jahr 2005 war dies der Tag meiner inneren Kündigung.

Vom Was zum Wie

Diese Geschichte ist eine persönliche Erfahrung und doch bringt sie mich geradewegs zu einer wichtigen Kenngröße in dieser Debatte. Das ist neben dem Anteil weiblicher Führungskräfte die noch Lohnungerechtigkeit zwischen Mann und Frau. Denn auch wenn der Gender Pay Gap lange nicht der einzige Maßstab für die Ungleichbehandlung ist, so ist er doch derjenige, der die Ungerechtigkeit und Absurdität am greifbarsten macht. Denn wie sollte man jemandem im Jahr 2022 logisch erklären können, dass es fair sei, Männern und Frauen bei gleicher Arbeit einen ungleichen Lohn zu zahlen? Im Jahr 2020 betrug diese Lücke unbereinigt 18 Prozent.

Und dennoch lässt sich ein Fortschritt bei dem Thema erkennen: Denn heute muss niemand mehr darüber diskutieren, dass es dieses Problem gibt und dass es einer Lösung bedarf. Vielmehr hat sich der Diskurs zu einer Debatte um die richtigen Instrumente weiterentwickelt. Die Wissenschaft stellt eine ganze Reihe solcher Instrumente bereit, doch hakt es noch an Tempo und dem richtigen Einsatz.

Das Zusammenspiel von individuellen und organisatorischen Maßnahmen

Nach 25 Jahren Berufserfahrung ist mir klar: Es gibt nicht die eine Lösung für das Problem. Was können wir als Gesellschaft also jetzt tun, um der Problemlösung Geschwindigkeit zu verleihen? Meiner Erfahrung nach, und die Wissenschaft bestätigt das, ist eine Mischung aus organisatorischen Top-down und individuellen Bottom-up Instrumenten der richtige Weg.

Ich finde, die Quote ist zum Beispiel ein außerordentlich wichtiges und notwendiges Instrument, das Top-down dafür sorgt, dass das Thema Gender-Gerechtigkeit auf die Agenden der Unternehmen kommt. Ebenso bin ich eine starke Befürworterin davon, den Paritätsgedanken vom Management in die KPIs festschreiben zu lassen, um hier – wie auch sonst in Unternehmen gewöhnlich – von oben mit messbaren Zielen zu steuern. So notwendig sie sind, so wenig hinreichend sind diese Maßnahmen, denn sie operieren lediglich auf der organisatorischen Ebene. Diese berührt solche Ursachen wie Unconscious Biases nur bedingt.

Psychologische Sicherheit ist das Gebot der Stunde, um ein Setting zu schaffen, das die Sichtbarkeit von Frauen immanent erhöht.

Um also auch psychologische Ursachen wie Status Quo Bias, Proximity Bias oder In-Out Group Bias nachhaltig transformieren zu können, bedarf es eines Bottom-up Ansatzes, für den individuelles Coaching das effektivste Instrument darstellt. Ich habe jahrelang die Erfahrung gemacht, dass der regelmäßige Austausch zwischen Menschen jedes Karrierelevels mit einem/einer erfahrenen Coach:in schon nach kurzer Zeit dazu beiträgt, Denkmuster zu verändern und diese Veränderung auch in bewusste Handlungsmuster zu übersetzen. Dabei spielen auf der einen Seite natürlich spezielle Female Empowerment-Programme eine besondere Rolle. Andererseits gilt es aber auch, männliche Führungskräfte individuell zu unterstützen und Bewusstsein zu schärfen. Psychologische Sicherheit ist das Gebot der Stunde, um ein Setting zu schaffen, das die Sichtbarkeit von Frauen immanent erhöht.

Die doppelte Lücke finden

Das übergeordnete Ziel aller Maßnahmen liegt auch im zitierten Foto. Das steht als Symbol dafür, dass die allseits bekannten nackten Zahlen viel weniger wirken, als eine leibhaftige Darstellung der Ungleichbehandlung. Und es zeigt, wie viel Veränderung davon abhängt, dass präsente Frauen, die ihren Platz in den engen Männerreihen gefunden haben, laut auf das Ungleichgewicht hinweisen – und danach gegebenenfalls den Raum, das Panel, die Bühne verlassen.

Sicherlich, es braucht Mut, sich in monokulturellen Runden Gehör zu verschaffen. Aber es lohnt sich und ist wichtig für alle: Besetzen Frauen ihre Plätze zwischen Männern, werden sich auch die Gender Gaps in der Arbeitswelt schließen.

Über die Autorin

Christina Bösenberg ist Business Coach, Wirtschaftspsychologin, Podcasterin, Keynote Speakerin und Industry Advisory Board Member bei CoachHub - der digitalen Coachingplattform. Nach über 20 Jahren als Managerin und #womanintech in der Wirtschaft inmitten der digitalen Transformation, gilt Christina Bösenberg über deutsche Grenzen hinaus als Vordenkerin für die Arbeitswelt der Zukunft - mit KI und dem Menschen in der digitalisierten Welt. Sie versteht es, Erfolgsmuster der digitalen Welt greifbar und praxisnah zu vermitteln und verbindet dies mit Erkenntnissen der modernen Gehirnforschung als #Businesshacks und #Lifehacks. Aktuell berät Sie als Transformation Architects EMEIA bei EY.

Link kopiert!