Naïs Graswald
vor 16 Tagen
Wie der "Gebärverdacht" die Karriere von Frauen bremst
„Sie sind gebärverdächtig“, sagte einmal ein Headhunter zu mir. Ein Satz, der seither in mir nachhallt. Lange habe ich überlegt, ob ich diesen Vorfall öffentlich teilen sollte. Zu negativ? Zu riskant? Aber heute, zwei Jahre später, mit 32 und nach zig ähnlichen Gesprächen in der Tasche, denke ich mir: Es reicht.
Es scheint fast komisch, dass in einer Gesellschaft, die sich Fortschritt in der Wirtschaft und Gleichberechtigung im Grundgesetz auf die Fahnen schreibt, Frauen im besten Karrierealter immer noch auf ihren vermeintlichen "Daseinszweck" reduziert werden: gebärfähig = gebärverdächtig.
Mit einem einzigen Etikett wird impliziert, dass
- a) Kinderkriegen ihr einziger Beitrag sein könnte
- b) Mütter nur eingeschränkt leistungsfähig seien und
- c) Kinder die Karriere naturgemäß belasten würden. Drei große Irrtümer.
Potenzielle Mutterschaft als Karriere-Stoppschild
Es ist 2024, und ich höre diese Geschichten immer wieder von Frauen in meinem Umfeld. Sie sind brillante Köpfe, die aufblühen in ihren Berufen und voller Leidenschaft ihre Karriereziele verfolgen. Doch viel zu oft wird ihnen unterstellt, sie könnten „bald ausfallen“. Oder, um es deutlicher zu sagen: dass sie "risikobehaftet" seien, weil sie vielleicht, irgendwann, eventuell Kinder wollen könnten.
Anstatt ihre Erfolge zu feiern, ihre Kompetenzen zu sehen, scheint der Gedanke an eine potenzielle Mutterschaft wie ein unsichtbares Stoppschild in ihren Lebensläufen zu leuchten. Dieses Stigma und seine Konsequenzen nerven gewaltig.
Der "Gebärverdacht" schadet allen
Warum müssen Frauen zwischen Familie und Beruf wählen? Warum dürfen wir nicht ganz selbstverständlich beides verfolgen und gestalten, ohne dass uns Fragen gestellt oder Grenzen gesetzt werden?
Die Konsequenz dieser Denkweise ist spürbar: Ein großer Teil der Frauen resigniert und passt sich diesen Erwartungen an, auch wenn es ihre Träume einschränkt. Andere entscheiden sich aus Karrieregründen gegen Kinder. Diese Gruppe und die, die ungewollt kinderlos bleiben, werden während des gebärfähigen Alters übrigens trotzdem benachteiligt. Hier gewinnt niemand – die Frau nicht, das Unternehmen nicht, und vor allem die Gesellschaft nicht.
Als ich darüber einen Beitrag auf LinkedIn veröffentlichte, explodierte das Echo. Über 130 Kommentare von Frauen und Männern. Frauen, die sehr ähnliche Erfahrungen teilen. Männer, die solches stigmatisierendes Verhalten beobachtet haben. Die Kommentare machen klar: Es wird erst besser, wenn wir diese diskriminierenden Vorurteile ablegen, Eltern wertschätzen und, wenn mehr Männer länger und ernsthaft in Elternzeit gehen. Erst dann werden die Vorstellungen über die Elternschaft gerechter, und es wird normal, dass Menschen in allen Lebenslagen glücklicherweise für ihre Familien da sind.
Frauen sollten gefragter sein denn je
Wir brauchen ein Umdenken: Statt „gebärverdächtig“ sind wir engagiert, zukunftsorientiert, voller Tatendrang – und schaffen unserer Gesellschaft eine Zukunft. Denn ohne Kinder gibt es keine Zukunft. Diese Perspektive müssen wir normalisieren und fördern. Was zählt, sind Kompetenzen, die Hingabe und der Beitrag, den jede von uns leisten kann und will. Gerade in Zeiten einer alternden Gesellschaft, der Transformation ins Digitale, dem Fachkräftemangel und ESG-Verpflichtungen sollten Frauen aus unternehmerischen Gründen gefragter denn je sein.
Dem Headhunter nehme ich es nicht übel. Er hat nur ausgesprochen, was andere leise denken. Was für mich wirklich zählt, ist, dass wir unser Potential entfalten können. Das kann die deutsche Wirtschaft wirklich gut gebrauchen.
Zur Person
Naïs Graswald (32) ist selbständige Kommunikationsexpertin, Executive Coach und Co-Gründerin der „Own Your Seat“-Akademie, einem hybriden Online-Programm, das angestellte Frauen dabei unterstützt, ihre Sichtbarkeit zu stärken. Zuvor arbeitete sie für Volkswagen, im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie im Deutschen Bundestag.