Ein Gastbeitrag von Dr. Bettina Palazzo | Warum Frauen aufhören müssen, nett zu sein und was es für ein Ende weiblicher Diskriminierung in Organisationen noch benötigt, erklärt uns Dr. Bettina Palazzo, Expertin für Unternehmensethik und Compliance Management, in ihrem Gastbeitrag.
Dr. Bettina Palazzo
vor 18 Tagen
Schluss mit der „Brave-Mädchen-Strategie“!
Als ich Anfang der 90er Jahre meine Karriere begann, war mir bewusst, dass ich es als Frau schwerer haben würde. Aber wie die meisten Frauen meiner Generation dachte ich: „Wir können es schaffen, wir müssen nur unser Bestes geben und hart arbeiten!“ Und Junge, haben wir hart gearbeitet: Wir haben die besten Noten an der Uni bekommen, wir haben promoviert oder einen MBA gemacht oder beides. Wir passten unseren Kommunikationsstil an die männliche, statusorientierte Kultur an. Wir besuchten Stimmtrainings und pimpten unsere Business Outfits... Aber der Fortschritt war sehr, sehr langsam und nicht gerade berauschend.
Es gibt immer noch mehr CEOs namens Thomas als weibliche CEOs in Deutschland. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle hat sich praktisch nicht verändert. Frauen machen immer noch 75 % der Care Arbeit. Und jede zweite Frau wird mindestens einmal in ihrem Berufsleben sexuell belästigt. Die Pandemie hat uns brutal klargemacht, dass wir nicht weiterhin die perfekten, netten Frauen sein können, die hart arbeiten und alles richtig machen, nur um von Männern überholt zu werden, die die Organisation mit ihrem übertriebenen Selbstbewusstsein blenden.
Die gute Nachricht ist, dass Diskriminierung heute nicht mehr so offensichtlich und eklatant gelebt wird wie noch vor 20 Jahren. Die schlechte ist, dass auch subtile Diskriminierung die Macht hat, Frauen klein zu halten!
Die gute Nachricht ist, dass Diskriminierung heute nicht mehr so offensichtlich und eklatant gelebt wird wie noch vor 20 Jahren. Die schlechte ist, dass auch subtile Diskriminierung die Macht hat, Frauen klein zu halten! Das Perfide an der subtilen Diskriminierung ist, dass sie es Frauen schwer macht, sich entschieden dagegen zu wehren.
All diese kleinen Widrigkeiten, mit denen Frauen zu kämpfen haben, kosten Kraft, Zeit und können das eigene Selbstwertgefühl nachhaltig schwächen. Diese Energie- und Zeiträuber haben Männer meistens nicht und können sich deshalb besser auf ihre Karriere konzentrieren. Die kleinen Attacken und Ungerechtigkeiten potenzieren sich zum Zinseszins-Effekt der Diskriminierung.
In einer Computersimulation haben Forscher:innen festgestellt, was passiert, wenn bei einem 50/50 Mann/Frau-Verhältnis beim Einstieg in ein fiktives Unternehmen Frauen über einen Zeitraum von 10 Jahren und acht Hierarchiestufen durchgängig um drei Prozent schlechter bewertet werden. Was meinen Sie, wie viele Frauen es bis zur Spitze schaffen? Zwei Prozent!
Wir sehen also, es lohnt sich gegen die kleinen, aber hinterhältigen Fälle von Diskriminierung ebenso anzugehen wie gegen die gravierenderen Formen. Es bringt uns nicht weiter, nur hart zu arbeiten und uns an das männliche System anzupassen. Wir müssen sehr viel mehr freundliche Penetranz entwickeln, um Männer und Organisationen dazu zu bewegen, endlich ihren Beitrag zu einem echten Wandel zu leisten! Deshalb müssen wir dringend mit der „Braven-Mädchen-Strategie“ aufhören.
Wie machen wir das? Die "No more nice girl"-Strategie besteht aus drei Elementen:
1. Allyship
Wir Frauen müssen uns noch viel, viel mehr gegenseitig unterstützen und verbünden, indem wir unser Wissen und unsere Erfahrungen teilen, uns gegenseitig fördern und füreinander eintreten. Wenn z. B. meine Kollegin zum dritten Mal von einem Kollegen rüde unterbrochen wird, dann sage ich laut und langsam „Peter, Gabi spricht noch!“. Peter wird verstehen, dass er jetzt Pause hat, und Gabi kann sich wieder auf ihre brillanten Ideen konzentrieren. In Gesprächen heben wir stets die Kompetenz anderer Frauen hervor und wenn wir ein Jobangebot oder ein Projekt ablehnen, empfehlen wir sofort eine andere Frau.
Wir können es uns nicht mehr leisten, es als gegeben hinzunehmen, dass Unternehmen auf Männer ausgerichtet sind, ohne das aktiv anzusprechen.
2. Aktives Ansprechen
Wir können es uns nicht mehr leisten, es als gegeben hinzunehmen, dass Unternehmen auf Männer ausgerichtet sind, ohne das aktiv anzusprechen. Das geht schon los bei der Jobauswahl. Die wenigsten Frauen prüfen den Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern bei ihren künftigen Arbeitgebern. Wie aber sollen Unternehmen verstehen, dass das wichtig ist, um weibliche Talente zu gewinnen, wenn diese Talente nicht klarstellen, dass sie darauf achten?
Auch Vorfälle von alltäglichem Sexismus dürfen wir nicht mehr schlucken! Ein Beispiel:
Sie sind Teil eines Recruiting-Teams. Eine weibliche Kandidatin sticht hervor. Ihr Kollege sagt aber, dass er sie nicht mag, weil sie zu sehr mit ihren Qualifikationen geprahlt hätte. Ein klarer Fall von unbewusster Wahrnehmungsverzerrung, die Frauen weniger sympathisch erscheinen lässt, wenn sie ihre Leistungen herausstellen. Wie kann man das ansprechen, ohne den Kollegen in die Defensive zu zwingen? Ganz einfach und elegant mit der „Twist it to test it“ Methode: „Interessant! Und jetzt stelle Dir bitte mal vor, sie wäre ein Mann, würdest Du den auch nicht leiden können?“ Wenn wir nicht wollen, dass es so weitergeht wie bisher, müssen wir mehr Lärm machen. Wann, wenn nicht jetzt bei dem aktuellen Mangel an qualifizierten Mitarbeiter:innen!
3. Agent of Change
Egal an welcher Stelle Sie in einem Unternehmen sind, es gibt überall Möglichkeiten, wo Sie positive Veränderungen für Frauen bewirken können. Das geht schon bei den Produkten los. Beispiel Versicherungsbranche: Die meisten Versicherungsvertreter sind immer noch männlich. Heute werden aber mehr und mehr Versicherungskaufentscheidungen von Frauen getroffen und die haben ganz andere Bedürfnisse als Männer. Ein noch kaum genutztes Innovationspotential!
„Inclusive Design“ heißt das Zauberwort. Wenn Sie im Personalbereich arbeiten, können Sie prüfen, wie gut der Recruiting-Prozess auf die Bedürfnisse von Frauen abgestimmt ist. Viele Frauen bewerben sich z. B. gar nicht erst, wenn die Sprache der Stellenannonce stark maskulin getextet ist. Diese inklusive Umtextung betrifft natürlich auch die sonstige Unternehmenskommunikation. Und dafür gibt es sogar spezielle Dienstleister wie www.textio.com oder www.witty.works/ . Jede:r von uns kann einen Beitrag für die Entwicklung einer inklusiven Unternehmenskultur leisten.
Wir müssen dafür nur unsere Gender-Brille aufsetzen und kreativ werden. Dann brauchen wir noch männliche und weibliche Verbündete und weisen auf das enorme Verbesserungspotential hin. So wird dann Gender Equality plötzlich zur Innovationsquelle – und das wollen doch alle.
Über die Autorin: Als Tochter einer Mutter, die ihrer Zeit voraus war, hat Dr. Bettina Palazzo das Thema Gender und Diversity schon immer begleitet. In ihrem beruflichen Leben musste sie früh lernen, sich in der harten Realität von nicht gerade frauenfreundlichen Organisationen durchzusetzen. Nach ihrer Promotion half sie Ende der 90er dabei, Unternehmensethik bei KPMG als Beratungsleistung aufzubauen. Damals eine echte Pionierarbeit. Heute begleitet sie als Beraterin Unternehmen dabei, ihre Integritätskultur zu verbessern und das «Ethical Leadership» ihrer Führungskräfte zu fördern. 2000 schrieb sie zudem eine Studie über weibliche Karrierehindernisse für das deutsche Bildungsministerium.