Rebecca Göckel
vor 13 Tagen
Ich habe ein schlechtes Gewissen, mich als Chefin verletzlich zu zeigen

Anführer:innen müssen stark sein und sonst nichts. Das jedenfalls habe ich jahrelang gedacht – und auch so geführt: unerschütterlich verlässlich, immer Sicherheit vorgebend, immer positiv, egal wie stark der Gegenwind auch war. Von außen sah das oft nach „erfolgreich durchmarschiert“ aus. In der Realität waren die Jahre seit der Gründung meines Unternehmen 2016 – wie bei so vielen Startups – eher ein „eine Herausforderung nach der anderen meistern und sich mit viel Durchhaltevermögen und Fleiß stückweise vorarbeiten“.
Niemand sollte meine Tränen sehen
Ich habe dadurch enorm viel gelernt, ein vermutlich überdurchschnittliches Maß an Resilienz und Widerstandsfähigkeit aufgebaut. Es waren allerdings auch tränenreiche Jahre – wovon jedoch niemand etwas mitbekommen sollte.
Deswegen schlüpfte ich jeden Morgen aufs Neue in die Rolle der starken, sicheren und immer positiven Gründerin. Ich wollte für alles eine Lösung haben; die sein, die so schnell nichts umhaut. Sorgen, Ängste und Tränen hatten da keinen Platz. Wenn ich mich als Führungskraft verletzlich zeige, habe ich grundsätzlich ein schlechtes Gewissen.
Heute bin ich überzeugt: Zu guter Führung gehört Authentizität. Und mein Startup ist für mich nun mal mehr als ein Job. Es ist wie ein Baby für mich. Wenn das zum Beispiel durch massiv gestiegene Rohstoffpreise oder den Einbruch der Startup-Finanzierung herausfordernde Zeiten erlebt, geht mir das nahe. Wieso dachte ich, dass ich diese verletzliche Seite niemandem zeigen dürfe und damit andere vergraulen würde?
Wieso ich dachte, immer „stark“ sein zu müssen
Ich führe das auf mein eigenes Bild der starken Anführerin zurück. Das Bild ist aus meiner Sicht auch in unserer Gesellschaft stark verankert. Es ist die Angst, das Team könnte wegrennen, wenn es feststellen würde, dass mir Themen nahe gehen und ich nicht immer sofort den Weg kenne.

In der Praxis ließ ich meinem Team daher kaum Raum dafür, Negatives auch mal zu benennen. Als sowieso schon optimistisch und positiv geprägte Persönlichkeit war ich immer sofort im Modus “Was ist das Positive am Negativen und was sind die Lernpunkte aus der Situation”. Dabei ist Raum für das Besprechen von Fehlern natürlich genauso wichtig.
Viele kennen das sicher aus dem privaten Raum: erstmal Frust rauslassen, dann kann es weitergehen mit konstruktiven Vorschlägen. Von einer mir nahestehenden Mitarbeiterin bekam ich damals das Feedback, dass ich auf den Rest des Teams wenig nahbar wirken würde – obwohl ich eigentlich authentisch sei. Sie gab mir auch direkt den Schlüssel mit, wie ich das ändern könnte. Sie sagte: “Zeig Deinen Mitmenschen die ganze Rebecca mit all ihrer Leidenschaft und ihrem Optimismus, aber eben auch ihren Sorgen und Herausforderungen.” Diese Verletzlichkeit habe ich mir lange nicht erlaubt.
Heute führe ich anders
Inzwischen versuche ich mein Team stärker in meine Gedankenwelt mitzunehmen, in der Führung noch authentischer zu sein und bewusst Raum für Emotionen zu schaffen. Damit möchte ich eine starke Fehlerkultur und Offenheit in meinem Unternehmen fördern. Ich habe beobachtet, dass Menschen sich viel stärker auf ihre Mitmenschen einstellen können, wenn sie über Emotionen eine echte Verbindung aufbauen. Das schafft Loyalität und kreiert ein Gefühl von “Wir sitzen gemeinsam in einem Boot”. Denn: Ein Team besteht aus erwachsenen Menschen, die nicht wie Kinder von den Eltern möglichst von Problemen ferngehalten werden müssen.
Dass ich heute manchmal immer noch ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich mich verletzlich mache, zeigt mir, wie viel Mut mich diese Verletzlichkeit weiterhin kostet. Meine Synapsen müssen sich dahingehend noch neu verknüpfen, als dass Stärke zeigen eben nicht gleich „stark sein" bedeutet. Vielmehr kann Schwäche zeigen, ein Zeugnis echter innerer Stärke sein.
Zur Person
Rebecca Göckel (28) ist Gründerin und CEO der veganen Bio-Eismarke NOMOO. Als Frau, die mit 20 Jahren sehr jung im Studium gegründet hat, möchte Göckel andere Gründerinnen inspirieren und empowern. Ihr Motto: Mit Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und Leidenschaft können wir alles erreichen, was wir uns vornehmen.