Toygar Cinar

21. April 2025

5 Min. Lesedauer

Hyperkompetenz-Dilemma: Warum wir oft die besten Mitarbeitenden verheizen

Wer im Job herausragend leistet, sollte gefördert und irgendwann auch befördert werden. In vielen Firmen folgt auf hohe Leistung aber nur noch mehr Arbeit, sagt Personalberater Toygar Cinar. Wieso das oft im Burnout oder der Kündigung endet und wie Führungskräfte das Muster durchbrechen können, erklärt er hier.

Hyperkompetenz-Dilemma: Warum wir oft die besten Mitarbeitenden verheizen
"Die besten Mitarbeitenden sind das wertvollste Kapital eines Unternehmens. Doch zu oft werden sie nicht gefördert, sondern verheizt", sagt Toygar Cinar | Foto: Rheinwest HR Solutions

Stell Dir vor, Du hast eine Mitarbeiterin, die herausragende Arbeit leistet. Sie übertrifft Ziele, löst Probleme, übernimmt Verantwortung und hält das Team am Laufen. Sie ist schnell, zuverlässig und liefert Ergebnisse. Was tust Du als Führungskraft?

 

Die meisten würden sagen: „Natürlich fördern wir sie!“ Die Realität sieht oft anders aus: Statt einer Beförderung bekommt sie noch mehr Arbeit.

Systematische Überforderung der leistungsstärksten Mitarbeitenden

Dieses Muster findet sich in nahezu jedem Unternehmen. Die leistungsstärksten Mitarbeitenden werden nicht entlastet, sondern systematisch überfordert. Und genau hier liegt das Problem, was ein stilles, aber massives Führungsversagen ist, das Unternehmen langfristig teuer zu stehen kommt.

 

Jede Organisation hat eine Handvoll Menschen, die verlässlich liefern. Das sind die „Go-to“-Personen, an die sich Kolleg:innen und Führungskräfte wenden, wenn es brenzlig wird. Ihre Kompetenz macht sie unersetzlich. Genau diese Unersetzlichkeit wird ihnen zum Verhängnis.

Zu wertvoll, um befördert zu werden?

Während andere mit ihrem Arbeitspensum kämpfen, wird ihnen stillschweigend mehr aufgebürdet. Das Schlimmste daran ist, dass viele dieser High-Performer auf ihrer Position gefangen bleiben, weil sie zu wertvoll sind, um befördert zu werden. Unternehmen scheuen sich, sie aufsteigen zu lassen, weil sie nicht wissen, wer sonst die Lücke füllen soll. Eine paradoxe Situation: Je besser jemand arbeitet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass er oder sie Karriere macht.

 

Das klassische Peter-Prinzip besagt, dass Mitarbeitende so lange befördert werden, bis sie eine Position erreichen, in der sie überfordert sind. Im modernen Arbeitsumfeld hat sich dieses Prinzip gewandelt: Heute werden Top-Performer nicht befördert, sondern so lange belastet, bis sie ihre psychische oder physische Grenze erreichen.

 

Eine Studie von Deloitte zeigt, dass 77 Prozent der Beschäftigten bereits Symptome von Burnout erlebt haben, besonders unter den leistungsstarken Mitarbeitenden. 54 Prozent der Arbeitnehmenden, die ihren Job kündigen, tun dies laut McKinsey, weil sie sich nicht wertgeschätzt fühlen. Hier zeigt sich der Blindspot vieler Unternehmen: Nicht nur die leistungsschwachen Mitarbeitenden sind das Problem, sondern der Umgang mit den besten.

| Rheinwest HR Solutions

Was passiert mit Menschen, die dauerhaft an ihrer Leistungsgrenze arbeiten, ohne Perspektive auf Weiterentwicklung?

Sie wählen einen von drei Wegen:

  1. Overcommitment: Sie treiben sich weiter an, bis sie entweder ausbrennen oder ihr Privatleben völlig opfern.
  2. Innere Resignation: Sie reduzieren ihr Engagement, weil sie merken, dass Mehrleistung keine Vorteile bringt.
  3. Exit: Sie suchen sich einen Arbeitgeber, der ihre Kompetenz nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet.

Das Fazit ist keine Überraschung. Die fähigsten Mitarbeitenden gehen, die mittelmäßigen bleiben.

Wie Unternehmen das Hyperkompetenz-Dilemma durchbrechen können

  • Strategie 1: Arbeitslast sichtbar machen

Hohe Arbeitslast ist kein Zeichen von Exzellenz, sondern von schlechter Organisation. Unternehmen sollten systematisch messen, wie Aufgaben verteilt werden. Tools zur Kapazitätsplanung, regelmäßige Workload-Reviews und transparente Verteilung von Verantwortlichkeiten helfen, überlastete Leistungsträger:innen zu entlasten.

  • Strategie 2: Karrierepfade überdenken

Nicht jeder Top-Performer will oder sollte eine klassische Management-Karriere machen. Unternehmen sollten alternative Karrierewege für Expert:innen schaffen, mit echten Aufstiegschancen, ohne dass diese aus Angst vor Lücken blockiert werden.

  • Strategie 3: Psychologische Sicherheit fördern

Eine Unternehmenskultur, in der „Nein“ sagen ohne Angst vor negativen Konsequenzen möglich ist, schützt vor Überlastung. Führungskräfte müssen lernen, nicht nur Leistung zu fordern, sondern auch Kapazitäten und Grenzen zu respektieren.

 

Die besten Mitarbeitenden sind das wertvollste Kapital eines Unternehmens. Doch zu oft werden sie nicht gefördert, sondern verheizt. Langfristig führt das zu Frustration, Fluktuation und Leistungsabfall. Wer klug führt, nutzt Exzellenz nicht als unerschöpfliche Ressource, sondern schafft Strukturen, die Talent erhalten und wachsen lassen.

 

Die entscheidende Frage ist: Bist Du als Führungskraft Teil der Lösung oder des Problems?

 

 

Zur Person

Toygar Cinar ist Geschäftsführer der Solinger Personalberatung Rheinwest HR Solutions. Er coacht und berät HR-Abteilungen verschiedenster Unternehmen im Recruiting, Employer Branding sowie im internen Talent Management. Außerdem ist er Host des “Gamechanger”-Podcasts. Sein Credo: Oft sind es das Mindset und die Kultur, die Erfolg schaffen, nicht die Skills.

 

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