Maria Steinbrück

vor 17 Tagen

7 Min. Lesedauer

Wie es sich anfühlt zu scheitern

Wie es sich anfühlt zu scheitern

Gastartikel | Wenn man mit seinem Unternehmen scheitert, ist das schmerzhaft. Was ist es für ein Gefühl zu Scheitern und wie geht man mit dem Scheitern am besten um? Das erzählt uns Maria Steinbrück in ihrem Gastbeitrag.

(Symbolbild)

Verena Pausder antwortete auf die Frage auf der Female Future in München, was sie bezüglich Scheitern empfehlen kann, dass sie nach 25 erfolgreichen Jahren die Falsche ist, um diese Frage zu beantworten. Man sollte lieber jemanden fragen, der gerade gescheitert ist.

Ich spüre das Scheitern in der Brust. Es ist eine Enge, die mich manchmal kaum atmen lässt. Die mir Angst macht.

Ich melde mich freiwillig. Denn ich scheitere gerade. Nicht im romantisierten Sinne á la scheitere dich zum Erfolg. Sondern wahrhaftig und ganz real. Man sagt, dass jeder in einer anderen Körperregion Trauer, Wut und Schmerz spürt. Ich spüre das Scheitern in der Brust. Es ist eine Enge, die mich manchmal kaum atmen lässt. Die mir Angst macht. Noch mehr als ich sie eh schon habe.

Ich stecke mittendrin. In den nächsten Wochen klärt sich mit welchem Ausmaß ich gescheitert bin. Was das für mein zukünftiges Leben, für die nächsten zehn Jahre wahrscheinlich, heißt.

Doch starten wir gern ganz vorn.

Ich habe zwei Unternehmen. Einmal bin ich zertifizierter Coach für Mindset und Identity Work. Das habe ich 2019 gegründet und 2021 erst so richtig gestartet. Das läuft. Auch nicht linear nach oben, aber es zahlt mein Essen und meine Miete.

2020 kam ich mit einer Partnerin auf die wahnwitzige Idee straight in Corona hinein Räumlichkeiten anzubieten, die Coaches, Startups und Unternehmen für Workshops, Coachings und Interviews mieten können. Wir waren so von der Idee überzeugt, dass wir nicht weiter über die Konsequenzen durch eine nahende Pandemie nachdachten. Banken, IHK und Gründerinstitutionen bescheinigten uns, dass es eine super Idee ist und wir auf jeden Fall erfolgreich werden.

Der Start war ziemlich leicht. Der Kredit von 45.000 € wurde schnell gewährt, eine Immobilie in Köln war extrem einfach zu finden und nach Renovierung und Möblierung konnten wir am 01.11.21 öffnen. Am 2.11. wurde ein weiterer Lockdown verkündet.

In den ersten zwei Eröffnungsmonaten hatten wir null Kunden. Aber durch den Kredit etwas Puffer. Im dritten Monat hatten wir einen Kunden. Im vierten zwei. Nach sechs Monaten hatten wir mehr Ab- als Zusagen und konnten kaum unsere Miete zahlen.

Nach 7 Monaten flossen fast 5.000 € Privatkapital zusätzlich in die Immobilie, um zumindest die Miete zahlen zu können. Nach 8 Monaten mussten wir nochmal nachfinanzieren mit 25.000 € on top. Nach 12 Monaten müssen wir wahrscheinlich die Räume kündigen. Wir können sie auch mit unserem Privatkapital nicht mehr halten.

Die zwischenzeitlichen Versuche Menschen auf unsere Räumlichkeiten aufmerksam zu machen, waren erfolgreich. Dahingehend, dass uns jeder bescheinigte, dass wir eine tolle Idee haben und die Räumlichkeiten ja ach so schön sind.

Danke. Das haben wir die letzten Monate so oft gehört, dass ich es schon fast nicht mehr hören kann. Wenn es so schön ist, warum bucht ihr dann nicht? Oder sagt kurzfristig ab?

Selbst beim Schreiben muss ich mir direkt die Stirn reiben und bekomme Beklemmungen. Ich kann es immer noch nicht fassen. So viele Maßnahmen, so viele Stunden den Kopf zerbrochen, so viel physische Arbeit, die hineingeflossen ist.

Mein Inneres kann aufnehmen, dass ich wahrscheinlich die nächsten 10 Jahre 35.000 € plus 6 Monatsmieten bis zur Kündigung der Immobilie abzahlen muss. Ich zweifle nicht daran, dass ich das nicht schaffe. Es tut dennoch weh. Weh, weil ich nicht gerne scheitere. Weh, weil alle mir erzählen, welche tollen Learnings ich daraus ziehen kann.

Ich scheitere gerade. Und ja, ich würde so nicht wiedermachen.

Welche ziehe ich denn daraus?

Dass ich nicht mehr in die Immobilienbranche will? Dass ich nicht gut genug im Netzwerken bin? Dass ich zu schnell aufgegeben habe? Dass ich nicht zu viel auf einmal wollen darf? Mich lieber erstmal um das eine Business kümmern und dann erst um das andere.

Mein Verstand weiß, dass ich in nicht allzu langer Zeit, viele Learnings erzählen kann und dass mich dieses Scheitern starkmachen wird. Jetzt, genau in diesem Moment fühlt es sich einfach nur scheiße an. Nicht zu wissen, ob ich Geld für ein Haus haben werde, weil ich so blauäugig gegründet habe.

Da ist sie wieder diese Enge. Als würde eine sehr starke Hand in meinem Inneren die Brust zusammenziehen und drücken, wie bei der progressiven Muskelentspannung, nur, dass die Hand vergisst loszulassen.

“Scheitern macht dich stärker” kann gern auf irgendeinem bedruckten Kissen stehen. Nur nicht auf meiner Couch. Dies ist auch kein Pamphlet dafür, nie wieder etwas zu wagen oder scheitern zu verurteilen. Nur ein ganz intimer, echter Blick darauf, wie sich Scheitern in dem Moment anfühlt. Wenn du nachts aufwachst, mit der Enge in der Brust und dich fragst, wie, wie, wie. Und keine Antwort darauf findest, dir die Tränen runterkullern und du nicht weißt, welche Antwort du dir geben sollst.

Ich scheitere gerade. Und ja, ich würde so nicht wiedermachen. Ich würde auf mein Bauchgefühl hören, dass mir von Anfang den richtigen Weg gewiesen hat (nämlich es nicht zutun) und mir nicht von anderen erzählen lassen, wie toll und vielversprechend meine Idee doch ist.

Über die Autorin:

Maria Steinbrück ist als zertifizierte Coach für Mindset und Identity Work unterwegs und hilft angehenden Solopreneuren dabei, ihre CEO-Identität zu entwickeln und in ein erfülltes Leben zu starten. Mit tiefen Wurzeln im Online-Marketing und Aufbau von Personal Brands hat sie nicht nur Preise gewonnen, sondern bringt Konzeptionsgeschick, Strategisches Denken und Coachingmethoden mit. Als IamRemarkable Faciliatorin unterstützt sie aktiv in der Google-Gemeinschaft unterrepräsentierte Gruppen und möchte sich für eine Kultur des Scheiterns und der „Makel“ stark machen.

Hier geht es zu der aktuellen Podcastfolge von "STRIVE up your life":

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