Elena Mertel

vor 14 Tagen

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Nächstes Mal nehmen wir einen Mann!

Gastbeitrag | Auch 2022 ist Kinderkriegen, Karriere und echte Gleichberechtigung noch ein schwieriges Thema – was wir tun können, damit die „neue Arbeitswelt“ wirklich neu wird, erklärt uns Elena Mertel in ihrem Gastbeitrag.

Nächstes Mal nehmen wir einen Mann!

(Symbolbild)

„Nächstes Mal nehmen wir für den Job einen Mann.“ Das war die Reaktion eines Auftraggebers, als ich ihm mitteilte, dass ich schwanger bin. Er versuchte, seinen Kommentar noch als Scherz zu kategorisieren und schob ein unbeholfenes „Aber erst mal Glückwunsch – als Chef schluckt man da natürlich erst mal“ hinterher. Manchmal sollten Männer einfach die Klappe halten.

Wie kann es sein, dass große Konzerne viel über ihre New Work-Bestrebungen kommunizieren und strukturell und kulturell so wenig vorangeht?

Wie viele gut ausgebildete, ambitionierte Frauen in meinem Umfeld habe ich lange nach dem richtigen Zeitpunkt Ausschau gehalten, um meinem Kinderwunsch eine reelle Chance zu geben. Erst fehlten die ernst zu nehmenden Männer. Dann war beruflich viel zu tun. Schließlich schob sich die dunkle Annahme davor, dass wir gesellschaftlich zwar viel über Vereinbarkeit diskutieren, ich in meinem Umfeld aber kaum Paare sehe, die ökonomisch ein gleichberechtigtes Modell leben.

Kein Wunder, dass viele Frauen Angst davor haben, Mutter zu werden, wenn die Arbeitswelt von heute noch nach den Spielregeln von gestern tickt: Aufstieg oder Work-Life-Balance. Kind oder Karriere. Wie kann es sein, dass große Konzerne viel über ihre New Work-Bestrebungen kommunizieren und strukturell und kulturell so wenig vorangeht? Warum tun sich Frauen in unserer ach so neuen Arbeitswelt so schwer damit, die eigenen Bedürfnisse an Karriere und Vereinbarkeit zu kommunizieren und entsprechende Rahmenbedingungen einzufordern? Und was tragen Männer zu einem zeitgemäßen Karriereverständnis bei?

„Irgendwann werde ich“ ist verdammt spät In meinem Umfeld beobachte ich jeden Tag Frauen zwischen 30 und 40, die ihre Zukunft aufschieben. „Irgendwann will ich Kinder“ höre ich von den ehrgeizigen Mid-30ern. „Irgendwann will ich nochmal wechseln“, erzählen mir die unzufriedenen Teilzeitmütter, die längst innerlich gekündigt haben. „Irgendwann mache ich nochmal was ganz anderes “ kommt es von den Unsicheren, die wissen, dass sie nicht mehr am richtigen Fleck sind, um berufliche Erfüllung zu finden.

Irgendwann kommt mir verdammt spät vor, wenn man bedenkt, dass unser Leben im Grunde die Konsequenz unserer Entscheidungen ist. Dazu zählt auch die aktive Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wann du Kinder planst und wie du das mit deinem Beruf verbindest. Dass es dann noch längst nicht nach Plan laufen kann, steht nochmal auf einem anderen Blatt. Trotzdem: Der erste Schritt ist die persönliche Entscheidung. Dir Klarheit über das zu verschaffen, was du wirklich willst und dich auf den Weg dahin zu machen. Dir Ziele zu setzen, dich aus Kontexten zu lösen, die dir nicht nützlich erscheinen und zuerst „Ja“ zu dir zu sagen und im Zweifel häufiger „Nein“ zu anderen. Nie war es egaler, was Außenstehende darüber denken.

Was uns nicht bewusst ist, können wir nicht ändern

Uns werden in diesem Leben immer Typen wie mein Auftraggeber begegnen, die einen alten weißen Mann verschluckt haben. Typen, die in hohen Positionen sitzen und es besser wissen sollten. Die Frage ist, was wir daraus lernen. Was wir für uns persönlich und unser Handeln daraus ableiten. Ob wir uns zum Opfer unserer Umstände machen und ihnen damit die Deutungshoheit überlassen oder ob wir ihnen etwas entgegensetzen.

Die meisten von uns sind so damit beschäftigt anderen zu gefallen, dass keine Energie bleibt, dir zu überlegen, welches Leben du leben willst. Die großen und die kleinen Fragen also. Was für ein Mensch willst du sein? Was heißt es konkret, wenn du danach lebst? Was uns nicht bewusst ist, können wir nicht ändern. Doch sobald es uns bewusst ist, können wir gar nicht anders als es zu ändern.

Eine neue Arbeitswelt entsteht nur dann, wenn wir wirklich neue Regeln aufstellen.

Schon klar, dass das nicht einfach ist. Wir sind alle Teile von irgendwelchen Systemen. Systeme, die nicht frei sind von strukturellen Defiziten und Diskriminierung. Deshalb genügt es auch nicht, wenn Agenturen wohlklingende 10 Punkte-Pläne entwerfen und das „New Work“ nennen. Es genügt vor allem dann nicht, wenn die, die diese Pläne entwerfen, selbst nicht auf ihre diskriminierenden Denk- und Verhaltensmuster schauen.

Her mit dem neuen Karriereverständnis – für Frauen und Männer

Den Frauen machen wir es zu leicht, die beruflichen Ambitionen runterzuschrauben und den Männern zu schwer, schreibt Sheryl Sandberg in ihrem Bestseller „Lean In“. In vielen Konstellationen tragen Männer noch häufig die Hauptverantwortung für das finanzielle Auskommen. In Folge knüpfen sie ihren Selbstwert damit ausschließlich an ihren beruflichen Erfolg. Dass sie in diesem Set-up oft keinen anderen Ausweg sehen, als im Karriere-Hamsterrad immer schneller zu laufen, wundert nicht.

Ich sehe eine Vielzahl von Männern, die dieses Hamsterrad gern gegen etwas mehr Zeit mit sich selbst oder für andere Lebensbereiche eintauschen würden. Was es dafür braucht, ist ein zeitgemäßes Karriereverständnis: Kurven und Pausen im Leben sind okay. Und „Höher, schneller, besser“ muss nicht immer das Ziel sein. Eine neue Arbeitswelt entsteht nur dann, wenn wir wirklich neue Regeln aufstellen. Niemand hat 2022 schließlich noch Lust auf Narrative von vorgestern, Ungleichbehandlung und zu große Egos.

Über die Autorin:

Elena Mertel ist Systemische Organisationsentwicklerin, Business Coachin und Gründerin von RIA META. Nachdem sie rund 10 Jahre in Agenturen, Unternehmen und im Public Sector tätig war, hat sie sich während Corona selbstständig gemacht. Elena berät Unternehmen und Führungskräfte und unterstützt Menschen und Teams dabei, Veränderungsvorhaben erfolgreich umzusetzen. Auf LinkedIn teilt sie praktische Tipps und Impulse zu den Themen New Work, Leadership und Selbstführung.

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