Insa Schniedermeier

20. September 2021

9 Min. Lesedauer

Das erste Interview der neuen Doppelspitze von Syzygy

Die 550 Mann und Frau starke Full-Service-Digitalagentur Syzygy bekommt gerade viel Aufmerksamkeit, da sie etwas geschafft hat, woran sich viele Unternehmen die Zähne ausbeißen: Eine weibliche Doppelspitze in Vorstand und Aufsichtsrat. Mit der Berufung von Antje Neubauer (51) zur Aufsichtsratsvorsitzenden stehen nun seit September zwei kompetente, mutige und visionäre Frauen an der Spitze des Unternehmens. Wir haben mit CEO Franziska von Lewinski (49) und ihrer neuen Sparringspartnerin über ihre Pläne, Visionen, Netzwerke und über ihre Einschätzung zu Sexismus in der Agenturwelt gesprochen.

Frau Neubauer, herzlichen Glückwunsch zu der Aufsichtsratsposition bei Syzygy. Bislang haben Sie auf Kundenseite gearbeitet und unter anderem die PR- und Marketingabteilung der Deutschen Bahn geleitet. Warum jetzt der Wechsel auf Agenturseite?

Neubauer: Danke für die guten Wünsche. Für mich ist es jedoch weniger ein Wechsel, sondern ein neuer Abschnitt. Aus dem operativen Tagesgeschäft bin ich vor zwei Jahren ausgestiegen, weil ich es so wollte. Aber es hat mich weiterhin gereizt, meine Erfahrungen im Marketing und der Kommunikation einzusetzen. Nur eben in einem anderen Kontext. Und da kam das Angebot, Aufsichtsrätin der Syzygy Group zu werden. Ein börsennotiertes Unternehmen, mit einer starken Position in der Digitalisierung von Marketing und Vertrieb, mit einer weiblichen CEO und einem starken Team – das hat einfach gepasst. Umso mehr freue ich mich, dass ich jetzt den Aufsichtsrat als Vorsitzende anführen darf. Worin ich eine verantwortungsvolle Aufgabe sehe: Das Kontrollgremium hat schließlich die Interessen aller Anteilseigner im Blick.

Das erste Interview der neuen Doppelspitze von Syzygy
Das erste Interview der neuen Doppelspitze von Syzygy

Welche großen Herausforderungen wollen Sie mit Syzygy angehen?

Neubauer: Marketing und Vertrieb stehen aufgrund der digitalen Transformation vor großen Herausforderungen. Was sich so abstrakt anhört, ist ja kein Selbstzweck. Es berührt wirklich jedes Unternehmen, jede Marke und nahezu alle Verbraucher:innen. Und genau hier kann Syzygy helfen.

Von Lewinski: Digital hat die Kraft, Unternehmen und Marken zu Wachstum und Zukunftssicherheit zu verhelfen. Das bringt uns bei Syzygy einen anhaltenden Schub. Wir liegen im Plan, mit neuen Kund:innen wie die Frankfurter Buchmesse oder Miles&More, mit einem Umsatzzuwachs von rund 10 Prozent und mit einer steigenden Profitabilität. Wir schaffen neue Arbeitsplätze und suchen dafür Talente und Expert:innen. Das ist übrigens gerade eine der größten Herausforderungen.

 

"Natürlich wissen wir beide, dass Syzygy nun eine der ganz wenigen deutschen Aktiengesellschaften ist, die eine weibliche Doppelspitze haben. Wenn wir damit zum Vorbild für andere Unternehmen werden, umso besser." – Franziska von Lewinski

 

Was bedeutet Ihnen die weibliche Doppelspitze, Frau von Lewinski?

Von Lewinski: Antje Neubauer hat sich in dem Auswahlverfahren für den Aufsichtsrat ja vor allem deshalb durchgesetzt, weil ihre fachlichen Qualitäten, ihre fundierte Berufserfahrung und ihre ausgeprägte Kompetenz bestens zu Syzygy passen. Zudem hat Antje die Kundenbrille auf und kann uns als Sparringspartner, als Beraterin und eben als Kontrolleurin wichtige Impulse geben. Natürlich wissen wir beide, dass Syzygy nun eine der ganz wenigen deutschen Aktiengesellschaften ist, die eine weibliche Doppelspitze haben. Wenn wir damit zum Vorbild für andere Unternehmen werden, umso besser.

 

Würden Sie sagen, dass es lukrativer ist, Frauen zu besetzen?

Von Lewinski: Es ist gut für ein Unternehmen und gut für die jeweilige Person, eine Stelle so zu besetzen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter ihre und seine Fähigkeiten und Interessen einbringen kann. Und natürlich auch die individuellen sozialen und kulturellen Kompetenzen. All das wird sichtbarer und wirksamer, wenn in den Teams nicht nur Tobias, Andreas und Oliver am Tisch sitzen. Geschlechterdiversität ist da allerdings nur ein Punkt. Ich glaube, dass es grundsätzlich gut ist, wenn eine Belegschaft bunt und kulturell vielgestaltig ist und wenn sich dort unsere gesellschaftliche Realität widerspiegelt. Weil so viel eher kreative Krafträume entstehen. Meine Erfahrung zeigt mir: Überzeugende Ideen und echte Innovationen entstehen vor allem in gemischten Teams.

 

"Sexismus ist ein branchenübergreifendes, ein gesamtgesellschaftliches Thema. Es ist ein Thema, das in allen Unternehmen adressiert werden muss, nicht nur in der Agenturlandschaft." – Antje Neubauer

 

Wir müssen einmal den Elefanten im Raum ansprechen: Letztes Jahr wurde die Agentur Scholz & Friends aufgrund eines Sexismus-Skandals in der Presse zerrissen. Was hat sich seitdem in der Werbebranche getan?

Von Lewinski: Der Skandal hat gezeigt, dass wir noch lange nicht da sind, wo wir eigentlich hin müssen in punkto Gleichberechtigung. Das gilt natürlich nicht nur für unsere Branche, sondern meiner Meinung nach für die gesamte Gesellschaft. Ich war froh, dass Scholz & Friends derart transparent und aktiv mit diesem Skandal umgegangen ist, die Sache intern aufgearbeitet hat und auch neue Strukturen geschaffen hat, die eine Wiederholung hoffentlich verhindern.

Neubauer: Sexismus ist ein branchenübergreifendes, ein gesamtgesellschaftliches Thema. Es ist ein Thema, das in allen Unternehmen adressiert werden muss, nicht nur in der Agenturlandschaft. Das Ziel sollte sein, ein Fundament zu schaffen, wo es keinen Nährboden mehr gibt für Sexismus oder für Diskriminierung welcher Art auch immer.

 

Kurz nach einer Wahl müssen wir uns fragen: Welche Impulse muss die Politik geben, um solche Zustände zu vermeiden?

Von Lewinski: Mir geht es mit der Geschlechtergleichheit in Führungspositionen immer noch viel zu schleppend voran. Ich glaube fest daran, dass solche Skandale nicht mehr passieren würden, wenn wir eine echte Geschlechterparität hätten. Wir brauchen gesetzliche Quoten, um schnell zu einer 50/50 Gender Diversity zu kommen. Für mich steht dabei übrigens fest, dass wir dafür die Unterstützung all der Männer brauchen, die wissen, wie wichtig Diversität auch im Berufsleben ist.

Neubauer: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist mir immer noch nicht weit genug. Darunter leiden aber nicht mehr nur die Frauen. Wenn etwa ein Abteilungsleiter sagt, er möchte gerne Elternzeit nehmen, dann kann es kräftig Gegenwind von den Kollegen geben. Es braucht eben immer eine kritische Masse, bis sich Dinge normalisieren. Es braucht mutige Menschen, die vorweg gehen. Es braucht Führungspersonal, das für Gleichberechtigung - in welcher Situation auch immer - verlässlich einsteht. Und eine Politik, die die Rahmenbedingungen schafft, damit die kritische Masse endlich entsteht.

 

"Die Bedürfnisse und Erwartungen der Verbraucher:innen haben sich stark und dauerhaft verändert. Wer das als Unternehmen oder als Marke geringschätzt oder sogar ignoriert, ist schnell raus." – Franziska von Lewinski

 

Und wenn Sie Ihre Perspektive etwas erweitern und insgesamt auf unsere Wirtschaft schauen?

Von Lewinski: Dann bin ich bei der Digitalisierung, dem zweiten Thema, das mich ziemlich umtreibt und das leider noch nicht von allen in seiner ganzen Tragweite erfasst wird. Die Corona-Pandemie und die Lockdowns haben vor allem in den heimischen Wohn- und Arbeitszimmern für einen enormen Digitalisierungsschub gesorgt: Online einkaufen, Yoga online, Gottesdienste online, Museumsbesuche online, Videochats – all das wurde für viele Millionen Menschen selbstverständlich. Wir bei Syzygy nennen es die große digitale Beschleunigung. 18 Millionen Menschen haben innerhalb eines Jahres nach Ausbruch der Pandemie allein in Deutschland ihre private Bildschirmzeit um 50 Prozent oder mehr gesteigert. Die Bedürfnisse und Erwartungen der Verbraucher:innen haben sich stark und dauerhaft verändert, die Ansprüche an digitale Produkte und Dienstleistungen, an digitale Erlebnisse steigen stetig. Wer das als Unternehmen oder als Marke geringschätzt oder sogar ignoriert, ist schnell raus. Deswegen wird es auch endlich Zeit für ein Digitalministerium, das dieser neuen Wirklichkeit gerecht wird und uns auch international wieder wettbewerbsfähig macht. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch darum, wie schnell wir digitalisieren. Bitte nicht mehr lamentieren, sondern einfach machen.

Neubauer: Wir stehen vor der großen Aufgabe, unsere Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung in allen Bereichen und auf allen Ebenen umfassend zu digitalisieren. Dafür benötigen wir auch ein entsprechendes Bewusstsein, übrigens auch bei den Politiker:innen. Digital sollte wirklich in jedem Ressort stecken. Auch weil die Digitalisierung, finde ich, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Nicht zuletzt, weil es ja auch um Datenschutz und Verbraucher:innenrechte geht.

 

Die Politik könnte gute Beraterinnen wie Sie gebrauchen. Wer berät Sie, wenn Sie eine andere Perspektive brauchen?

Von Lewinski: Ich habe früh verstanden, dass man in und mit einem Team größer wird. Deswegen habe ich mir bewusst Unterstützer:innen gesucht und ein Netzwerk aufgebaut, und zwar aus Männern und Frauen, im Privaten wie in den Unternehmen, in denen ich gearbeitet habe. Austausch, Reflexion, Diskussion, auch mal eine offene konstruktive Konfrontation – große Themen lassen sich im Alleingang eher nicht vernünftig lösen.

 

"Der Blick allein auf das, was andere machen, ist kein wirklicher Innovationsvorsprung." – Antje Neubauer

 

Welche Rolle spielt bei Ihnen das Netzwerk? Gibt es z.B. einen Austausch mit den führenden Female-Köpfen anderer Agenturen?

Von Lewinski: Ich bin jemand, die sehr interessiert ist an anderen Perspektiven und Meinungen. Impulse von außen pflege ich daher sehr bewusst und entwickle daraus meine eigenen Strategien und Richtungen. Und dazu gehört für mich unbedingt auch der Austausch mit anderen „female leaders“. Zum Glück gibt es mittlerweile immer mehr Agenturen, die auch von Frauen geführt werden. Das ist gut und wichtig, damit sich auch in unserer Branche die Kultur verändert.

Neubauer: Ja, ich glaube, dass ein starkes Netzwerk ein wichtiger Erfolgsfaktor ist. Ich habe sehr davon profitiert, gebe auch viel zurück und investiere hier einige Zeit. Der stete Austausch zu grundsätzlichen Themen wie Führung, neue Arbeitsmodelle, Diversity und Nachhaltigkeit ist mir sehr wichtig. Allerdings muss man seine Hausaufgaben für das eigene Business schon selber erledigen. Da ist der Blick allein auf das, was andere machen, kein wirklicher Innovationsvorsprung. Genau auf den Innovationssprung setzen wir aber bei Syzygy.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau von Lewinski und Frau Neubauer und viel Erfolg für die Zusammenarbeit!

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