Kristina Kreisel

17. Juni 2024

11 Min. Lesedauer

“Der Nanny-Staat vertreibt die Leistungsträger”

Nur noch gut 25 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland streben eine Führungsrolle an. Familienunternehmer-Präsidentin Marie-Christine Ostermann erklärt, warum wir uns damit ins eigene Fleisch schneiden, Höchstarbeitszeiten kontraproduktiv sind und wieso sie selbst gerne Chefin ist.
“Der Nanny-Staat vertreibt die Leistungsträger”
"Der Staat behandelt uns wie unmündige Kinder und vertreibt die Leistungsträger", kritisiert Ostermann | Foto: Anne Grossmann

Chef:innen haben ganz offensichtlich ein Imageproblem. Nicht zwangsläufig als Einzelpersonen, aber den Wunsch, selbst Führungskraft zu werden, hegen immer weniger Menschen in Deutschland. Das zeigen Zahlen der "Initiative Chef:innensache". Nur noch etwas mehr als jede:r Vierte strebt demnach noch eine Führungsposition an. 

 

Das Bedenkliche: Die Zahl sinkt seit Jahren. Führen ist für viele nicht mehr attraktiv. STRIVE hat darüber mit Marie-Christine Ostermann gesprochen. Die 46-Jährige ist geschäftsführende Gesellschafterin des Lebensmittelgroßhandels Rullko und seit 2023 Präsidentin des Wirtschaftsverbands "Die Familienunternehmer". Damit vertritt sie die wirtschaftspolitischen Interessen von 180.000 Unternehmer:innen, die mehr als acht Millionen Mitarbeitende beschäftigen. 

  

STRIVE: Frau Ostermann, warum sind Sie gerne Chefin? 

 

Marie-Christine Ostermann: Das hat viel mit Glücklichsein zu tun. Jede Führungskraft kann etwas mehr eigene Ideen umsetzen als ihre Mitarbeiter, das ergibt mehr Erfolgserlebnisse. Auf jeder Führungsebene nehmen dann die Gestaltungspielräume zu – und damit die Erfolgserlebnisse. Aber natürlich auch die Verantwortung, dass alles gut läuft.

 

Die Krönung ist, wenn man ein eigenes Unternehmen führen kann. Wenn man ein gutes Team an Mitarbeitern hat, die man im Idealfall auch noch selbst ausgebildet hat, und wenn das eigene Unternehmen dann trotz aller Konkurrenz wächst, so dass man noch mehr Mitarbeitern eine wirtschaftliche Basis geben kann, dann bin ich glücklich. In Deutschland ist es für jeden recht einfach, sein eigenes Unternehmen zu gründen. Mit 16 Jahren wusste ich, dass ich den Betrieb meiner Eltern und Großeltern weiterführen wollte. Und es war die beste Entscheidung meines Lebens.  

 

"Der Staat behandelt uns wie unmündige Kinder"

 

Trotzdem wollen immer weniger Menschen führen. Wie erklären Sie diesen Trend?

 

Das ist eine schwierige Frage. Sicherlich trägt aber der Nanny-Staat dazu bei, dass es immer weniger Menschen gibt, die vorangehen und Verantwortung übernehmen wollen. Der Staat mischt sich übermäßig in das Leben der Menschen ein, lenkt und kontrolliert – beispielsweise mit einer genau regulierten täglichen Arbeitszeit. Er behandelt uns Bürger wie unmündige Kinder und vertreibt die Leistungsträger. Eigenverantwortung wird nicht gerade gefördert. 

 

| Foto: Grossmann

Sie sind Präsidentin des Familienunternehmer-Verbands, sprechen für 180.000 Unternehmen. Wie akut ist das Problem der Führungsaversion in Deutschland schon? Haben Sie bereits Probleme, Führungsrollen zu besetzen? 

 

Ich beantworte Ihre Frage mal mit Blick auf die fast 200.000 Unternehmensübergaben, die in den nächsten zwei Jahren anstehen: Ja, viele top ausgebildete junge Unternehmer werden den elterlichen Betrieb übernehmen. Aber in der Tat dürfte es auch allein aufgrund der Demografie zu Engpässen kommen. Zudem stehen jungen Menschen heute alle Türen offen. Nachfolger können heute alles machen. Sie können gut bezahlte Jobs in ausländischen Metropolen annehmen statt sich im elterlichen Betrieb auf dem Land mit Bürokratie herumzuschlagen. 

"Gibt es immer weniger Menschen, die unternehmerisch tätig sind, bekommen wir ein gewaltiges Problem." 

 

 

Wie bewerten Sie den Trend – und was bedeutet es für uns als Volkswirtschaft, wenn immer weniger Menschen in Führung gehen möchten? 

 

Wir erleben es ja schon an der Zahl derjenigen, die sich selbständig machen oder neu gründen wollen. Diese Zahlen gehen seit Jahren kontinuierlich zurück. Der aktuelle Bundesfinanzminister hat einmal gesagt, dass Gründungen wie die „Hefe im Teig einer Volkswirtschaft“ sind. Das trifft ganz besonders auf unser Land zu.

 

Gibt es immer weniger Menschen, die den Mut haben, unternehmerisch tätig zu sein, dann bekommen wir ein gewaltiges Problem. Unser Wohlstand wird dann immer schwerer zu halten sein. Es ist daher von größter Bedeutung, dass wir als Gesellschaft Wege finden, um die nächste Generation für Führungsrollen zu begeistern und sie entsprechend zu fördern.  

 

Was können wir denn tun, damit es wieder erstrebenswerter wird, Chef:in zu sein oder zu werden?

 

Wir sollten schon jungen Menschen Mut machen, Verantwortung zu übernehmen und unternehmerisch tätig zu sein. Das setzt voraus, dass es ein positives Unternehmerbild im Schulunterricht gibt. Da gibt es viel Nachholbedarf, wie eine Studie von "Die jungen Unternehmer" kürzlich feststellte. Auch könnte ein flächendeckendes Schulfach Wirtschaft dazu beitragen, dass die Lust an Unternehmertum und an Führung gefördert wird. Darüber hinaus sollte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil flexible Arbeitsmodelle fördern, die es ermöglichen, Führungsverantwortung und persönliche Lebensziele in Einklang zu bringen. Starre gesetzliche Vorgaben wie eine tägliche Höchstarbeitszeit helfen da nicht, eine wöchentliche Obergrenze würde schon viel mehr Flexibilität ermöglichen. 

 

Was ist Ihr Tipp an alle Frauen und Männer da draußen, die gerade an einem Punkt sind, an dem sie die Chance hätten, Führungskraft zu werden, aber unsicher sind, ob das der für sie richtige Weg ist?

 

Einfach mal ausprobieren! Wenn es keine Freude macht, kann man ja immer noch was anderes machen. 

  

 

| Foto: Grossmann

 

Zur Person 

Marie-Christine Ostermann (46) ist Unternehmerin und Präsidentin des Familienunternehmer-Verbands. Sie engagiert sich für mutiges Unternehmertum und dafür, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene besser in unternehmerischen Fähigkeiten trainiert werden. Deshalb hat sie 2015 gemeinsam mit anderen Unternehmer:innenn die Non-Profit-Initiative "Startup Teens" gegründet, die jungen Innovator:innen in Deutschland das Handwerkszeug an die Hand geben möchte, Unternehmen zu bauen und Ideen zu entwickeln, die das Wirtschaftswachstum von morgen sichern. 

 

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