Nora Weber

16. Mai 2021

9 Min. Lesedauer

Wie digital ist der deutsche Mittelstand?

Sebastian Borek ist ein Pionier in Sachen Digitalisierung, erfahrener Seriengründer, Angel Investor, Beiratsmitglied und Familienunternehmer. Er co-gründete FinLeap und trieb die Digitalisierung in diversen mittelständischen Firmen voran. Borek ist CEO und Mitgründer der Founders Foundation gGmbH in Bielefeld, die seit 2016 im Herzen des deutschen Mittelstands ein nachhaltiges Startup-Ökosystem aufbaut und die nächste Generation erfolgreicher Gründer:innen und Unternehmer:innen ausbildet sowie die jährliche „Hinterland of Things“ Konferenz ausrichtet. Wir haben mit ihm über den Digitalisierungs-Status-Quo im deutschen Mittelstand gesprochen, was sich dieser von anderen Ländern abschauen kann und vor welchen Herausforderungen wir noch stehen.

Wie digital ist der deutsche Mittelstand?
Wie digital ist der deutsche Mittelstand?

Sebastian, wie weit sind deutsche Familienunternehmen in Sachen Digitalisierung?

Da gibt es keine “One size fits all” Antwort. Die deutschen Familienunternehmen sind sehr unterschiedlich aufgestellt. Einige haben in den letzten Jahren enorm aufgeholt, andere schieben das Thema immer noch vor sich her. Was grundsätzlich alle gemeinsam haben ist, dass sie in Generationen denken und dadurch weitsichtiger und oft auch verantwortungsvoller ihr Handeln planen und umsetzen. Die meisten mittelständischen Unternehmen sind allerdings nicht ausreichend fit für exponentielle Veränderungen – sie haben Strukturen, um effizient den Status Quo zu adressieren, aber eben nicht die Fähigkeiten, um den Wandel zu gestalten. Oft ist der Firmensitz in Flächenregionen, was den Zugang zu Talenten und Inspiration von Trends erschwert. Als ich damals selbst im Familienbetrieb den digitalen Wandel einleiten sollte, habe ich hohe Skepsis bei vielen Mitarbeiter:innen gespürt. Gerade wenn Veränderung mit der Angst um den eigenen Arbeitsplatz einhergeht, ist die Offenheit neue Wege zu gehen, häufig nicht da. Erfolgreich zu transformieren kann nur gelingen, wenn alle bereit sind mehr zu geben und auch zu riskieren.

 

Was empfehlen Sie anderen, die eine ähnliche Herausforderung vor sich haben?

Klare Definition und Kommunikation einer kraftvollen Vision, die für alle verständlich ist und vor allem inspiriert. Unternehmer:innen und Mitarbeiter:innen brauchen faktisch einen neuen Vertrag, der das Commitment von beiden Seiten einfordert. Mit dem klassischen 9 to 5 Modell ist der Wandel aus meiner Sicht kaum möglich. Im Grunde geht es um eine konzeptionelle Neugründung in einer alten Schale.

 

Haben Sie mal einen richtigen “Fuck Up” erlebt, bei dem Versuch ein Unternehmen Zukunftsfit zu machen?

Natürlich. Meine „größten Fuckups” habe ich dann erlebt, wenn ich die Menschen und die Kultur der Firma falsch eingeschätzt habe. Es sind oft die vielen kleinen Fuckups, die einen Transformationsprosses blockieren. Da wäre zum Beispiel mein Versuch, intern mehr über Skype statt mit Telefon und Email zu kommunizieren, der überhaupt nicht mit der Unternehmenskultur vereinbar war. Auch hatten unsere Kunden die Nutzung von Skype aus Datenschutzgründen vertraglich untersagt. Transformation hängt auch immer stark an der gesamten Industrie, in der ein Unternehmen agiert.

 

Mal ehrlich, woran hakt’s bei den Unternehmen in Deutschland? Warum klappt es mit der Digitalisierung noch nicht so ganz?

An der Kultur und mangelnder Bereitschaft, das Gewohnte und Bequeme zu verlassen, um unsichere Dinge auszuprobieren und neue Dinge zu lernen. Aktuell werden nicht alle Mitarbeiter:innen ausreichend mitgenommen. Darin liegt für mich der Kern nachhaltiger, zukunftsfähiger Führung. Ich vertrete die Auffassung, dass Unternehmer:innen für die Qualifizierung und Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter:innen verantwortlich sind.

 

Erhöht sich das Tempo bei der Digitalisierung, wenn es einen Generationswechsel an der Spitze gibt?

Es liegt sicherlich in der Natur eines Generationswechsels, dass „neue” Wege eingeschlagen werden. Neue Köpfe denken eigene Wege, wollen eigene Fußspuren hinterlassen. Diese Ambition der nachfolgenden Generationen, gepaart mit unternehmerischer Passion und der fachlichen Kompetenz, kann der Digitalisierung auf jeden Fall an Geschwindigkeit verleihen. Ein „Das haben wir aber schon immer so gemacht” wird als Argument nicht mehr akzeptiert – und das ist gut so, denn sein wir mal ehrlich: Als Argument oder Strategie klingt das wirklich ziemlich uninspirierend.

 

Wie viele Familienunternehmen werden an die Töchter übergeben?

Immer mehr! Und das ist eine gute und wichtige Entwicklung. Ich bin überzeugt, dass auch hier noch viel mehr Potenzial ist. Aber überhaupt eine passende Unternehmensnachfolge innerhalb einer Familie zu finden, die die notwendigen Kompetenzen und die Leidenschaft mitbringt, ist schon schwierig genug, umso größer die Unternehmung ist. Wenn dann noch der Suchradius auf ein Geschlecht begrenzt wird, ist das schon alleine aus unternehmerischer Sicht falsch und schlecht. Es sollte immer um fachliche Entscheidungskriterien wie Qualifizierung, Leidenschaft und Kompetenz gehen unabhängig von Gender. Ich bin sehr froh, dass hier in den letzten Jahren viel in Bewegung gekommen ist. Ich persönlich sehe eine weibliche Nachfolgerin als ein starkes Signal für ein zukunftsfähiges Unternehmen. Cathrina Claas-Mühlhäuser, Vorsitzende des Aufsichtsrats bei Claas ist dafür ein fantastisches Beispiel aus unserem direkten Umfeld! Über viele Generationen hinweg wurden Frauen nahezu kategorisch von Führungsrollen ausgeschlossen und damit sind uns sicherlich einige tolle Talente entgangen. Den Fehler haben wir in der Founders Foundation schon mal umgangen: Bei uns sind zwei von unseren drei Team-Direktoren Frauen. Wir brauchen starke Führungs-Talente und deshalb dürfen wir in Zukunft nicht kategorisch 50% der Bevölkerung davon ausschließen!

 

Gibt es Regionen, die besonders digital sind? Wenn ja, woran liegt das?

Estland und Israel aber auch Singapur sind gute Beispiele für extrem digitale Ökosysteme. Aus meiner Sicht liegt dies daran, dass die Regierungen dort schlichtweg innovativ und offen mit den technologischen Möglichkeiten umgehen. Wir hatten Toomas Hendrik Ilves, den Präsidenten von Estland bei uns in der Founders Foundation zu Besuch, der eindrucksvoll berichtete, wie das Land aus finanzieller Notwendigkeit heraus gezwungen war, innerhalb der Behörden möglichst viele Prozesse zu digitalisieren. Das Resultat: Eine amtliche Neuanmeldung dauert heute 5 Minuten per Handy. Auch die digitale Krankenakte gibt es schon seit vielen Jahren. Aus Herausforderungen entstanden hier Chancen, die mit dem Werkzeug der Digitalisierung realisiert wurden. So ein unternehmerisches Handeln ist vorbildlich! Um dies in unsere Breitengrade zu übersetzen, haben wir mit der ersten „Open Innovation City“ z.B. mit lokalen Netzwerkpartnern ein Projekt gestartet, das genau diese internationalen Innovationen und Ansätze in unsere Region Bielefeld bringen soll, um von diesem Know-How zu lernen. Es gilt, sich von Best Cases inspirieren zu lassen und zu lernen. Nicht immer ist jeder Ansatz eins zu eins kopierbar, aber es lohnt sich, erfolgreiche Ansätze unter die Lupe zu nehmen.

 

Wie wichtig sind Kooperationen mit Start-ups für den Mittelstand?

Kooperationen zwischen neuer und etablierter Wirtschaft sind essenzieller Grundstein für die wirtschaftliche Zukunft! Startups können innovative Impulsgeber für den Mittelstand sein. Aus Sicht eines Mittelständlers gilt es, die Schnelligkeit und hohe Kreativität von Startups zu nutzen. Dies kann durch Entwicklungskooperationen, Kundenbeziehungen oder aber Übernahmen geschehen, wenn ein Startup direkter Wettbewerber ist. Die Unternehmen, die sich gut mit neuen Technologien und Trends auskennen, können einen Vorsprung gewinnen, indem sie sich früher anpassen und Bedürfnisse des Markts erkennen und bedienen. Es geht im Grunde vor allem um Schnelligkeit, und dafür stellt ein offener Austausch und eine enge Vernetzung mit der Start-up Szene einen sehr klugen Lösungsweg dar.

 

Was halten Sie von "Digital Advisory Boards" um die Digitalisierung voranzutreiben?

Das ist ein Thema was mich schon seit Jahren treibt. Wir hatten ein hochdekoriertes Advisory Board in unserem Familienunternehmen, was dann in den Ruhestand ging, bevor ich übernommen habe: Durchschnittsalter 70, keine Frauen, keine digitale Expertise, aber seit 25 Jahren an Bord. Ich halte es für absolut notwendig, dass Inhaber:innen und Geschäftsführungen über einen diversen Beirat ehrliches und qualifiziertes Feedback zu Technologien, Menschen und Makroökonomischen Zusammenhängen erhalten. Hier ist die Realität noch sehr weit entfernt vom Optimum und gleichzeitig ist die Notwendigkeit immens hoch.

 

Was sind weitere Themen, die Sie zu den großen Herausforderungen in Familienunternehmen zählen würden?

Ganz klar das Thema Unternehmensnachfolge. Ein Generationenwechsel kann Chance aber auch Hindernis sein: Junge Nachfolger:innen, die neue Ideen und Visionen ins Unternehmen bringen, treffen auf gewachsene Strukturen in Betrieb und Team und haben es nicht selten schwer, sich so gegen Vorgängergenerationen durch- aber vor allem sich selbst mit ihrem eigenen Führungsstil und Geschäftsverständnis abzusetzen. Trotz dieser Hindernisse – oder gerade um ihnen entgegenzuwirken – kann es eine tolle Chance sein, junge Talente deshalb schon früh an die Spitze zu setzen, um authentisch den Wandel einzuläuten. Im Wandel jeglicher Art sind gegenseitiges Vertrauen und Gestaltungsfreiraum elementar wichtig.

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