Eigentlich reden wir hier aber nur über die ersten zwei Monate der Krise – nach einer kurzen Schockstarre hat eine sofortige Aufholjagd begonnen, da unsere Kunden schnell gemerkt haben, dass sie wertvolle Zeit verloren haben und die Digitalisierung zur Überlebensfähigkeit des Unternehmens mehr denn je brauchen. Und damit eben auch die digitalen Talente und Vorreiter.
Wer also glaubte, die Krise würde richtig viele High Potentials im Digital-Bereich auf den Markt spülen, der irrt. Vielmehr versuchen Unternehmen ihre High Performer mit allen Mitteln zu halten. Zusätzlich müssen sie Talente rekrutieren, die das Unternehmen digitalisieren, agilisieren und damit fit für die Zukunft machen.
Warum gerade jetzt in digitale Talente investieren?
Erstens: Besonders im Tech-Bereich und im datengetriebenem Performance-Marketing war der Markt auch schon lange vor der Krise schwierig und die Talente hart umkämpft. Durch das starke Wachstum im E-Commerce und eine insgesamt verschärfte Situation in der Krise sind die exzellenten digitalen Talente weiterhin rar. Unternehmen, die jetzt den Kampf um diese seltenen und begehrten Köpfe aussetzen, laufen Gefahr, wichtige Marktvorteile zu verlieren und für die Zeit nach der Krise nicht gewappnet zu sein, weil durch fehlendes Know-How entscheidende Digitalisierungsprojekte nicht umgesetzt werden können. Ohne die richtigen Leute auf den digitalen Schlüsselpositionen, werden viele Unternehmen die Folgen dieser Krise nicht kompensieren können.
Zweitens: Die Krise hat dazu geführt, dass Unstimmigkeiten und Schwächen im Unternehmen schonungslos offenbart wurden. Mangelnde interne Kommunikation sowie fehlende aber jetzt dringend erforderliche flexible Strukturen sind die Hauptgründe für Unzufriedenheit. Wir stellen in den Gesprächen mit den Kandidat:innen fest, dass vor allem High Potentials ihre derzeitige berufliche Situation zunehmend kritisch hinterfragen – bei einigen ist der Wunsch, das Unternehmen zu wechseln, überhaupt erst durch die Krise entstanden.
Recruiting in der Krise, aber wie?
Als Folge von Social Distancing hat sich der Großteil der Beschäftigten an das Arbeiten im Home Office gewöhnt. Neben flexiblen Arbeitsstrukturen, die von den meisten inzwischen vorausgesetzt werden, haben die Kandidat:innen jetzt vor allem ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit. Nur wenige von ihnen wollen noch Risiken eingehen. Das größte Hemmnis eines Jobwechsels in der Krise ist die Angst, noch in der Probezeit das Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen wieder verlassen zu müssen. Diese Angst sollte daher als Erstes genommen werden. Startups hilft es daher beispielsweise sehr, bekannte Investoren nennen zu können, die Finanzierungsrunden zugesagt oder im besten Falle bereits abgeschlossen haben.
Unternehmen, die offen und transparent kommunizieren und Kandidat:innen das Gefühl geben, einen krisensicheren Job zu haben, sind ganz klar im Vorteil. Für die Talente, die jetzt nicht unbedingt nach einer Veränderung suchen, bedarf es insgesamt noch viel mehr Überzeugungsarbeit als noch vor der Krise. Dass die Kandidatenansprache dabei jeweils sehr gezielt erfolgen und individuell aufgebaut sein muss, versteht sich von selbst. Einfaches Copy and Paste ist ein absolutes No-Go. Der bzw. die Kandidat:in muss sofort verstehen, warum der Job für ihn bzw. sie ein optimaler Match ist. In den Gesprächen muss dann vor allem deutlich werden, warum genau diese Position der Game Changer für das Unternehmen ist und diese daher auch zwingend – trotz Krise – gehalten wird.
Impact als bestes Argument
High Performer wollen genau verstehen, wie wohlüberlegt die Entscheidung zur Besetzung der Position tatsächlich ist und inwiefern die strategische digitale Ausrichtung des Unternehmens durchdacht ist. Da die digitalen Talente hoch im Kurs sind, braucht es also wahnsinnig gute Argumente, warum sie sich gerade verändern und für das Unternehmen bzw. für die Position entscheiden sollten. Das beste Argument ist hier die Chance auf größtmöglichen Impact. Die besten Köpfe bewegen so viel, weil sie es mehr wollen und weil sie es mehr brauchen als andere Leute. Sie wollen in ihrer Position direkten Einfluss nehmen und einen echten Mehrwert für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens generieren. Unternehmen, die solche Talente aus anderen Unternehmen abwerben wollen, müssen ihnen daher den weitaus größeren Impact bieten.
Mit den richtigen Talenten gestärkt aus der Krise
Der „War for Talents“ hat während des ersten Lockdowns auf die Bremse gedrückt, um für einen kurzen Boxenstopp stehen zu bleiben. Nun ist das Rennen um die besten Talente mit Vollgas auf der Überholspur zurück. Das Rennen befindet sich bereits in der zweiten Runde und ist viel schneller als zuvor, da jetzt auch die letzten Digitalisierungsverweigerer verstanden haben, dass sie an der Transformation nicht vorbeikommen werden. Die Anzahl der Unternehmen, die um die besten digitalen Talente kämpfen, wird also größer. Unternehmen, die jetzt nicht auch aufs Gaspedal drücken und anfangen Talente zu rekrutieren, werden das Rennen und damit den „War for Talents“ verlieren.
Ein effektives Talentmanagement – also die richtigen Talente für das Unternehmen gewinnen und halten zu können – ist kein Luxusproblem, sondern für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens erfolgsentscheidend. Wer sich nicht darauf vorbereitet, sondern sich im Krisenmodus weiterhin nur noch auf das blanke Überleben und nicht auf die Mitarbeiterpotenziale konzentriert, läuft Gefahr, in die nächste Krise – eine Potenzialkrise – zu schlittern.
Die jetzige Situation bietet den Unternehmen die Chance, in ihre Beschäftigten zu investieren. Denn sie sind das wichtigste Asset jedes Unternehmens und der Faktor, der darüber entscheidet, ob künftige Marktsegmente gewonnen oder verloren werden und das Unternehmen insgesamt gestärkt aus der Krise geht.
Über die Autorin
Birte Reitmann berät als Head of HR Consulting der Personalberatung D-Level diverse FMCG- und Retail-Unternehmen beim Aufbau ihrer Digitalteams. Nach ihrem Masterstudium der Wirtschaftspsychologie, war sie bereits als Beraterin für z.B. Korn Ferry und Kienbaum im Einsatz und hat marktführende Corporates und Mittelständler im Rahmen der digitalen Transformation betreut.
Transparenzhinweis: STRIVE-Herausgeberin Katharina Wolff ist auch Gründerin und CEO von D-Level.