Kolumne: Neues Unternehmertum | Was „der Purpose“ für „die Marke“ tut? Keine Ahnung! Oder besser gesagt: Falsche Frage! Denn in meinen Augen muss er nicht für die Marke oder das Marketing arbeiten. Sondern vor allem an anderer Stelle Werte schaffen.
Stefanie Kuhnhen
vor 8 Tagen
Purpose ist kein Markenthema!

Letzte Woche wurde sowohl in der Marketingfachpresse, als auch auf Konferenzen und damit auch in den Social Media mal wieder laut über den Purpose als aktueller Marketingtrend diskutiert. Und wieder wurde die alles entscheidende Frage gestellt: Wirkt er sich nun nachweislich auf die Marke aus oder eigentlich nicht?
Aus meiner Sicht ist das die falsche Frage.
Denn Purpose ist eben kein Markenthema. Und auch nicht nur Marketingthema. In meinen Augen ist Purpose ein Businessthema. Denn wäre dem nicht so, wäre „Purpose“ dann nicht einfach nur ein neues Wort für „Love Brand“ (aus den 90ern), „Werte“ (aus den 00ern) „Why“, „Haltung“, „Identität“ oder „Antrieb“ (aus den 10ern)? Und sollten wir als Bürger:innen in entscheidenden Zeiten, in denen die multinationalen Konzerne das wirtschaftliche Gewicht ganzer Staaten haben, nicht ohnehin auch mehr als „Haltung“ von den Unternehmen erwarten?
So betrachtet definiert sich Purpose weit über die Marke oder das Marketing hinaus: Der Begriff meint eben nicht mehr nur Werte oder Identität. Er meint konkret wie ein Unternehmen mit seinem Know-how, seinem Talent, seiner Leistung ein gesellschaftliches Problem mit lösen kann! Demnach sollte er auch nie nur in der Marketingabteilung angesiedelt sein. Sondern auf Unternehmensseite strategisch auf Geschäftsmodellebene verankert werden, um substantiell neues Handeln umzusetzen:
Wenn Food-Hersteller regenerative Praktiken aufsetzen, dem Boden nicht nur Nährstoffe entnehmen, sondern aktiv zuführen, wenn sie Biodiversität schützen und Kohlenstoff abspalten, setzen sie ihr Wissen nicht nur für Schadensbegrenzung, sondern aktiv für eine bessere Natur ein. Wenn Stahl- oder Aluminiumhersteller zukünftig nicht nur kohlenstofffreie Produkte herstellen, sondern ihn auch aus der Luft für eine bessere Luftqualität ziehen, fördern sie unser aller Lebensqualität. Und wenn Unternehmen einen Mindest-Nettolohn als KPI für jeden Mitarbeitenden definieren, damit bei voller Arbeitszeit für jede:n ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden kann, helfen sie, die so wichtige soziale Gerechtigkeit in unseren Gesellschaften wieder herzustellen.
Diese Gedankengänge können wir zusammen weiterspinnen: Könnten nicht Social Media Unternehmen gezielt Aufklärung und Wahrheitsfindung mit ihrem Know-how fördern, statt Filterblasen und antidemokratische Tendenzen zu fördern? Könnten Firmen, die natürliche Materialen wie Wasser oder Holz der Natur entnehmen, das Leben der Gemeinschaften, die dort leben und deren Leben sie mit ihrer Entnahme beeinflussen, aktiv verbessern? Oder könnten Verbrauchsgüter jeglicher Art von diesen Unternehmen nicht so konzipiert werden, dass sie unser Wohlbefinden gezielt steigern?
Purpose hat auf vieles verbessernde Wirkung, kurz - wie langfristig.
Dieses Invest in nicht-finanzielles, als auch in finanzielles Kapital schafft neue Mehrwerte, intern wie extern. Sie können schon heute anhand standardisierter Kennzahlen innerhalb eines breiteren Ökosystems, das alle wichtigen Stakeholder (inklusive der Shareholder) einbezieht, nachgewiesen werden: Denn Gesamtwert des Unternehmens und dessen gesamtheitliche Leistung nehmen zu. Sie zeigen, dass Purpose auf vieles verbessernde Wirkung hat, kurz- wie v.a. langfristig: auf Kostenersparnisse, Risikominimierung, Innovationskraft, Geschäftswachstum, Unternehmensreputation, Markenwert, Talentakquise oder Mitarbeiterzufriedenheit. Denn was ein Multistakeholder-Modell als Basis hat, ist auch multieffektiv.
Hören wir also endlich auf, Purpose als Markenthema zu betrachten und als Marketingthema zu diskutieren! Hören wir auf, die Marketing-Metastudien von Byron Sharp, Mark Ritson oder Les Binet nach einseitigen „Purpose-steigert-Markenwert“-Beweisen abzusuchen. Denn Purpose ist mehr und leistet mehr.
Suchen wir ihn im ganzheitlichem Unternehmenserfolg. Erfinden wir ihn nicht als Marketingstory, sondern finden wir ihn in der Ur-Leistung des Unternehmens. Und fragen wir nicht, was er für die Marke tun kann – sondern was er für ein ganzes Unternehmen, dessen Mitarbeiter:innen, dessen Kund:innen und die Gemeinschaft, in der sie leben, verbessern kann!
Haben Purpose und Marke(ting) dann nichts miteinander zu tun? Doch! Denn Marketing aktiviert den Purpose nach innen und außen – getreu dem Motto: Tue Gutes und rede darüber.
Über die Autorin: Stefanie Kuhnhen verantwortet als geschäftsführende Partnerin das strategische Produkt von Grabarz & Partner, einer der führenden inhabergeführten, kreativen Markenagenturen Deutschlands und der Welt. Nicht nur ihre Arbeiten für Unternehmen wie IKEA, Volkswagen, EDEKA oder Burger King wurden mehrfach mit nationalen und internationalen Strategiepreisen ausgezeichnet, sondern auch sie selbst. Stefanie Kuhnhen ist zweifache Mutter und hat im Frühjahr 2018 das Trendbuch „Das Ende der unvereinbaren Gegensätze" publiziert. Seit 2019 ist sie Co-Founderin des Startups „Kokoro“. Eine App, die die zentralen Faktoren gesunder Unternehmenskulturen misst und Teams aktiv dabei unterstützt, ihren emotionalen Zustand zielgerichtet zu verbessern.