Kristina Kreisel
vor 10 Tagen
„Ohne Vorwarnung anzurufen, finde ich unhöflich“
STRIVE: Isabel, Du hast in einem vielkommentierten Linkedin-Post geschrieben, dass Du es als übergriffig empfändest, wenn Du im Job-Kontext ohne Vorwarnung angerufen wirst. Was findest Du daran „übergriffig“?
Isabel Gabor: Der Begriff „übergriffig“ wird heutzutage inflationär verwendet und ich bin nicht sicher, ob es noch bessere Worte dafür gibt. Aber für mich überschreitet es auf jeden Fall eine Grenze, wenn mich jemand aus dem Nichts anruft, ohne vorher abzustecken und nachzufragen, ob ich als Gegenüber dafür gerade Kapazitäten habe oder überhaupt Interesse an einem Gespräch. Beides wird durch das Anrufen einfach vorausgesetzt. Das finde ich unhöflich.
Wenn es gerade nicht passt, muss ja niemand ans Telefon gehen.
Ja, und das mache ich inzwischen auch. Wenn Du mich unangekündigt anrufst, gehe ich nicht ran. Trotzdem reißen mich Anrufe oft aus dem Workflow. Am meisten stört mich aber das Selbstverständnis unangekündigter Anrufer:innen. Sie erwarten, dass ich immer verfügbar bin, wenn es ihnen selbst gerade passt. Das bin ich natürlich nicht. Ich wurde schon um 21 Uhr angerufen oder auch mehrfach im Urlaub, obwohl ich eine Abwesenheitsnotiz in den Mails hatte – die der Anrufer kannte.
Wir haben alle unterschiedliche Tagesabläufe, Aufgaben und Lebensrealitäten. Außerdem kann ich mich auf spontane Anrufe nicht vorbereiten. Ich muss in der Situation reagieren. Das macht meine Antworten im Vergleich zu einer Mail oder einem geplanten Call inhaltlich nicht besser.
Gilt Deine Bitte-nicht-anrufen-Policy auch für Kolleg:innen? Ein kurzes Telefonat erspart manchmal fünf Mails.
Natürlich nicht. Meine Kolleg:innen und Kund:innen, mit denen ich aktuell arbeite, dürfen mich selbstverständlich immer anrufen. Es geht mir vor allem um Menschen, mit denen ich vorher noch nie zu tun hatte. Aber ich finde Telefonate auch nicht immer effektiver. Das ist sehr themenabhängig.
Auf der Tonspur entstehen meist weniger Missverständnisse.
Manchmal mag das sein. Viele Telefonate finden aber auch zwischen Tür und Angel statt. Manche telefonieren nebenbei im Auto. Darunter leidet die Tonqualität, es gibt Hintergrundgeräusche. Oft gehen Informationen verloren. Das passiert bei einer Mail nicht. Der Verlauf ist dann klar nachvollziehbar. Details kann ich im Zweifel mehrmals nachlesen.
Telefonierst Du grundsätzlich ungern?
Ja. Ich „hasse“ es sogar. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Präferenz.
Damit bist Du nicht allein: Eine Studie aus Österreich hat ergeben, dass 70 Prozent der Menschen Text- und Sprachnachrichten Telefonaten vorziehen. Das gilt insbesondere für die junge Generation.
Das erlebe ich auch im Alltag. Viele junge Menschen, mit denen ich vorrangig arbeite, schreiben eher eine WhatsApp, als dass sie anrufen würden.
Ist das nicht auf eine andere Art grenzüberschreitend? WhatsApp ist für die meisten ein privater Kommunikationskanal.
Das sehe ich ähnlich wie beim Telefonieren: Wenn wir uns noch nicht kennen, finde ich es etwas drüber, wenn man mir ungefragt eine WhatsApp-Nachricht schreibt, weil das auf jeden Fall privater ist als eine Mail. Generell finde ich es bei WhatsApp aber besser, dass ich nicht unmittelbar darauf reagieren muss, sondern zeitverzögert dann, wann es für mich passt. Generell haben wir alle aber nicht umsonst eine Business-Mail. Das sollte der erste Touchpoint sein.
Diese Mailadresse findet man in Deiner Signatur. Deine Telefonnummer seit Kurzem nicht mehr. Hast Du viele Reaktionen aus Deinem Umfeld auf diesen Schritt bekommen?
Nein. Auf den Linkedin-Post habe ich extrem viel Feedback bekommen. Teilweise musste ich Kommentare sogar löschen, weil sie beleidigend waren. Das hat mich überrascht. Denn man kann die Telefon-Frage kontrovers diskutieren, aber das ist sicher nicht weltbewegend. Von meinen beruflichen Kontakten gab es kein großartiges Feedback. Die bekommen meine Nummer ja auch, sobald sie danach fragen.
Grundsätzlich verlange ich ja auch von niemandem, dass sie oder er nur noch per Mail kommunizieren soll. Ich würde mir nur wünschen, dass wir anfangen über unsere persönlichen Präferenzen zu sprechen und versuchen, einen für alle angenehmen Weg der Kommunikation zu finden und nicht immer von anderen erwarten, dass sie so ticken wie wir selbst.
Zur Person
Isabel Gabor ist Kreativdirektorin und freiberufliche Texterin und Konzepterin aus Berlin.