Kolumne: Nachhaltigkeit | Immer mehr Unternehmen shiften ihr Business-Modell und stellen Purpose in den Mittelpunkt. Unternehmen ohne starken Purpose werden in Zukunft vielleicht sogar Schwierigkeiten haben, Mitarbeiter:innen zu finden. Aber das war nicht immer so.
Anna Alex
21. Januar 2022
Die Erde als Stakeholder:in
Um diesen Wandel zu verstehen, empfiehlt sich ein Ausflug in die Vergangenheit: Am 31. Dezember 1600 wurde die East India Company (EIC) als erste moderne Aktiengesellschaft gegründet. Eine neue Ära begann. Vor dem 17. Jahrhundert waren Aktiengesellschaften in Europa gemeinnützige Einrichtungen, die Institutionen wie Krankenhäuser und Universitäten für das öffentliche Wohl aufbauten. Für die Gründung der EIC legten die Partner erstmals persönliche Aktien zusammen und wandelten sie in Firmenaktien um – um die erste kommerzielle Aktiengesellschaft der Welt zu bauen. Die Zeit der Monopole, imperialer Macht und drakonischer Gesetze begann, und die Monopolisierung weitete sich nach Amerika aus. Bis ins 20. Jahrhundert blieb dies der Status quo.
In den 1970er-Jahren entwickelten der Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman und seine Ökonom:innen der „Chicago School“ ultra-marktwirtschaftliche Ideen, die auf Deregulierung und Privatisierung basierten. Als „Friedman-Doktrin“ wurde folgender Satz bekannt: „Die einzige Aufgabe des Unternehmens besteht darin, den Wert für die Shareholder zu maximieren.“ Der „Shareholder-First“-Ansatz betrachtet die Aktionär:innen als den wirtschaftlichen Motor des Unternehmens und als die einzige Gruppe, der gegenüber Unternehmen sozial verantwortlich sind.
Die Zeiten haben sich geändert. Soziale Bewegungen und der Widerstand gegen den ungezügelten globalen Kapitalismus wachsen und stellen die Legitimität der Konzernherrschaft infrage: Wenn die Handlungen jedes Unternehmens auf der Welt Einfluss auf unseren Planeten haben, werden dann nicht automatisch alle Menschen, die auf der Erde leben, zu Stakeholder:innen jedes Unternehmens?
Eine gewagte These. Aber was ist dran? Laut einem OECD-Bericht gibt es weltweit etwa 41.000 börsennotierte Unternehmen. Statistiken zeigen, dass nur 90 Unternehmen auf der ganzen Welt für fast zwei Drittel der Treibhausgase verantwortlich sind. Sollten diese 90 Unternehmen nicht für die Auswirkungen des Klimawandels zur Verantwortung gezogen werden? Und können wir in diesem Kontext behaupten, dass alle lebenden Menschen auf diesem Planeten ihre Stakeholder:innen sind? Oder sollten wir sogar noch weiter gehen und den Gedanken zulassen, dass auch die ungeborenen Kinder und Kindeskinder unsere Stakeholder:innen von heute sind? Haben wir nicht alle eine Verantwortung, unseren Planeten für sie zu schützen? Wenn ich ehrlich bin, macht mir dieser Gedanke sehr viel Angst, denn wenn dem so ist, lastet eine sehr große Verantwortung auch auf meinen Schultern als Unternehmerin.
Der Aufstieg von ESG ist somit vielleicht die größte Transformation, die die Geschäftswelt bisher erlebt hat. „Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen sind in den letzten 18 Monaten auf der unternehmerischen, sozialen und politischen Agenda nach oben geschossen; ‚ESG‘ ist das Akronym du jour, und die Notwendigkeit, Geschäftsmodelle auf diese Belange auszurichten, war noch nie so groß“, sagten James Whitaker und Sam Eastwood der internationalen Anwaltskanzlei Mayer Brown.
Und Accentures-CEO Julie Sweet sagte auf dem World Economic Forum 2021: „Sustainability is going to be the next digital and every business will be a sustainable business.“ Für mich klingt das nach einem sehr viel besseren Fokus.
Über die Autorin:
ist Serial Entrepreneurin und CCO des Startups Planetly, das Firmen das nachhaltige CO2 -Management erleichtert. www.planetly.org
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 05/2021. Die gesamte Ausgabe können Sie als Einzelausgabe hier kaufen.