Der Sozialkapitalist
STRIVE+ | In Deutschland sammelt er mit seiner gemeinnützigen Risikokapitalfirma Impacc Spenden, die er als Investor in afrikanische Startups steckt: Till Wahnbaeck war früher Chef der Welthungerhilfe, dann kam er zu dem Schluss: Er will keine Brunnen mehr bauen, sondern langfristige Arbeitsplätze schaffen. Eine Millionen Jobs sollen es in den nächsten Jahren werden.

Unter dem grauen Hamburger Himmel bereitet sich Till Wahnbaeck (52) gerade auf seine nächste Afrikareise vor. Diesmal steht ein großer Review-Termin an. Seine kleine Risikokapitalfirma will die sieben Startups überprüfen, in die sie in Kenia, Ghana, Uganda und Äthiopien investiert ist. In seinem Büro im Schanzenviertel hängen bunte Bilder an der Wand, eins zeigt einen schick gekleideten Afrikaner auf einem Klo sitzen, denn auch in einen Biotoilettenhersteller hat Wahnbaeck Geld gesteckt. Sein Vehikel dafür ist das gemeinnützige Sozialunternehmen Impacc, das er 2020 zusammen mit dem Entwicklungsexperten Jochen Moninger (45) gegründet hat. Das ist die deutsche Seite der Geschichte. „Impacc ist eine Hilfsorganisation, die denkt, sie sei eine Venture- Capital-Firma“, sagt Wahnbaeck augenzwinkernd. Da sind sie wieder, die zwei Seiten. In Hamburg ist Impacc eine Hilfsorganisation, ein „Fundraiser“ für öffentliche, private und Unternehmensspenden – im Nairobi Office hingegen ist Impacc ein Investor, der von seinen Startups Ergebnisse sehen will.
Wie geht das zusammen? Spenden sind steuerlich absetzbar, Risikokapital aber nicht – außer beim Finanzamt Hamburg-Hansa. Dort hat Wahnbaeck die Beamt:innen mithilfe seiner pro bono arbeitenden Anwälte davon überzeugen können: Keine Entwicklungshilfe ist so gut wie die, die echte Arbeitsplätze schafft. „Damit haben wir einen neuen Markt aufgemacht“, ordnet Wahnbaeck ein, „da es ja in Deutschland keine andere gemeinnützige Organisation gibt, die das darf.“ Vergleichbare Modelle gab es bislang nur bei der Schweizer Elea-Stiftung und dem Non-Profit-Impact-Investmentfonds Acumen in den USA.
Zielgruppe sind die Unternehmen, die die Weltbank „the missing middle“ nennt: Sie kommen nicht mehr so leicht an Kapital wie absolute Beginner und noch längst nicht so leicht wie wirklich große Firmen. „Wer in Entwicklungsländern einen Finanzierungsbedarf von 50.000 bis 250.000 Euro hat, hat es schwer“, weiß Wahnbaeck. Für Frauen gilt das häufig ganz besonders, dennoch sind mehr als die Hälfte der Gründer:innen, in die Impacc investiert, Frauen.
Mit Makapads aus Uganda war es auch ein weiblich geführtes Unternehmen, das als erstes seine Anteile in einem Management-Buyout von Impacc zurückkaufte und so immerhin 90 Prozent des investierten Geldes zurück in den Spenden-Investment-Kreislauf spülte. In Frauen investiert Impacc also nicht aus Quotengründen, sondern weil Wahnbaeck auf seine Erfahrungen baut: „In Afrika haben mich Unternehmerinnen bisher einfach häufiger überzeugt als Unternehmer.“
Dass der 52-Jährige sich so gut in Afrika auskennt, hängt damit zusammen, dass auch seine Karriere zwei Seiten hat. Nachdem er in Oxford in Neuerer Geschichte promoviert hatte, verdingte er sich zwölf Jahre lang als Marketing-Manager bei Procter & Gamble. „Ich war ein erfolgreicher Waschmittelverkäufer“, sagt er heute. Doch schon zu dieser Zeit entdeckte er seine Ader fürs Soziale. Im Anschluss an seine Hochzeitsreise nach Tansania arbeitete er eine Weile ehrenamtlich in einem Township am Fuße des Kilimandscharo in einem Projekt für an Aids erkrankte Frauen. Für den Deutschen überraschend war deren größte Sorge nicht, wieder gesund zu werden, sondern die eigene Familie ernähren zu können. „Da merkte ich“, erinnert er sich, „dass ich hier wirklich etwas beitragen konnte, denn wie man ein Business aufbaut, das wusste ich.“ In der Folge zieht er mit einer lokalen Organisation über die Dörfer und hilft Hühnerzüchterinnen. „Das war damals alles ein wenig naiv und unprofessionell“, gibt Wahnbaeck zu, „aber die Idee ließ mich nicht mehr los.“ In der Wirtschaft fragte er sich hingegen immer wieder: „Was mache ich hier eigentlich?“
Investment statt Almosen
Der Grundstein für das, was einmal Impacc werden sollte, war damit gelegt. Wahnbaeck profiliert sich auf dem Gebiet so weit, dass er bis 2018 drei Jahre lang als Vorstandsvorsitzender die Welthungerhilfe führt. Zu seiner Zeit vergibt die deutsche Hilfsorganisation jährlich Fördergelder von weit über 200 Millionen Euro aus Privatspenden und öffentlichen Zuwendungen. Dort merkt er: Spenden projektbezogen für die Nothilfe bei Seuchen oder Hungersnöten auszugeben, macht Sinn, ebenso wie für marktferne Themen wie Demokratieförderung oder Friedenssicherung. Ihm wird aber auch klar: In der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit kommt man so nicht weiter: „Wenn ich dort, wo Menschen in extremer Armut von weniger als zwei Dollar am Tag leben, echte Jobs schaffen will, dann geht das nicht, indem ich Geld einsammle, ins Projekt stecke, es ausgebe, den Projektbericht bekomme und dann wieder von vorne anfangen muss.“
"Impacc ist eine Hilfsorganisation, die denkt, sie sei eine Venture- Capital-Firma.“ - Till Wahnbaeck
Also fängt Wahnbaeck selbst mit Ende 40 noch mal von vorne an. Nach seinem Ausstieg aus der Welthungerhilfe reift ein Gedanke in ihm: „Wenn ich die eine Welt mag wegen ihrer Werkzeuge und die andere wegen ihrer Ziele, kann ich ja vielleicht eine dritte kleine Welt aufmachen, wo man die beiden Dinge zusammenbringt.“ Der beste Weg aus der Armut sei schließlich ein Job, und Jobs werden geschaffen von Unternehmen der Privatwirtschaft. Noch wichtiger: Mit seinem Ansatz, Spendenmittel in die Marktwirtschaft umzuleiten, will Wahnbaeck auch das längst überkommene Ungleichgewicht zwischen den reichen weißen Geber:innen und den armen schwarzen Nehmer:innen umgehen. „Unsere Gründer:innen wollen auch gar kein Geld von NGOs geschenkt kriegen, die wollen als Geschäftsleute ernst genommen werden“, sieht der Sozialkapitalist sich bestätigt. Nur eines ändert sich für Wahnbaeck nie: „In der Wirtschaft war ich der soziale Gutmensch – und jetzt im Sozialen bin ich plötzlich der kompromisslose Kapitalist, dabei habe ich mich eigentlich nie wirklich geändert.“ Es bleibt dabei: Seine Geschichte hat zwei Seiten, die sich immer aneinander reiben und Hitze erzeugen.
"Unsere Gründer:innen wollen gar kein Geld von NGOs geschenkt kriegen, die wollen als Geschäftsleute ernst genommen werden.“ - Till Wahnbaeck
Zahl neuer Jobs wächst rasant
Impacc heißt nicht nur wie „impact“, weil das bei Pitchs gut klingt, sondern auch, weil es nachhaltige Wirkung erzielen will. Das gelingt. Impacc nutzt einige der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) dazu, seinen Impact zu messen. In den fünf Jahren seit Gründung sind rund eine halbe Million Euro an die sieben Startups geflossen, die Wahnbaeck nach eindringlicher Prüfung ins Portfolio aufgenommen hat. Die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze wächst rasant, von gut 400 im vergangenen Jahr auf inzwischen fast 1.800, mit Auswirkungen auf gut 7.000 Menschen, deren Leben sich dadurch deutlich verbessert hat.
Das ist zwar nur ein Tropfen in der See der 30 Milliarden Euro schweren deutschen Entwicklungshilfe, aber Impacc will rasant weiterwachsen. Noch tragen öffentliche Zuwendungen die Strukturen und die Gehälter der Organisation, nur die Spenden gehen 1:1 nach Afrika. Doch in Zukunft will Wahnbaeck vor allem mit Unternehmensspenden so skalieren, dass die „gemeinnützige Venture-Capital-Bude“ eine Million afrikanische Jobs schafft und sich selbst trägt. Der Weg dahin ist noch lang und staubig. Doch mit den Plastikziegeln der Gründerin Nzambi Matee lassen sich zum Glück auch Fußwege pflastern.
Till Wahnbaeck führte sowohl gewinnorientierte Unternehmen als auch gemeinnützige Organisationen, er war globaler CEO der Welthungerhilfe. Zuvor entwickelte er als Marketing-, Vertriebs- und Innovationsdirektor für Procter & Gamble Innovationsprozesse. Mit seiner Frau Carolin, einer Journalistin, hat er drei Töchter und drei Hühner.