Christina Bösenberg

11. Juli 2022

10 Min. Lesedauer

Frauen führen nachhaltiger: Aber wie?

Gastbeitrag | Der Planet brennt und wir müssen dringend handeln. Das ist der drängende Appell vieler Klimaorganisationen. Wenn wir den Planeten erhalten wollen, müssen in den Unternehmen strategische Entscheidungen getroffen werden, die über reines Effizienz- und Profitdenken hinausgehen. Christina Bösenberg erläutert, wie Sie als Führungskraft und Mitarbeitende ernsthaft Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmen umsetzen können – über Reporting und Regulatorik hinaus.

Frauen führen nachhaltiger: Aber wie?

Wie stark und ernsthaft sich ein Unternehmen der Nachhaltigkeit verpflichtet, steht und fällt mit den Führungskräften (Symbolbild)

Das Rahmenwerk ESG (Environmental, Social, Governance) der Vereinten Nationen erlebt gerade neue Popularität. Es soll die nachhaltige Ausrichtung von Unternehmen in Umwelt, Soziales und Unternehmensführung für Anleger, aber auch Mitarbeitende und Kund:innen transparent darstellen. Ein sehr komplexes und auch daten- und regelgetriebenes Unterfangen. In meinen Beratungen stellen Top-Manager:innen der C-Suite immer wieder dieselbe Frage: Wie bekommen wir das Nachhaltigkeitsthema weg von Regulatorik und Reporting in das konkrete Handeln und in die Köpfe von Führungskräften und Mitarbeitenden?

Konzerne mit Frauen in den Vorständen agieren also sozialer, ökologischer und nachhaltiger.

Frauen führen nachhaltiger

Wie stark und ernsthaft sich ein Unternehmen der Nachhaltigkeit verpflichtet, steht und fällt mit den Führungskräften. Frauen in Führungspositionen machen hier offenbar den Unterschied. Konzerne mit Frauen in den Vorständen werden sozialer und ökologisch nachhaltiger geführt, wie der "Gender Diversity Index 2021" der Boston Consulting Group (BCG) zeigt. Er beleuchtet den jeweiligen Frauen- und Männeranteil in Vorstand und Aufsichtsrat und die Vergütungsverteilung, der ESG-Score eben die Nachhaltigkeitsbemühungen bei Umweltschutz, sozialer Verantwortung und Unternehmensführung. Konzerne mit Frauen in den Vorständen agieren also sozialer, ökologischer und nachhaltiger.

Laut dem italienischen Forscher M. Paoloni fördert der Frauenanteil im Vorstand die Corporate Social Responsibility des Unternehmens. Kosima Kovar, CEO von Ada Power Woman und der Green Marketing Agentur sgreening, postete kürzlich auf LinkedIn: „Wie sind Nachhaltigkeit und Weiblichkeit miteinander verbunden?“ und verwies auf weitere Studien: Frauen in politischen Ämtern verringern sogar nachweislich die Emissionen pro Kopf, so die Studie „Women’s Status and Carbon Dioxide Emissions“. Laut dem Weltwirtschaftsforum gründen Frauen auch häufiger als Männer ein Social Business. Laut dem Female Founders Monitor 2020 orientieren sich Gründerinnen eher an übergeordneten Zielen wie die ökologischen Nachhaltigkeit und fühlen sich mehrheitlich dem Bereich Social Entrepreneurship zugehörig.

Weibliche Führung ist also gekommen, um die gesellschaftliche Veränderung voranzutreiben, soziale Ungleichheit zu bekämpfen und den Klimawandel einzudämmen.

Doch wie können weibliche Führungskräfte in Unternehmen, aber auch weibliche Entrepreneure zu mehr unternehmerischer Nachhaltigkeit auch unabhängig von Regelwerken beitragen?

1. Die eigene Führungskompetenz in Sachen Nachhaltigkeit stärken

ESG kann also einen guten Orientierungsrahmen für unternehmerische Entscheidungen bieten, die Umsetzung ist aber nicht ganz unumstritten. Nur wer weiß, wieviel Emissionen er in die Luft schleudert, kann sich auch umweltschonendere Ziele setzen und passende Lösungen finden. Führungskräfte sind hier oft gefordert: wenn Daten fehlen (bzw. das Budget für die Datenerhebung), können sie ESG gar nicht so ernsthaft umsetzen, wie es womöglich von ihnen erwartet wird. Sie müssen klarmachen, was es für die Umsetzung braucht.

Auch wenn sich die ESG-Kriterien mit anderen Zielvorgaben bzw. KPIs des Managements beißen, wird es unangenehm. Dasselbe gilt für halbherzige Greenwashing-Aktionen. Hier braucht es Mut, um das Top-Management oder andere Stakeholder auf Widersprüchlichkeiten, falsche Erwartungen oder Unstimmigkeiten hinzuweisen. Andererseits kann es auch die Motivation der Führungskraft sein, das Thema Nachhaltigkeit und ESG überhaupt erst aufs Tapet zu bringen. Begleitendes Coaching kann hier sehr helfen, die betroffene Führungskraft in ihrer Durchsetzungskraft und im Kommunikationsverhalten zu stärken.

Um die Nachhaltigkeit im großen Stil voranzubringen, brauchen wir einen grundlegenden Mentalitätswandel.

2. Widerstände auflösen

Nachhaltiges Denken und Handeln ist eine Frage der Haltung – und beginnt im ganz Kleinen, beim Einzelnen, im Team. Ohne ein unterstützendes System samt Strategie wird es zwar schwierig, den großen Wurf zu machen, es reicht aber auch nicht. Der größte Hebel in der Transformation hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigeren Organisation liegt in der Überwindung der “Resistance to Change”. Die eigene Verantwortung, die Wirksamkeit des eigenen Beitrags zu erkennen, ist der Game Changer. Wer es schafft, bei seinen alltäglichen Taten soziale und ökologische Effekte mitzudenken, tut das auch mit größerer Ernsthaftigkeit im Großen. Dabei helfen Nachhaltigkeits-Apps, die beispielsweise den eigenen CO2-Verbrauch, den Fleischkonsum oder Stromverbrauch tracken. Darauf können monatliche Team-Challenges oder andere Projekte aufbauen. Solche „Grassroot“-Initiativen können ungeahnte Wirkung entfalten und auf andere Teams und das gesamte Unternehmen übergehen.

Auch hier kann Coaching Führungskräften und ihren Teams dabei helfen, das eigene Handeln zu hinterfragen und neue Gewohnheiten zu entwickeln. Auch wertebasiertes Coaching kann hier den Führungskräften helfen – nämlich, die Werte des Unternehmens, aber auch die eigenen Werte und jene des Teams zu reflektieren. Unternehmen sollten die Führungskräfte dabei unterstützen, diese Werte auch in ihren Taten auszudrücken.

3. L&D und Persönlichkeitsentwicklung:

Um die Nachhaltigkeit im großen Stil voranzubringen, brauchen wir einen grundlegenden Mentalitätswandel. Um dies zu erreichen, ist Bildung das wirksamste Instrument. Heutige und künftige Führungskräfte müssen abseits klassischer BWL auch in kreislaufwirtschaftlichem Denken geschult werden.

Das Lernen über Nachhaltigkeit sollte auf verschiedenen Plattformen gleichzeitig stattfinden. Gleichzeitig geht es auch um Fähigkeiten für ökologische Nachhaltigkeit (nach Dzhengiz & Niesten 2019): dazu gehören systemisches Denkvermögen, um Zusammenhänge zu erkennen und in komplexen Szenarien entscheiden zu können; Interaktionsfähigkeiten, also um gute Beziehungen zu den unterschiedlichsten Stakeholdern aufzubauen; und Empathie in Bezug auf soziale, ethische und ökologische Auswirkungen auf Menschen – sei es entlang der Liefer- und Wertschöpfungskette oder die eigenen Kund:innen und Mitarbeitenden.

Studien zeigen sogar eine hohe Korrelation zwischen der Reflexionsfähigkeit von CEOs und der Nachhaltigkeits-Performance in den jeweiligen Unternehmen gibt. Wer gut reflektieren kann, reagiert flexibler, erkennt Zusammenhänge eher und denkt strategischer.

4. Innovation neu denken:

Unternehmen müssen neu bewerten, was Innovation für sie bedeutet: Innovation ist ein so inflationär verbreitetes Wort, dass es Gefahr läuft, zur Worthülse zu verkommen. In Zukunft müssen wir verstehen, dass nicht alle technologischen Erfindungen die Art von Innovation sind, die wir brauchen. Vielmehr sollten wir nur jene Initiativen als Innovation labeln, die die Welt in eine tatsächlich nachhaltigere Richtung bewegen. Und um echte Innovationen zu schaffen – und nicht noch mehr Produkte, die in der Erzeugung umweltschädlich sind und uns auf lange Sicht nur Probleme bereiten – müssen Unternehmen künftig ihr Wissen bündeln und miteinander und mit Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten. Die einfachen Antworten auf die Frage nach der Nachhaltigkeit sind bereits gefunden – jetzt brauchen wir echte Zusammenarbeit, um die schwierigen zu finden. Unternehmen sollten sich auf Projekte konzentrieren, die das größte Potenzial haben, die Emissionen langfristig zu senken, und nicht auf einmalige und kurzfristige Aktionen.

So können intrinsisch motivierte zu echten Change Agents und Nachhaltigkeits-Multiplikator:innen im Unternehmen werden. Denn es ist Zeit für echte Veränderung.

Über die Autorin

Christina Bösenberg ist Partnerin und Führungskraft mit europäischer Verantwortung, Wirtschaftspsychologin, Business Coach, Podcasterin, Keynote Speakerin und Industry Advisory Board Member bei CoachHub - der digitalen Coachingplattform. Nach über 20 Jahren als Managerin und #womanintech in der Wirtschaft inmitten der digitalen Transformation, gilt Christina Bösenberg über deutsche Grenzen hinaus als Vordenkerin für die Arbeitswelt der Zukunft - mit KI und dem Menschen in der digitalisierten Welt. Sie versteht es, Erfolgsmuster der digitalen Welt greifbar und praxisnah zu vermitteln und verbindet dies mit Erkenntnissen der modernen Gehirnforschung als #Businesshacks und #Lifehacks. Aktuell berät Sie als Transformation Architects EMEIA bei EY.

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