Kristina Kreisel

19. August 2024

15 Min. Lesedauer

High Performer – ohne auszubrennen

Herausragend gut, hochmotiviert, maximal erfolgreich: Dieses Selbstbild treibt viele Leistungsträger:innen an. Für die Karriere ist das oft förderlich, für Körper und Geist Hochleistungssport. Was Warnzeichen sind, dass es zu viel ist, und wie wir im Alltag leistungsfähig bleiben, erklärt Psychotherapeutin Dr. Eva Elisa Schneider.
High Performer – ohne auszubrennen
"Für High Performer existiert die Option oft gar nicht, mal nicht zu funktionieren", sagt Dr. Eva Elisa Schneider | Foto: Coba Uys

Eva, unsere Wirtschaft schwächelt. Umso dringender brauchen wir leistungsfähige Menschen, die Lust auf Arbeit und Fortschritt haben. Genau dazu sehen sich viele aber nur noch bedingt in der Lage: 43 Prozent der Arbeitnehmenden fühlen sich selbst nach dem Urlaub nur schlecht bis mittelmäßig erholt. Sind wir nicht mehr so leistungsfähig wie früher? 

 

Dr. Eva Elisa Schneider: Wir sind nicht zwingend weniger leistungsfähig als früher, aber wir sind mit viel mehr Stress-Faktoren konfrontiert. Unsere Arbeit wird immer intensiver und verdichteter. Wirtschaftliche Entwicklungen sind schwer vorherzusehen und wir sind gebeutelt von den globalen Krisen, die nicht abreißen. Unsere Psyche ist unter diesem Dauerfeuer schneller erschöpft als früher, als wir weniger parallele Krisen auf der Welt hatten und aufgrund der fehlenden Digitalisierung und ständigen Erreichbarkeit anders gelebt und gearbeitet haben. 

 

Heißt: Leistung ist heute anstrengender als früher? 

 

Die Bedingungen sind auf jeden Fall komplexer. Die Menschen wollen durchaus leisten und tun das auch. Oftmals sogar über ihre Belastungsgrenzen hinaus. Wir versuchen weiter, allen Anforderungen gerecht zu werden und alles zu schaffen, aber haben dafür weniger Ressourcen zur Verfügung. Uns fehlt inzwischen ausreichend Zeit für die Erholung unserer Tiefenbatterien. 

 

Was meinst Du mit diesen “Tiefenbatterien”? 

 

Auf Dauer reichen oberflächliche Ruhephasen, wie abends seine Lieblingsserie zu schauen, nicht aus. Wir brauchen von Zeit zu Zeit auch eine tiefere Erholung, bei der man merkt, dass man sich mental voll und ganz von der Arbeit und den Alltagssorgen gelöst hat. Durch die Always-On-Mentalität und verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben haben wir für diese Regeneration weniger Raum. 

 

Wie leistungsfähig ich bin, hat ja aber nicht nur mit äußeren Faktoren zu tun. 

 

Nein. Wie gut wie leisten können, hängt immer von zwei Faktoren ab: von uns selbst UND von unserem Umfeld. Wir selbst können durch gutes Energiemanagement, ausreichend Pausenzeiten und passende Erholungsformate wichtige Grundpfeiler in unserem Alltag platzieren. Wir unterschätzen bisher jedoch enorm, wie sehr unsere Umgebung unsere Leistungsfähigkeit beeinflusst. 

 

Inwiefern? 

 

Wenn wir beispielsweise ein unterstützendes soziales Umfeld haben, durch unsere Vorgesetzten gefördert werden und Anerkennung erfahren, unterstützt das unser mentales Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. Wenn wir uns hingegen isoliert fühlen, wenig Einflussnahme haben oder es an allen Ecken und Enden an finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen fehlt, beeinflusst das unsere Leistungsfähigkeit negativ und wir laufen schneller leer. Unser Umfeld trägt also entscheidend dazu bei, wie gut wir leisten können. 

 

Von diesem “Leerlaufen” sind oft gerade diejenigen betroffen, die zuvor besonders leistungsfähig waren die sogenannten “High Performer”. 

 

High Performer setzen sich oft hohe Standards und haben einen ausgeprägten Perfektionismus. Diese Kombination führt dazu, dass sie sich stark auf Leistung fokussieren und Erholungsphasen vernachlässigen. Sie sind es gewohnt, mit wenig Pausen viel zu schaffen und machen in hohem Tempo weiter, während sie erste körperliche Signale ignorieren. Für High Performer existiert die Option oft gar nicht, mal nicht zu funktionieren. Irgendwann sind die Anzeichen dann so stark, dass sie nicht mehr wegschauen können.  

 

Was macht High Performer noch aus? 

 

High Performer sind Leistungsträger:innen, die hoch motiviert und sehr engagiert arbeiten. Sie sind zielstrebig und sitzen oft so lange an einer Aufgabe, bis sie exzellent fertiggebracht ist. High Performer sind begehrte Juwelen in Unternehmen, die mit ihren Spitzenleistungen ganze Teams zu Höchstleistungen bringen. Das hat jedoch auch eine Schattenseite: Sie machen häufig lange Überstunden, haben eine nie fertige To-Do-Liste und sie vernachlässigen andere Lebensbereiche und ihre Erholung. 

 

Was sind Warnzeichen für diese Vernachlässigung und schlicht Überlastung? 

 

Die Warnsignale sind typischerweise auf vier Ebenen zu finden: in unseren Gedanken, in unseren Gefühlen, im Verhalten und es gibt körperliche Symptome. Bei unseren Gedanken merken wir oft, dass wir schlecht abschalten können oder ständiges Gedankenrasen haben. Emotional sind wir schlechter drauf als sonst, gereizter oder ängstlicher. 

 

Was verändert sich im Verhalten? 

 

Unser Verhalten ändert sich dahingehend, dass wir Pausen auslassen, uns weniger beteiligen, uns zurückziehen wollen oder schon kleine Dinge uns überfordern. Körperlich können Schmerzen, Schlafprobleme oder andere stressbedingte Symptome auftreten. Bei jeder Person zeigen sich unterschiedliche Signale. Was die meisten jedoch gemeinsam haben, ist, dass ihre körperlichen Symptome schon früh auftreten. Nur ignorieren wir sie viel zu lange.  

| Foto: Coba Uys

 

Wie kann ich in solchen Akutsituationen gegensteuern? 

 

Wichtig ist zunächst, diese Signale ernst zu nehmen. Das verpassen viele Menschen schon. Die meisten Menschen wissen auch, was ihnen dann guttun würde – viel wichtiger ist es also, das auch in die Tat umzusetzen. 

 

Gibt es eine Faustregel, ab wann professionelle Unterstützung ratsam ist?


Den richtigen Zeitpunkt, um Hilfe zu holen, kann man anhand einer sehr einfachen Regel herausfinden: Sobald man den Gedanken hat, dass professionelle Hilfe gut wäre, ist der Zeitpunkt schon längst gekommen. Wir alle haben diese Intuition, nur müssen wir ehrlich auf sie hören und unsere Belastungen wegen falscher Motive nicht unnötig verlängern. 

 

Damit es gar nicht erst so weit kommt: Was sind Deine 3 Tipps, um dauerhaft leistungsfähig und mental gesund zu bleiben? 

 

Erstens empfehle ich, Erholung nicht nur aufs Wochenende zu schieben, sondern schon über den Tag und die Woche hinweg einzubauen. Zweitens sollte man sich mit Menschen umgeben, die einem guttun, denn unser soziales Netz ist der beste und stärkste Airbag für mentale Gesundheit. Drittens sollte man immer wieder Dinge tun, die überhaupt nichts mit Leistung zu tun haben, in denen man einfach nur Sein kann. Das schafft ein wichtiges Gegengewicht für unsere Psyche. 

 

 

Zur Person 

Dr. Eva Elisa Schneider (34) ist promovierte Psychotherapeutin, Psychologin und eine der führenden Speaker:innen zum Thema "Mentale Gesundheit" im deutschsprachigen Raum. In ihrem Podcast "Gesund arbeiten" gibt sie alle zwei Wochen praktische Tipps und Anleitung, wie wir in der modernen Arbeitswelt nicht ausbrennen. Im Oktober erscheint ihr neues Buch "Mental health matters".

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