Hannah Andresen

vor 1 Tagen

8 Min. Lesedauer

Wie misst man Diversität?

Ein Interview mit Diversity- und Transformations-Expertin Christina Bösenberg – darüber, ob (und wie) man Diversität messen kann, wie konkrete Handlungsschritte für Management Boards aussehen und inwiefern strukturelle und staatliche Maßnahmen helfen können.

Seit über 20 Jahren coacht Christina Bösenberg Unternehmen und Führungskräfte bei Veränderungsprozessen. Ein besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Themen wie Diversity, Equity & Inclusion. Als beratendes Mitglied sitzt sie im Advisory Board bei Coachhub, Europas führender digitaler Coaching-Plattform. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, ob (und wie) man Diversität messen kann, wie konkrete Handlungsschritte für Management Boards aussehen und inwiefern strukturelle und staatliche Maßnahmen helfen können.

Wie misst man Diversität?

Frau Bösenberg, Sie haben über 20 Jahre Erfahrung als Transformationscoach in Unternehmen. Was sind Ihre Top 3 Learnings aus dieser Zeit?

  • Märkte sind flexibel und schnell – Unternehmen sind es meist nicht. Echte Transformation fängt bei den einzelnen Mitarbeitenden und bei der Führung an. Je flexibler, innovativer und schneller die Menschen im Unternehmen werden, desto zukunftsfähiger wird das Unternehmen.

  • Was funktioniert, ist ein viraler Ansatz aus der Mitte (middle-out). Im Gegensatz zum top-down oder dem reinen bottom-up Ansatz wirken hierbei die Kräfte des sozialen Lernens und die Zugkraft einer Community. Technologie kann hierbei das wichtige Unterscheidungsmerkmal sein.

  • Die eigentliche Frage in jeder Transformation ist: Wie schaffen wir eine Unternehmenskultur, die zu konstantem Lernen motiviert und Mut zur Umsetzung ermöglicht?

In Ihrer Funktion haben Sie vor allem die Themen Diversity, Equity & Inclusion vorangetrieben. Wie genau sind Sie da vorgegangen?

Vor allem habe ich den Kulturwandel vorangetrieben, hin zu einer flexiblen, innovativen, schnelleren Organisation. Dafür sind Diversität, Equity und Inklusion wichtige Treiber. Wobei sich Diversity, also Vielfalt, natürlich auf viele Dimensionen bezieht: Gender, kultureller Hintergrund, Alter, soziale Herkunft, sexuelle Identität und andere. Diverse Studien (z. B.: Mc Kinsey 2020 „Diversity Wins – How Inclusion Matters“; oder Accenture 2019, „Getting to Equal”) belegen seit Jahren eine um 25% und damit signifikant größere Wahrscheinlichkeit für Unternehmen mit hohem Diversitäts-Faktor, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Die Zusammenhänge von Diversity und Geschäftserfolg sind glasklar in Zahlen dargelegt: Höhere Profitabilität, höhere Marktanteile, erhöhte Kreativität und Innovation. Vielfalt ist allerdings kein Selbstzweck. Es ist wichtig zu analysieren, wo welche Art der Diversität zielführend ist.

 

Wie steht es aktuell um die Diversität & Inklusion in deutschen Unternehmen?

Da kann ich keine Entwarnung geben. Wenn wir Gender betrachten, ist der Frauenanteil in den Top-Etagen der DAX Unternehmen 2020 auf 12,8% gesunken, gegen den internationalen Trend. Gleich 11 Dax-Unternehmen haben einen rein männlichen Vorstand. Im Mittelstand arbeiten in den Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen nur 7% Frauen. Ich würde sagen: Wir arbeiten dran, aber es geht recht langsam voran. Angesichts der vielen Vorteile von Diversity kann das nur verblüffen.

 

Kann man die Diversität eines Unternehmens genau messen? Was für Parameter muss es neben der prozentualen Zugehörigkeit verschiedener Mitarbeiter:innen-Gruppen geben?

Ja, diese Gruppen-Prozente sind relativ leicht messbar. Mindestens so wichtig sind umfassende Daten, also HR Analytics. Die geben klare Hinweise auf Einstellungs-Strategien, KI-basierte Auswahlprozesse, inklusive Arbeitsorte oder Bezahl- bzw. Eingruppierungs-Praktiken. Aber: Diversität ist ein Fakt, die Inklusion ist der kritische Akt. Sie lässt sich messen anhand der sogenannten „psychologischen Sicherheit“. Diese beschreibt das Gefühl, dass ich mich beispielsweise zu einer Gruppe zugehörig empfinde und meine Ansichten frei teilen kann, ohne dafür sanktioniert zu werden. Für Innovation und Lernen ist das die wichtigste Voraussetzung. Hier messen wir mit den anonymen internen Surveys und Polls, die sehr regelmäßig stattfinden.

 

"Führungskräfte haben als Role Models wirklich Einfluss darauf, ob Diversity im Unternehmen gelebt wird, oder Marketing-Phrase bleibt." - Christina Bösenberg

 

Was genau können Führungskräfte und Management Boards konkret tun, um ihr Unternehmen diverser und inklusiver zu gestalten?

Sichtbare Prioritäten und messbare Ziele machen glaubwürdig. Führungskräfte haben somit als Role Models wirklich Einfluss darauf, ob Diversity im Unternehmen gelebt wird, oder Marketing-Phrase bleibt. Sie müssen auch persönlich bereit sein, sichtbar neue Wege zu gehen und so die Unternehmenskultur zu verändern. Strukturelle Maßnahmen sind ebenfalls wichtig. Gute Erfahrungen machen wir mit Mentoring-Programmen, mit breit skaliertem Coaching zu kulturspezifischen Themen. Verhaltensänderung funktioniert besser mit einem externen Coach. Kulturell angepasste Werbe- bzw. Kommunikationsstrategien sind ebenfalls wichtig zu beachten.

 

Sie sagen, Diversity & Inclusion sollten neben der Leistung auch in Key Performance Indicator aufgenommen werden. Wie sähen solche „Key Diversity & Inclusion Indicator“ aus?

Wenn wir über die KPIs von Führungskräften sprechen, dann eignet sich hier eine Kombination. Zahlen sprechen für sich, z. B. die Repräsentation vielfältiger Gruppen in den Einstellungsrollen, in den Führungspositionen und in der (Be-)Förderung Einzelner. Dazu empfehle ich, Faktoren zu messen wie Team-Zusammensetzung, Fluktuationsrate und Engagement. Die Glaubwürdigkeit ist zentral.

 

Denken Sie, dass sprachliche Transformation wie bspw. Gendern in der Firmeninternen und -externen Kommunikation etwas zum Wandel beitragen kann?

Studien (z.B. Braun et al. 1998; Heise 2000) sprechen zwar gegen das generische Maskulinum, da würde ich aber zu Entspannung und zu Pragmatismus raten. Wie in jedem Veränderungsprozess ist die Dosis des Neuen pro Zielgruppe entscheidend. Es ist besser, Schritt für Schritt eine neue Kultur zu schaffen, als bewusst starken Widerstand zu erzeugen. Ist die Zielgruppe modern und weltoffen, so dürfte das Gendern kein Thema sein. Ich persönlich gendere im Alltag und nehme so Schritt für Schritt Einfluss.

 

Wie sollte der Staat Unternehmen auf dem Weg zu mehr Diversität und Inklusion fördern?

Ohne Quoten ging es bei der Gender-Gleichstellung in Deutschland nicht. Seit der Empfehlung "zur Förderung von Chancengleichheit“ 2001 (!) durch die damalige Schröder-Regierung, ist bis zur Quote sehr wenig passiert. Staatliche Regulierung ist immer zweischneidig und sollte nur greifen, wenn es gar nicht anders geht – wie z. B. bei der Gender-Gerechtigkeit. Grundsätzlich sind hier die Unternehmen in der Führungsrolle. Ich würde dafür plädieren, Unternehmen steuerlich zu entlasten, die sich Diversität und Inklusion verschreiben und ihre Hierarchien entsprechend divers besetzen. Aber ganz ehrlich: Zukunftsfähigkeit beginnt im Kopf. Vielfalt ist somit auch eine persönliche Herausforderung jedes Einzelnen und stellt das etablierte Arbeiten in Frage. Das mag nicht jeder, denn in der Komfortzone lebt es sich definitiv bequemer. Wenn Unternehmen sichtbare Veränderungen umsetzen, auch persönlich sichtbar bei den Führungskräften, dann kann sich echte Diversität verankern.

 

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