Relativ schnell stellte ich fest, dass ich das Reisen erst wieder lernen muss. Dass ein Familienzimmer auf zwei Stockwerken ohne Treppengitter mit krabbelbegeistertem Baby wenig Entspannung verheißt. Dafür ein Plattenspieler den Rest der Bande zwar beschäftigt, Elternnerven, die den beiliegenden Warnhinweis zitternd zur Kenntnis nehmen, das Gerät bitte nicht in seine Einzelteile zu zerlegen, aber auch nicht gerade schont.
Bei der Erkundung der Stadt wurde mir bewusst, dass ich weniger Hippie im Herzen bin, als gedacht. Vielleicht waren die zahlreichen in China gefertigten Batik-Designerstücke aber auch gar nicht Grundgedanke der damaligen Bewegung. Das berühmte Konzert fand auch niemals wirklich in Woodstock statt. Dies lernte ich, genauso dass die Beatles damals nicht dabei waren, weil Yoko Ono angeblich nicht auftreten durfte. Vielleicht hatten sie auch einfach besser über Woodstock recherchiert als ich…
Woodstock soll allerdings zukünftig nicht nur mit dem Rock n Roll Konzert in Verbindung gebracht werden – zumindest, wenn es nach zwei Firmen geht, die sich seit Jahren einen erbitterten Rechtstreit um die Markenrechte liefern. Konkret geht es um die Nutzung des Terminus „Woodstock Weed“ – unter dem zukünftig Cannabis-Produkte auf den Markt gebracht werden sollen.
Dies wird nun umso interessanter, als das New York am 30. März als fünfzehnter und bisher größter Bundesstaat der USA den Besitz und Anbau von Marihuana (bis zu einem gewissen Umfang und für den Freizeitgebrauch) legalisierte. Dies nicht nur zur Freude von Cannabis Connaisseuren, an vorderster Front benötigt New York dringend Geld, um die erhöhten Ausgaben der Krisenjahre zu kompensieren. Denn während zwar die Mieten in den guten Gegenden in Brooklyn und Manhattan wieder explodieren, stehen die Bürogebäude in Midtown noch relativ leer. Damit wird sich auch in absehbarer Zukunft ein Budgetdefizit in Milliardenhöhe ergeben, das durch die zu erwartenden Steuern auf legale Cannabis-Produkte zumindest teilweise geschlossen werden soll.
Ein bedeutsamer Schritt ist die Legalisierung in vielerlei Hinsicht: während gerade in New York prozentual mehr weiße Menschen als People of Color Marihuana konsumieren, waren in 2020 94 % der wegen Cannabis-Delikten inhaftierten Menschen Schwarz oder hispanischer Herkunft. Verurteilungen auf Grund von sehr geringem Besitz zerstörten auch ohne Gefängnisstrafen Aussichten auf Jobs, Kredite und Chancen am Wohnungsmarkt.
Nun sollen alle Vorstrafen, die nach der neuen Gesetzgebung keine Delikte mehr sind, gelöscht werden. Die zu erwartenden zusätzlichen 350 Millionen Dollar an Steuereinnahmen sollen dem öffentlichen Schulsystem und der Drogenprävention zugutekommen. Lizenzen für die Produktion und Vertrieb sollen in New York über ein „office of cannabis management“ vergeben werden, um dem zuvorzukommen, was bereits in anderen Staaten passierte: der explodierende neue Wirtschaftszweig liegt dort fest in weißer Hand.
New York will es anders machen, fairer, mit Fokus auf den Menschen, die vorher unverhältnismäßig stark unter der Kriminalisierung gelitten haben und damit zum nationalen Vorbild werden. Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten, aber einige Bundesstaaten kündigten bereits an, dem New Yorker Modell folgen zu wollen.
Probleme gibt es dennoch genug, an vorderster Front: Cannabis bleibt vorerst auf nationaler Ebene illegal, ein federal crime. Nicht nur Deutschland sieht sich mit Herausforderungen bezüglich des Föderalismus konfrontiert… Auch wie Personen, die gerade einen Joint geraucht haben, noch am Straßenverkehr teilnehmen sollten ist unklar, Testmöglichkeiten und -kapazitäten fehlen noch. Einige Kommunen, hauptsächlich in Long Island, kündigten bereits an, Cannabiskonsum komplett verbieten zu wollen – relaxte Stoner in den Hamptons könnte das heile amerikanische Weltbild doch empfindlich stören.
Aber dennoch: der erste Schritt ist gemacht, der Traum von Woodstock wird Realität. Allein die Aktivist:innen, die seit Jahrzehnten für die Legalisierung von Cannabis kämpften, immer wieder für ihre Überzeugung ins Gefängnis gingen, müssen sich fragen, was nun zum neuen zentralen Lebensinhalt werden könnte. Am 20. April, auch „420“ genannt, dem inoffiziellen Feiertag der pot smoker, verteilten sie kostenlos Joints an Covid-19 geimpfte. Es lebe der Geist von Woodstock!
Über die Autorin:
Als erstes die Vision, dann der Weg. Die Hamburgerin Sarah Wiebold war zehn Jahre Geschäftsführerin im familieneigenen Unternehmen. Anfang 2019 entschied sie sich mit ihrer Familie in die USA auszuwandern.
Mit Blick auf New York lernt sie nicht nur Land und Leute zu verstehen, sondern verwirklicht ihren Traum in Amerika ein Unternehmen zu gründen. Mit ihrer Chocolaterie Little Lotta Love will sie den US-Markt von europäischer Confiserie Kunst begeistern. Bei uns und auf ihrem Instagram Account ahoi.newyork schreibt sie über Traum und Wirklichkeit sowie Leben und Unternehmensgründung als Deutsche in Amerika.