Vitamin V - Welchen Einfluss haben Väter auf die Karrieren ihrer Töchter?
Welchen Einfluss haben Väter auf die Karrieren ihrer Töchter – und auf die Art und Weise, wie diese später einmal Beziehungen leben? Und wie entwickeln sich Mädchen, deren Väter wenig oder gar nicht bei der Erziehung involviert sind? Eine Spurensuche auf der Beziehungsebene.
Natürlich kann es auch vollkommen anders laufen: Jette Joop (56) designt Mode, wie ihr Vater Wolfgang Joop (79) – aber die Beziehung ist von Konflikten geprägt, was die Öffentlichkeit mehr als einmal mitbekommen hat. Jette Joops Karriere profitierte zwar von ihrem berühmten Nachnamen, andererseits wird sie ständig am Erfolg ihres Vaters gemessen. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist sie heute mit ihrem Schmuck- und Modelabel eine der erfolgreichsten deutschen Design-Unternehmerinnen. „Jette wollte ihrem Vater beweisen, dass sie gut ist, vielleicht sogar besser“, berichtet Jettes Mutter Karin Joop-Metz in der ZDF-Dokumentation „Die Joop-Story“.
„Väter haben einen erheblichen Einfluss auf das Selbstwertgefühl ihrer Töchter“, sagt Stefanie Stahl (60), Psychologin und Autorin („Das Kind in dir muss Heimat finden“). Der sei häufig sogar noch stärker als der Einfluss der Mutter. „Meist lernen Kinder von der Mutter Bindung – und vom Vater Autonomie.“ Diese Autonomie entsteht so: Spielen Töchter mit ihren Vätern, dann dürfen sie oft ihre physische Stärke austesten, an ihre Grenzen gehen. Sie raufen und toben, treten gegen einen Ball, klettern auf Bäume. „Strahlt der Vater dabei eine ruhige Zuversicht aus, lernt die Tochter: Ich schaffe das“, erklärt Stahl. Dieses Verhalten hängt übrigens nicht unbedingt mit dem Geschlecht zusammen; bei lesbischen Paaren übernimmt häufig eine der Mütter instinktiv die Vaterrolle.
SELBSTBEWUSSTSEIN, AUTONOMIE, Zuversicht – kein Wunder, dass Väter auf die Karriere ihrer Töchter einen erstaunlich großen Einfluss haben. Eine Studie der University of British Columbia zeigt, dass sich aus den unbewussten Geschlechterstereotypen der Väter die beruflichen Vorlieben der Töchter – nicht aber der Söhne! – vorhersagen lassen. Bringen sich also Männer im Haushalt ein, neigen Töchter eher dazu, aushäusige Berufe und weniger stereotype Frauenberufe anzustreben. Umgekehrt beeinflussen Töchter auch ihre Väter: Laut einer Studie des SC Johnson College of Business erhöhen männliche CEOs das Gehalt ihrer Mitarbeiterinnen um durchschnittlich 3,2Prozent, nachdem sie das erste Mal Vater einer Tochter geworden sind.
EIN BEKANNTES BEISPIEL, wie ein Vater die Karriere seiner Tochter beeinflusst, ist das vom ehemaligen Trigema-Chef Wolfgang Grupp (82). Seine Tochter Bonita Grupp (34) ist heute für den E-Commerce des Unternehmens verantwortlich, zudem kümmert sie sich um Personal, Marketing und Social Media. Dass sie eines Tages ins Unternehmen einsteigen möchte, war für Bonita Grupp immer klar. Nach ihrem Masterabschluss blieb sie noch ein Jahr in London, um an ihrer Universität zu arbeiten. „Es war uns wichtig, dass im Unternehmen nicht extra eine Stelle geschaffen wird. Ich wollte in einem Bereich einsteigen, wo Bedarf bestand“, sagt Bonita Grupp. Die perfekte Gelegenheit war gekommen, als bei Trigema der Relaunch eines Online-Shops anstand.
„Ich habe von meinem Vater Ehrlichkeit, Disziplin und Durchhaltevermögen gelernt.“ - Bonita Grupp
Die Erziehung ihres Vaters beeinflusst Bonita Grupp bis heute darin, wie sie arbeitet. „Ich habe von ihm Ehrlichkeit, Disziplin und Durchhaltevermögen gelernt“, erzählt sie. Sie erlebe bei ihrem Vater, dass er auch Verständnis für gegensätzliche Meinungen zeige und sich in solchen Fällen bemühe, eine für alle annehmbare Lösung zu finden. Dieses Verhalten habe sie sich abgeschaut: „Natürlich diskutieren wir in der Familie mal, dadurch entsteht ja auch Fortschritt. Aber in der Firma sprechen wir mit einer Stimme.“ Zudem habe ihr Vater ihr in der Kindheit wichtige Grundpfeiler mitgegeben, die sie heute prägen, etwa eine zukunftsgerichtete Denkweise und der Wert der Gemeinschaft.
Auch bei Vaters Führungsstil schaut sich die Tochter etwas ab: Beeindruckt habe Bonita, wie ihr Vater zu Beginn der Corona-Pandemie die Verantwortung für die eingebrochenen Umsätze übernommen und dies der Belegschaft in einer Videobotschaft kommuniziert hat.
Eine strikte Trennung zwischen Arbeit und Familienleben gibt es bei den Grupps nicht. „Wir tauschen uns auch am Wochenende zum Unternehmen aus, aber das sehen wir nicht als Last. Mein Vater meint: Der Job soll immer auch Spaß machen. Das habe ich verinnerlicht“, erzählt Bonita. Ihr Vater war keiner, der die Kinder von allem ferngehalten hat: Von klein auf ließ er Bonita und ihren Bruder Wolfgang Jr. (33) in der Firma spielen, später hatten sie Ferienjobs. Anfang des Jahres haben die Geschwister, die seit mehr als zehn Jahren beim Textilhersteller arbeiten, gemeinsam mit ihrer Mutter Elisabeth Grupp (58) die Führung übernommen, nachdem sich der Patriarch aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat.
NICHT IN ALLEN Familien läuft es so reibungslos ab, wenn Vater und Tochter im gleichen Bereich arbeiten, wie das Beispiel Joop zeigt. Jette fühlte sich als Kind von ihren Eltern allein gelassen, die viel arbeiteten, ständig unterwegs waren und sich schließlich scheiden ließen. 1996 gab Wolfgang Joop seine Bisexualität bekannt, was Jette und ihre Schwester Florentine erst einmal für sich sortieren mussten.
Lebt der Vater erst später im Leben seine Homo- oder Bisexualität aus, frage sich die Tochter oft, ob sie in einer Illusion gelebt habe – und was das über die Beziehung zur Mutter aussagt. Es käme aber auf den Kontext an: „Wenn die Beziehung zwischen Vater und Tochter liebevoll ist, dann hält sie auch Höhen und Tiefen aus“, sagt die Psychologin Stefanie Stahl.
Wenn Mädchen ohne männliche Bezugsperson aufwachsen
„Ist die Beziehung zum Vater nicht gut, fehlt der Tochter ein Anker, wie eine gegengeschlechtliche Beziehung positiv geführt werden kann“, sagt Stefanie Stahl, und weiter: „Im schlechtesten Fall entwickelt sie das gefühlte Wissen, dass Männer autoritär, lieblos, verachtend oder einfach komplett desinteressiert sind. Oder dass sie sich Männern unterordnen muss; nur beachtet wird, wenn sie wenn sie eine bestimmte Leistung erbringt.“
„Väter haben einen erheblichen Einfluss auf das Selbstwertgefühl ihrer Töchter.“ - Stefanie Stahl

Wächst ein Mädchen ganz ohne männliche Bezugsperson auf, könne sich das sogar auf die körperliche Entwicklung auswirken. Sie kommt häufig früher in die Pubertät, die Ursache dafür sei bis heute unklar. „Wenn dann keine andere Person die Vaterrolle übernimmt, fehlt dem Mädchen die typisch väterliche Erziehung, die es ihr erlaubt, Stärke zu zeigen und Selbstständigkeit zu entwickeln“, so Stefanie Stahl. Ist der Vater hingegen aus freiem Willen selten oder nie anwesend, könne die Tochter glauben, sie werde nicht geliebt, woraus sich Vertrauensprobleme entwickeln. In diesen Fällen kann laut Stahl eine Psychotherapie hilfreich sein.
Durch den Vater entstehe in der Regel ein Idealbild für romantische Beziehungen – dabei sei es egal, ob es sich um den leiblichen oder Stiefvater handelt. „Wenn der Vater in der Kindheit liebevoll war, entwickelt die Tochter ein gutes Männerbild. Sie sucht bei der Beziehungsperson nach ähnlichen guten Charaktereigenschaften, wie sie auch der Vater hat.“ Das gilt nicht nur bei der Partner:innenwahl: Töchter von wertschätzenden, liebevollen Vätern begegnen auch anderen Männern in ihrem Leben auf Augenhöhe.
Töchterväter können etwas für den Feminismus tun
Väter können also im besten Fall die Gleichberechtigung der Geschlechter vorantreiben, indem sie traditionelle Rollenbilder aufbrechen, die Karriere ihrer Töchter fördern und ihren Mitarbeiterinnen höhere Gehälter zahlen. Im weniger günstigen Fall bewirken sie genau das Gegenteil, nämlich dass die Töchter sich Männern unterordnen.
Das legt den Schluss nahe: Die Zukunft des Feminismus liegt zum Teil auch in den Händen von Töchtervätern.
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Die sechs Väter-Typen
Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger identifizierten in einer Studie sechs verschiedene Väter-Typen:
1 | Egalitärer Vater
Emotional reflektiert, hohes Engagement, flexibel in Konflikten >> bestmöglicher Vater-Typ
2 | Fassadenhafter Vater
Idealisiert die Familie und erscheint engagiert, reagiert bei Konflikten aber schnell hilflos und zieht die eigenen Bedürfnisse denen des Kindes vor
3 | Traditionell-distanzierter Vater
Emotional distanziert, baut Beziehungen zu seinem Kind lediglich über gemeinsame sportliche Aktivitäten oder technische Interessen auf
4 | Unsicher gereizter Vater
Findet keine wirkliche Vaterrolle, verbalisiert offen seine Unfähigkeit >> schlechtester Vater-Typ
5 | Randständiger Vater
Hat sich aus dem Familienleben zurückgezogen und schafft es nicht, eine Beziehung zum Kind aufzubauen
6 | Traditionell-partnerschaftlicher Vater
Wie der egalitäre Vater sehr engagiert, neigt aber auch zu traditionellen Rollenbildern und veralteten Erziehungsmethoden