Christina Bösenberg

vor 8 Tagen

10 Min. Lesedauer

„Unconscious Bias“ - warum er gefährlich ist und wie man ihn überkommt

Unser Unterbewusstsein ist mächtig, es beeinflusst unser Fühlen, unser Handeln und unsere Erfahrungen. Doch was bedeutet das für unser tägliches Leben? Die Wirtschaftspsychologin Christina Bösenberg zeigt anhand des „Unconscious Bias“ auf, wie es zu unbewussten Vorurteilen kommen kann und wie wir sie überwinden können.

Um Energie zu sparen, arbeitet unser Gehirn mit Mustern. Das Problem: Führungskräfte werden in ihren alltäglichen Entscheidungen stark dadurch beeinflusst – und mit ihnen Unternehmen in Bezug auf Diversity, Kompetenz, Produktivität und Zukunftsfähigkeit. Denn das Gehirn filtert unsere Wahrnehmung und sucht im Speicher nach bereits Bekanntem. Daraus resultiert eine unbewusste Fehleranfälligkeit und Schmalspur-Sicht, die wir auch als Unconscious Bias kennen.

„Unconscious Bias“ - warum er gefährlich ist und wie man ihn überkommt

Vielfalt und Diversity prägen seit vielen Jahren die öffentliche Diskussion in Wirtschaft und Gesellschaft. Wir sind uns einig: Vielfalt ist ein Muss, modern, innovativ und moralisches Selbstverständnis sowieso.

 

Doch in der Realität angekommen ist das noch nicht. In DAX Unternehmen klebt der Frauenanteil in Entscheidungspositionen bei 16,6%, wie aus einer aktuellen Studie der Allbright Stiftung hervorgeht. Im Mittelstand sehen wir in den Geschäftsführungen der 100 größten deutschen Familienunternehmen nur 7 Prozent Frauen, auch Start-Ups beschäftigen nur 5,4 Prozent Frauen in ihren Vorständen. Warum ist so wenig passiert, trotz breiter öffentlicher Debatte, politischen Interventionen und Quoten?

 

Die Wirtschaftspsychologie kennt einen Grund, der aber durch existierende strukturelle Maßnahmen, Trainings und (Social Media) Diskussion nur sehr bedingt veränderbar ist: unbewusste Vorurteile (Unconscious Bias) von Führungskräften, Entscheider:innen und Mitarbeiter:innen in den Organisationen – wie so oft.

 

Führungskräfte beeinflussen mit Ihren Handlungen und Entscheidungen große Gruppen von Menschen – und gestalten so Organisationen, deren Performance und deren Kultur direkt. So führen die Unconscious Bias dazu, dass Organisationen nicht das volle Potential ihrer Mitarbeiter:innen ausschöpfen, Karrierepfade für große Gruppen massiv beeinträchtigt sind und Produktivität und Innovationskraft sich nur im kleineren Rahmen entfalten.

Drei Beispiele zeigen die Entstehung dieses psychologisch basierten Effekts:

 

1. Mini-Me Effekt oder Status Quo Bias

Dieser beeinflusst beispielsweise das Recruiting und die Nachfolgeplanung. Wir neigen dazu, Bewerber:innen auszuwählen, die Ähnlichkeiten zu erfolgreichen Personen (oder zu uns selbst) haben. Bei Entscheidungen wird jene Option bevorzugt, die dem bisherigen Zustand entspricht. Diese Denkabkürzung birgt große Risiken: in homogenen Teams reichen diese von zu kurzfristiger Perspektive bis hin zu Diskriminierung.

 

2. Proximity Bias

Er begegnet uns derzeit oft in der Diskussion rund um das hybride Arbeiten post Corona. Sitzt ein Teil der Mitarbeiter:innen im Büro, während andere zuhause sind, werden sie unbewusst als bessere Arbeitskräfte wahrgenommen, weil sie so präsenter sind (das nennt man auch Effekt des bloßen Kontakts). Das führt oft dazu, dass Mitarbeiter:innen im Büro bessere Bewertungen und (Aufstiegs-) Chancen bekommen: einfach, weil sie da sind.

 

3. In-Out Group Bias

Bei diesem Beispiel wird die eigene Gruppe höher bewertet als Fremdgruppen und deren Mitglieder. Dies kann mit Abwertung verbunden sein und es tritt deutlich zutage, wenn es um die Verteilung von Ressourcen geht. Die Dynamik kennen wir alle: Im Kreise vertrauter und ähnlicher Kolleg:innen arbeitet es sich vordergründig leichter. Weniger Reibung – und weniger facettenreiche Kreativität. Die Gefahr, dass innerhalb globaler Märkte und vielfältiger Kund:innenbedürfnisse wichtige Aspekte unberücksichtigt bleiben, ist sehr hoch.

 

„In homogenen Gruppen arbeitet es sich leichter – aber wir sind besser, innovativer und profitabler in vielfältiger Zusammensetzung.“ – Christina Bösenberg

 

Lassen Sie sich von Ihrem Gehirn nicht alles gefallen!

Was also tun? Nur weil es diese Wahrnehmungsmuster gibt, heißt es nicht, dass man ihnen ausgeliefert ist. Durch gezielte Maßnahmen kann man dafür sorgen, bei Entscheidungsfindungen bewusster vorzugehen.

 

Wenn Sie sehr hartgesotten sind, empfehle ich den Bias Test (IAT), der aus einem Forschungsprojekt der Harvard University hervorgegangen ist und ständig weiterentwickelt wird. Mit dem IAT erhalten Sie ein besseres Verständnis über Ihre eigenen unbewussten Vorlieben und Überzeugungen. Und das ist gut, denn die Psychologie weiß: Bewusstheit ist der erste Schritt zur Veränderung.

 

Und dann? Druck begünstigt den „Unconscious Bias“. Daher lohnt es sich, innezuhalten und nachzudenken, bevor man Entscheidungen trifft, auch wenn sie selbstverständlich erscheinen.

 

„Individuelles Coaching ist Präzisionsentwicklung.“ – Christina Bösenberg

 

Viele Unternehmen haben zuletzt Diversity & Inclusion Trainings eingeführt. Das ist gut, reicht aber nicht. Wir müssen die Erkenntnisse der Psychologie und der Neurowissenschaften endlich ernst nehmen und in Management- und Unternehmens-Entwicklung integrieren, wenn wir echte Fortschritte sehen wollen.

 

Unbewusste Vorurteile lösen wir nicht im Gruppen-Training auf, sondern nur individuell. Es braucht individuelles Coaching und eine Phase der bewussten Praxis. Individuelles Coaching ist deshalb so erfolgreich, weil es Präzisionsentwicklung ist. Und die ist heute virtuell skaliert auch in großem Maßstab möglich. Etabliert für die Führungskräfte-Entwicklung kann Coaching heute über digitalisierte Prozesse skaliert eingesetzt werden und so große Gruppen erreichen.

 

Wer ist hier verantwortlich?

Was fehlende Vielfalt bedeutet, haben Wissenschaft und die großen Beratungshäuser nun vorgerechnet. Mit den Folgefragen und -handlungen müssen sich nun allerdings CEOs, Geschäftsführer:innen und Entscheider:innen in Organisationen auseinandersetzen – und diese Auseinandersetzung fängt in der Regel im eigenen Kopf an. Wandel kann nur entstehen, wenn diejenigen, die in entscheidenden Machtpositionen sind, es auch als ihre Aufgabe und Verantwortung sehen, nicht nur an Diversity Days für mehr Vielfalt einzustehen, sondern jeden Tag aufs Neue echte Diversität voranzutreiben, sich mit den eigenen unbewussten Mustern auseinanderzusetzen und Investitionen in alltagstaugliche Gegenmaßnahmen zu tätigen.

 

Weiterführendes und Quellen:

Kahnemann, Daniel (2011): Schnelles Denken, Langsames Denken. Siedler Verlag: München

Habermacher, Andreas; Peters, Theo; Ghadiri, Argang (2014): Das Gehirn, Entscheidungen und Unconscious Bias. In: Vielfalt erkennen – Strategien für einen sensiblen Umgang mit unbewussten Vorurteilen. Charta der Vielfalt e.V.: Berlin

McKinsey Studie: https://www.mckinsey.com/featured-insights/diversity-and-inclusion/diversity-wins-how-inclusion-matters

Accenture Studie: https://www.accenture.com/cn-en/about/inclusion-diversity/culture-equality-research

 

Über die Autorin Christina Bösenberg ist Wirtschaftspsychologin, Unternehmerin und führende Expertin für Unternehmens-Transformation im digitalen Kulturwandel. Die ehemalige Siemens Managerin mit viel Erfahrung in Diversity, Equity & Inclusion berät seit 2009 Unternehmen im Wandel und coacht Executives in Veränderungsprozessen. Ihre vielfältigen Erfahrungen in multinationalen Führungspositionen im Konzern bringt sie heute auch in Startups ein und unterstützt z.B. CoachHub, Europas führenden Anbieter für digitales Business-Coaching, als beratendes Mitglied im Advisory Board. Als Mutter und Unternehmerin setzt Christina Bösenberg sich für Digitalisierung, Bildung & und für die Modernisierung des Staates – auch in ihrem Podcast #TransformationUniverse.

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