Nadja Funkner

vor 6 Tagen

6 Min. Lesedauer

„Spaßbremse? Spießer? Ach, schwanger!“

Gastartikel | Ob bei Familienfeiern, im Club oder manchmal sogar bei Business-Meetings: Verzichtet eine Frau bewusst auf Alkohol wird das immer hinterfragt. In diesem Gastartikel erklärt Nadja Funkner, was hinter dem Kausal-Triple beim Alkoholverzicht von Frauen steckt.

„Spaßbremse? Spießer? Ach, schwanger!“

Alkohol. In unserer Gesellschaft die einzige Droge, für die Du Dich rechtfertigen musst, wenn Du sie nicht nimmst.

Und ob Du ihn nun magst oder nicht, Du findest ihn überall. Ob bei Familienfeiern, im Club oder manchmal sogar auf Business-Meetings. Und wenn nicht dort, dann oft direkt nach Feierabend: Das gute alte „Bier ab 4“, wer kennt's nicht. Aber was ist, wenn Du einfach keine Lust auf Alkohol hast? Wenn Du nicht gerade der/die Fahrer:in bist, hast Du womöglich gute Gründe, die Finger vom Zellgift zu lassen (so wird er liebevoll von der Alkoholforschung genannt). Zum Beispiel, weil

Egal welcher dieser Gründe zutreffen mag, Fakt ist:

All diese Fälle gehen niemanden etwas an. Genau aus diesem Grund ist eine Frage nach dem Grund des Nicht-Trinkens auch alles andere als angebracht. Immer. Es gibt keine Ausnahme.

„Das macht man halt so, wenn man schwanger ist.“

Als aufmerksame:r Leser:in ist Dir sicherlich aufgefallen, dass ein Szenario fehlt. Du bist einfach smart. Diesen einen Grund habe ich mir ganz bewusst aufgespart, für das, was ich dir nun erzählen möchte. Zur Glühweinzeit 2022 war es nämlich wieder so weit:

Ich wurde auf dem Weihnachtsmarkt von einem (praktisch fremden) Mann als schwanger diagnostiziert, als sich in unserer Menschentraube herausstellte, dass sich in meiner Tasse kein Glühwein, sondern einfach nur Punsch befand.

Diesen Menschen kannte ich bis dato gerade einmal wenige Minuten. Ich habe ihn beim Schlendern über den Weihnachtsmarkt mit meiner kleinen Schwester durch sie kennengelernt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde war die besagte Person so erpicht darauf zu erfahren, was sich in unseren Tassen befand, dass ich einfach nur grinsend erwiderte: „Bei mir gibt’s Punsch!“.

Keine zwei Sekunden später das Echo: Das macht man halt so, wenn man schwanger ist.“

Keine Mücke, sondern ein Elefant.

Jetzt könnte ich das ganze abtun und sagen „Ach, der macht nur Spaß“ oder „Ein Idiot und die Ausnahme der Regel“, aber nein. Die traurige Wahrheit ist nämlich, dass sich Frauen diesen Satz regelmäßig anhören dürfen, wenn sie bei gesellschaftlichen Anlässen auf das Trinken von Alkohol verzichten. Gerade dann, wenn man ab und zu nur mal ein Gläschen trinkt (wie zum Beispiel ich) und beim nächsten Anlass „plötzlich“ ablehnt. Schon verdächtig, oder? Wie können wir es wagen.

Es ist doch so:

Selbst, wenn eine Frau wirklich schwanger ist und sie nur deshalb nicht zum Glas greift, ist der Schwangerschafts-Generalverdacht IMMER unangebracht. Viele wollen ihre Schwangerschaft beispielsweise erst nach den risikoreichen ersten 12 bis 15 Wochen preisgeben. Aber auch sonst muss es jeder Frau (+ Partner:in) selbst überlassen werden, wann, wie und in welchem Rahmen so etwas thematisiert wird.

Im Übrigen gibt es auch Frauen, die schlichtweg nicht schwanger werden können. Diesen Frauen gegenüber gleicht die Schwangerschafts-Unterstellung (wenn auch nur im Spaß) wahrscheinlich einem Stich in eine offene Wunde.

Ist etwas Empathie zu viel verlangt?

Wenn Du mich fragst, ist es erschreckend, wie selbstverständlich Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft geworden ist. Sich nicht rechtfertigen zu müssen, wenn man ihn nicht konsumiert, ist praktisch unmöglich.

Es ist immer noch eine Droge und es sollte in Ordnung sein, ihn zu vermeiden, wenn man das möchte.

Dabei sollte es uns viel eher erschrecken, wie akzeptiert es ist, sich regelmäßig zu betrinken (und dafür in gewissen Kreisen sogar noch gefeiert zu werden). "Du hast 10 Bier getrunken? Respekt!“

Umgekehrt darf man sich beim Verzicht auf ein Echo wie „Du Spaßbremse“ oder „Langweiler“ gefasst machen. Und nein, natürlich nicht immer. Doch oft genug, dass ich diesem Thema im Dezember 2022 einen LinkedIn-Post gewidmet habe, den mehr als 400.000 Menschen gesehen, mehr als 4.000 geliked und mehr als 400 Personen kommentiert haben. Darunter findet sich zahlreiches Feedback von Menschen, die genau das Gleiche erleben.

Da frage ich mich wirklich: Was muss denn passieren, dass es normal wird, keine Drogen zu konsumieren (völlig egal, ob weich oder hart)?

Dumme Fragen gibt es nicht? Well, well, well.

Die Frage „Bist Du schwanger?“ hat nichts im gesellschaftlichen Kreise verloren. Und ich finde, es ist wichtig, dass wir uns vom Rechtfertigungsdruck befreien. Völlig egal, aus welchen Gründen wir auf Alkohol verzichten. Er ist immer noch eine Droge und es sollte in Ordnung sein, ihn zu vermeiden, wenn man das möchte.

Wie könnte also eine Lösung aussehen? Nun, wenn wir wollen, dass sich daran etwas ändert, scheint der einzige Ausweg zu sein, sich einfach nicht mehr zu rechtfertigen. Klare Grenzen ziehen. Und last but not least: Sich als Frau eine Schwangerschaftsunterstellung nicht gefallen zu lassen und die Person direkt damit zu konfrontieren, wie unangebracht eine solche Äußerung ist. Oder gibt’s einen anderen Ausweg?

Über die Autorin:

Nadja Funkner (37) ist Global Head of Marketing bei Zehnder Clean Air Solutions und als einzige Frau Teil des 10-köpfigen Management Teams. Wenn sie sich nicht gerade damit beschäftigt, wie Unternehmen bestmöglich für das Thema „saubere Luft am Arbeitsplatz“ sensibilisiert werden können, bummelt sie in jeder freien Minute durch das Weltgeschehen. Oder sie dreht eine Runde auf dem Crosstrainer. Oder alles gleichzeitig. Lieblingstier? Schwierig, aber das Alpaka ist ganz nah dran. Warum das so ist, das fragst du sie bei Gelegenheit einfach selbst.

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