Sebastian Holtze

16. Juli 2023

6 Min. Lesedauer

Für mehr "Wunder" auf der Herrentoilette!

Gastbeitrag I Gleichberechtigung von Frau und Mann ist in Deutschland seit 1958 im Grundgesetz verankert und gilt in beide Richtungen, oder? Unser Gastautor Sebastian Holtze macht anhand von fehlenden Wickeltischen auf Männertoiletten darauf aufmerksam, dass wir auch im Jahr 2023 noch in Rollenbildern denken, die nicht mehr zeitgemäß sind – und am Ende sogar zu einer doppelten Diskriminierung führen.

Für mehr "Wunder" auf der Herrentoilette!
Für mehr "Wunder" auf der Herrentoilette!

Als ich neulich am Münchener Flughafen eine Toilette suche, passiert es. Ein Wunder, direkt vor meinen Augen. Ich bleibe stehen und kann meinen Augen kaum trauen. Sehe ich dort tatsächlich das Piktogramm eines Vaters, der sein Kind wickelt? Ich bleibe so abrupt stehen, dass der

nächste Toilettenbesucher mich fast über den Haufen rennt. 20 Sekunden später stehe ich vor einem sauberen, komfortablen Wickeltisch in der Herrentoilette. Mein Herz hüpft und meine Finger kribbeln. What a surprise! Ich stelle mich unter das Zeichen, mache ein Foto und feiere diese neue Entdeckung auf LinkedIn.

Und LinkedIn? LinkedIn feiert mit! Fast 300.000 Views, über 100 persönliche Nachrichten, knapp 3.700 Likes… wow. Ich fühle mich gehört! Das Thema bewegt scheinbar nicht nur mich. Verrückt, dass so ein einfaches Thema in 2023 noch solche Wellen schlägt.

"Wir denken auch im Jahr 2023 immer noch in Rollenbildern, die nicht mehr zeitgemäß sind."

Die Erklärung ist einfach: Eigentlich ist die ganze Welt (leider) auf Männer ausgerichtet. Von Karriere, über Bezahlung bis Fußballstadion. Doch wenn’s um Babys und Kinder geht, ist es dann (leider) genau umgekehrt.

Denn welcher Vater kennt ihn nicht? Den Besuch auf der Damentoilette, wenn der Sohn oder die Tochter gewickelt werden muss. Oder das Gespräch mit dem Arzt, der wie selbstverständlich mit der Mutter spricht, während „Mann“ daneben sitzt. Hallo? Ich bin auch da und kenne meine Kinder genauso gut wie meine Frau. Ich bleibe regelmäßig zu Hause, wenn meine Kinder krank sind und gehe sogar zu Bastelabenden in die Kita. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist in Deutschland seit 1958 im Grundgesetz verankert und gilt in beide Richtungen.

Bitte nicht falsch verstehen. Ich möchte weder die Bedeutung von Müttern kleinreden, noch die Bedeutung von Vätern in den Himmel loben. Ich möchte lediglich darauf aufmerksam machen, dass wir auch im Jahr 2023 immer noch in Rollenbildern denken, die nicht mehr zeitgemäß sind und am Ende sogar zu einer Art doppelten Diskriminierung führen. Oder wie darf man einen Wickeltisch interpretieren, der wie selbstverständlich auf der Damentoilette angebracht ist? Frauen wickeln lieber und besser als Männer?

Gut gebrüllt Löwe, denke ich, während ich das schreibe und passend „Männer“ von Herbert Grönemeyer höre. Gleichzeitig wird der Berater in mir wach. Bauchgefühl ist gut, aber Fakten sind besser. Also Google an. Ich werde schnell fündig und bin überrascht. Sind die LinkedIn-Gemeinde und ich in unserer kleinen „Bubble“ doch auf dem Holzweg? Schließlich arbeiten aktuell nur 8 % der Männer mit Kindern unter 6 Jahren in Teilzeit. Bei Müttern sind es über 70 % (vgl. Statista). Mutterkind-Parkplätze im Zoo machen also doch Sinn? 

Ein etwas anderer Eindruck drängt sich auf, als ich eine aktuelle Umfrage entdecke, in der Kinder- und Familienzeit auf der Prioritätenliste von jungen Familien unangefochten ganz oben stehen – bei Müttern UND Vätern. 60 Prozent der Väter wünschen sich mehr Zeit mit ihren Kindern. Die Zahl der Väter, die Elternzeit nehmen, hat sich seit 2007 sogar verdoppelt. Klingt nicht viel, unterstreicht aber die Feierlichkeiten auf LinkedIn. Der Wille ist da. Wandel braucht aber Zeit.

"Und genau deswegen ist es wichtig und richtig, dass auch wir Männer unsere Stimme erheben. Auch wir wollen Familie und Beruf unter einen Hut bringen, auch wir wollen in unserer Rolle als Vater gesehen werden."

Ein Wickeltisch kann ein starkes Zeichen sein.

Und genau deswegen ist es wichtig und richtig, dass auch wir Männer unsere Stimme erheben. Auch wir wollen Familie und Beruf unter einen Hut bringen, auch wir wollen in unserer Rolle als Vater gesehen werden. Und das steht und fällt mit Symbolen wie Parkplatzmarkierungen oder einer Chat-Gruppe „Dads@“. Die haben gerade Väter bei uns im Unternehmen gegründet und wird seitens Arbeitgeber super unterstützt. I like!

In New York gibt es seit 2018 übrigens ein Gesetz, das festlegt, dass alle Damen- und Herrentoiletten in öffentlichen Gebäuden mit Wickeltischen ausgestattet werden müssen. Wenn es sich wie bei der Mode verhält, sollte es nun also ganz bald auch in Deutschland so weit sein, dass wir Diversity endlich auch in städtischer Infrastruktur und Co mitdenken. Ich wünsche es uns!

Über den Autor:

Sebastian ist Director im Geschäftsbereich People & Organisation bei PwC, Geschäftsführer der Digital Business University in Berlin und nicht zuletzt Familienvater. Sein Vorsatz: Der Welt zeigen, dass Berater- und Familienleben sich nicht ausschließen. Wenn er nicht gerade Spielplätze unsicher macht, berät er seine Kunden mit Schwerpunkt Digitale Transformation, Upskilling und „New work“. Dazu engagiert er sich als Coach und Sparringspartner für Startups, Universitäten und Schulen.

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