Die Stress-Bekämpferin
Vor fünf Jahren hat sich Arianna Huffington (71), die legendäre Publizistin, aus der Medienbranche zurückgezogen. Heute bringt sie anderen bei, wie mehr Ausgleich im Job gelingen kann. Ihr Credo: Der Fokus auf kleine Veränderungen, sogenannte „Microsteps“. Ein Gespräch über den Umgang mit Stress im postpandemischen Zeitalter.
Die Erkenntnis, dass mit dem eigenen Leben etwas nicht stimmt, kommt meistens ganz langsam. Manchmal trifft sie einen aber auch mit voller Wucht: So wie bei Arianna Huffington, der berühmten Journalistin, Unternehmerin und Gründerin der „Huffington Post“, deren Leben rein äußerlich betrachtet ziemlich perfekt schien. Bis sie im Jahr 2007 vor Erschöpfung und Schlafentzug im Badezimmer kollabierte und sich beim Sturz gegen das Waschbecken den Wangenknochen brach.
Für Huffington glich der Zusammenbruch einer Vollbremsung – in einem Berufsleben, in dem es stets nur in Hochgeschwindigkeit vorwärts ging. Schon als Teenager hatte die gebürtige Griechin in Cambridge studiert und wurde anschließend Journalistin und Buchautorin. Im Jahr 2005 gründete sie mit der „Huffington Post“ einen Nachrichten-Blog, der zeitweise als eine der einflussreichsten Medienmarken galt.
2016, elf Jahre nach ihrem Unfall, verließ Huffington die Online-Plattform schließlich und widmet sich seitdem mit ihrem Beratungsunternehmen Thrive Global der Burnout-Prävention. Sie entwickelt für Firmen Technologien und Strategien, um Mitarbeiter:innen ein gesünderes Arbeitsumfeld zu bieten und Stress entgegenzuwirken. Im vergangenen März erschien das erste Buch von Thrive Global: „Your Time to Thrive: End Burnout, Increase Well-being, and Unlock Your Full Potential with the New Science of Microsteps“ (Hachette Go, bisher nur auf Englisch). Es erklärt, wie man durch kleine Verhaltensveränderungen Stress im Alltag reduzieren kann.
"Die Vorstellung einer tiefgreifenden Lebensveränderung kann manchmal unrealistisch wirken und überfordern." - Arianna Huffington
Mrs. Huffington, oft heißt es, man müsse sein komplettes Leben verändern, sobald der Burnout kommt. Sie und Ihr Team plädieren hingegen für den Einsatz von „Microsteps“. Was steckt dahinter?
Die Vorstellung einer tiefgreifenden Lebensveränderung kann manchmal unrealistisch wirken und überfordern. Dabei können sogar die kleinsten Eingriffe einen großen Einfluss haben. Es gibt eine Studie der Duke University in North Carolina, die besagt, dass 45% unserer täglichen Handlungen aus Gewohnheitshandlungen bestehen. Das heißt, unser Lebensstil spiegelt diese Gewohnheiten wider. Wenn wir also unsere Gewohnheiten verändern, verändern wir unser Leben. Das ist nicht einfach, aber die Wissenschaft zeigt, es ist möglich – wenn wir kleine Schritt gehen, die „too small to fail“ sind.
Nun hat die Corona-Pandemie viele Menschen vor nie dagewesene Herausforderungen gestellt. Da fragt man sich doch: Wozu die Mühe, wenn wir so viele Stressfaktoren doch gar nicht kontrollieren können?
Stress ist unvermeidbar. Was man aber vermeiden kann, ist akkumulierter Stress. Das Ziel ist, dass wir frühzeitig erkennen, was uns Stress bereitet – und dass wir unsere Batterien aufladen, bevor wir davon überwältigt werden. Das vergangene Jahr war unglaublich hart für alle und die meisten von uns versuchen einfach, physisch und mental gesund zu bleiben, um für ihre Freund:innen, Kolleg:innen, ihre Familien da zu sein. Aber wir müssen verstehen: Wenn wir die beste Version unserer Selbst sein wollen, egal in welchem Lebensbereich, dann brauchen wir „Downtime“, also Zeit zum Abschalten. Wir sind schließlich Menschen und keine Maschinen.
Sie haben im Zusammenhang mit der Zeit nach der Pandemie auf Ihrem Firmenblog viel über Resilienz geschrieben. Warum ist das Thema für Sie relevant?
Für mich geht es bei Resilienz nicht nur darum, unsichere Zeiten zu überstehen. Es geht darum, an Herausforderungen zu wachsen. Das heißt, man rappelt sich nach einem Rückschlag nicht nur wieder auf, sondern man prescht mit mehr Widerstandskraft voran. Wir werden schließlich auch nach der Pandemie mit Herausforderungen und Krisen zu kämpfen haben. Resilienz bauen wir vor allem dadurch auf, dass wir für uns sorgen. Das gilt übrigens auch für Unternehmen in Hinblick auf ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Haben Sie Beispiele für Strategien, die Sie bei Thrive Global entwickelt haben und die Sie selbst einsetzen?
Unsere „Thrive App“ verfügt über ein Feature namens „Reset“. Wir haben es kürzlich in Zusammenarbeit mit Zoom in die bekannte Videoplattform integriert. „Virtual Fatigue“ ist ein Problem für alle, die manchmal mehrere Stunden oder sogar Tage in virtuellen Meetings verbringen. Mit „Reset“ nimmt man sich vor jedem Meeting 60 bis 90 Sekunden, um inne zu halten. Dabei kann man atmen, an bestimmte Zitate denken. Bei Thrive beginnen wir inzwischen all unsere All-Hands-Meetings damit, dass immer ein anderes Teammitglied ein Reset teilt. Also einen Aspekt aus seinem oder ihrem Leben, der ihnen Gelassenheit bringt. Es ist wundervoll, was man in nur 60 Sekunden über einen anderen Menschen lernen kann.
„Wir müssen kleine Schritt gehen, die too small to fail sind.“ - Arianna Huffington
Die virtuelle Welt hat unser Leben nun noch mehr im Griff als zuvor. Aber Sie begegnen diesem Stressfaktor mit noch mehr Technologie?
Es klingt paradox, aber das ist die Entwicklung, die wir mehr und mehr sehen: Technologische Lösungen, die uns helfen, unsere Beziehung mit der Technologie zu verbessern. Sie hat unser Leben verbessert, es aber auch auf eine Weise beschleunigt, dass wir nicht mehr mithalten konnten. Wenn aber Technologien den Menschen in den Mittelpunkt stellen, dann haben wir die Kontrolle über unseren Umgang damit – und nicht umgekehrt.
Haben Sie sich während der Pandemie neue Gewohnheiten zugelegt?
Es gibt eine Technik, die die Forschung als „Habit Stacking“, also „Gewohnheit-Stapeln“ bezeichnet. Das heißt, man verknüpft eine neue Gewohnheit mit einer bereits bestehenden. Ich neige zu Suchtverhalten und habe deswegen entschieden, dass ich Serien nur gucke, während ich auf dem Laufband bin. So bin ich in den vergangenen Monaten durch viele Folgen von „The Crown“, „Succession“, oder „The Queens Gambit“ gerannt.
Arianna Huffington (71) wurde in Athen geboren. Nach ihrem Wirtschaftsstudium in Cambridge arbeitete sie als Journalistin. 2005 gründete sie mit drei Geschäftspartnern die berühmte Online-Zeitung „Huffington Post“. Nach einem schweren Burnout verließ sie das Unternehmen 2016. Huffington hat 15 Bücher geschrieben; mehrere zu dem Thema, warum Schlaf und Erholung erfolgreich machen.