STRIVE Redaktion
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Chris Surel: Der Schlaf-Optimierer

Extreme Müdigkeit machte Chris Surel zu einem jungen Mann mit Suizidgedanken. Heute buchen ihn Top-Manager:innen als Coach, weil er ihnen erklärt, wie sie mit der perfekten Erholungsstrategie noch erfolgreicher werden. Ohne weniger arbeiten zu müssen.

Es ist ein später Samstagabend, als Chris Surel mit ein paar Freunden durch London flaniert. Er ist für ein Praktikum in der britischen Metropole und schaut an den Wolkenkratzern der City hoch. In den Büros brennt Licht, die Banker und Unternehmensberater arbeiten noch. „Haben die ein geiles Leben!“, denkt sich Chris. Da ist er Mitte 20. Kurze Zeit später führte er dieses Leben selbst. Es sollte allerdings fast sein Untergang werden.

Chris Surel: Der Schlaf-Optimierer
Chris Surel: Der Schlaf-Optimierer

 

Eigentlich hatte der Münchner eine Karriere als Tennisprofi angestrebt. In seiner Jugend tummelt sich Chris in den Top Ten der deutschen Rangliste; eine chronische Verletzung macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Aus Ratlosigkeit studiert er BWL, dann folgt die Anstellung bei der Unternehmensberatung Roland Berger. „Zum ersten Mal habe ich mich wieder wie ein Leistungssportler gefühlt. Da waren Leute, die Ambitionen hatten, die etwas erreichen wollten, die immer ein bisschen härter auf dem Gas standen“, erzählt der 42-Jährige heute. Nach dem Consulting zieht Chris weiter ins Management zu Payback. Mit knapp über 30 Jahren juckt es ihn in den Fingern: Jetzt ein eigenes Unternehmen groß machen! Dieser Schritt war der größte Fehler seines Lebens. „Ich wollte besonders schlau sein und alles gleichzeitig schaffen. Tagsüber erledigte ich meinen Zwölf-Stunden-Manager-Job, dann kurz zu Hause einen Happen essen und bis nachts um vier am Start-up schrauben. Um sechs Uhr klingelte schon wieder der Wecker.“

 

Der Mythos vom Kurzschläfer-Gen

 

Wenig Schlaf. Er ist ein Mythos. Erfolgreiche Menschen rühmen sich damit, nur vier Stunden Erholung in der Nacht zu brauchen. Also mehr Lebenszeit zur Verfügung zu haben als andere. Große Politiker:innen und führende Wirtschaftsköpfe sagen häufig, wenn man sie nach ihrem Erfolgsrezept fragt: Ich schlafe wenig und schaffe deshalb viel. Aber kann das bei jedem funktionieren? Reicht dazu der bloße Wille oder ist Schlafentzug Raubbau am eigenen Körper? Als Foltermethode gilt er schließlich allemal. Die Unternehmerin und Publizistin Arianna Huffington brach 2007 aus Übermüdung zusammen und predigt seitdem, wie essentiell Nachtruhe für die Effizienz ist, sie schrieb später sogar den Bestseller „Die Schlaf-Revolution“. Und Microsoft-Gründer Bill Gates räumte in einem Interview ein, dass es zwar durchaus Spaß mache, die ganze Nacht durchzuarbeiten oder einen „Red Eye Flight“ zu nehmen – auf Dauer brauche aber selbst er sieben Stunden Schlaf, um kreativ zu bleiben.

 

Die Forschung sagt: Ja, es existiert eine bestimmte Genmutation. Wer sie hat, dem reichen weniger als sechs Stunden Schlaf die Nacht. Dann ist die komplette Erholung abgeschlossen. Allerdings tragen nur etwa 50 Familien weltweit dieses Kurzschläfer-Gen in sich. Als Wenigschläfer auserwählt sind also nur die Allerwenigsten. Auch Chris Surel ist es nicht.

 

Sein Plan sah eigentlich vor, nur ein paar Monate den Schlaf zu reduzieren. Und zwar so lange, bis sein Business an den Start geht. Die Idee war, online exklusive Herrenmode zu verkaufen. Doch als das Start-up im November 2011 steht und der junge Unternehmer seinen Managerposten bei Payback kündigt, kommt er von seinem Trip nicht mehr herunter. Jetzt hätte er wieder mehr Zeit zum Ausruhen, schafft es aber nicht. „Über ein Jahr nur zwei Stunden Schlaf die Nacht, das hat mich seelisch wie physisch zerstört. Von außen sah alles prima aus: Eigene Firma, Inverstoren, Wachstum. In Wirklichkeit war ich eine One-Man-Show. Und ich sah, wie meine Produktivität stetig bergabging. Obwohl ich 18 Stunden am Schreibtisch saß, bekam ich immer weniger hin“, erzählt Chris Surel. Er sei wie in einem Dauerdelirium gesteckt, im Englischen nenne man das „Brainfog“. Eben dieser Nebel sei bei ihm an der Tagesordnung gewesen. Dazu kam sein hoher Leistungsanspruch und finanzieller Stress. Das Start-up ging nicht durch die Decke, wie es der Businessplan prognostiziert hatte. Chris wusste: Sein Geld reicht nur für eine gewisse Zeit, er stand also unter enormen zeitlichen Druck. Und da war noch etwas: „Meine Ehefrau entschied, dass sich ihr Fitnesstrainer besser um sie kümmerte als ich – was damals bestimmt auch stimmte. Wir trennten uns, ließen uns 2013 scheiden.“

 

Werfe ich mich jetzt vor den Zug?

 

Dass er im November 2011 bis zum Hals in einer Negativspirale feststeckt, bemerkt Chris Surel erst, als es fast zu spät ist. Er geht mit seinem Labrador spazieren, ihre Strecke führt die beiden an einem Bahngleis vorbei. Da kommt ein Zug von weitem angesaust und Chris denkt: Jetzt endgültig die Lichter ausmachen. Es ist sein Hund, der wie verrückt bellt und Chris davon abhält, sich das Leben zu nehmen. „Ich habe ihm in die Augen geschaut und gesehen, dass das Leben mehr ist als nur Probleme. Klingt kitschig, ich weiß. Aber irgendwie hat mein Hund mich aus dem Film herausgezogen“, erzählt Chris Surel.

 

Nicht mehr zurechnungsfähig sein. Auf Ideen kommen, die einem Ausgeschlafenen völlig abwegig vorkommen. „Aus heutiger Sicht klingt meine Geschichte absurd. Das ist nur nachvollziehbar, wenn man so etwas selbst erlebt hat. Ich erfuhr am eigenen Leib, wohin es führt, wenn der Geist getrübt ist und man nicht mehr objektiv denken kann. Übermüdet, die Hormone völlig falsch eingestellt. Wenn man gewisse Treiber in sich hat, kommen einem Optionen in den Sinn, die als Erlösung erscheinen.“

 

Wozu brauchen wir Schlaf?

 

Etwa ein Drittel seiner Lebenszeit verschläft der Mensch. Und das aus gutem Grund. Schlaf ist kein sinnloser Zeitvertreib, sondern dient dem Zurückgewinnen verbrauchter Kräfte und dem Abspeichern von Wissen. Unzählige Mechanismen werden in Körper und Gehirn in Gang gesetzt. Beispielsweise verbessert ausreichend Nachtruhe unsere Denkleistung, unser Immunsystem wird gestärkt, die Zellerneuerung stimuliert. Der Begriff Schönheitsschlaf kommt nicht von ungefähr: wer zu wenig schläft, sieht verknittert aus. Der Körper repariert kaputte Zellen im Schlaf. Während wir schlummern, arbeiten Körper und Gehirn also weiter auf Hochtouren, damit wir im wachen Zustand wieder leistungs- und lebensfähig sind. Wie man gut schläft, ist erst einmal keine Raketenwissenschaft. Mediziner nennen es Schlafhygiene. Und die geht so: Zu festen Uhrzeiten ins Bett gehen, für eine ruhige, dunkle und kühle Atmosphäre sorgen, für etwa zwei Stunden vor dem Einschlafen kein Bildschirmlicht an die Augen lassen sowie eine Schlafdauer von mindestens sieben Stunden.

 

Klar, es geht auch kürzer. Mit Willenskraft, Koffein und dem Stresshormon Cortisol im Blut schafft es der Körper irgendwie auch so durch sehr lange Tage. Aber es ist wie immer im Leben: Man zahlt einen Preis. In diesem Fall: die kognitiven Fähigkeiten driften weg vom Optimum, um eine kurzfristige Folge zu nennen. Die langfristige können wir bei berühmten Wenigschläfern wie Ronald Reagan und Maggie Thatcher beobachten: Alzheimer. Manche Prozesse, die während des Schlafs ablaufen, benötigt das Gehirn unbedingt zum Fortbestehen. Das glymphatisches System etwa reinigt unser Gehirn. Das braucht eine gewisse Zeit – und funktioniert nur im Tiefschlaf. Durchläuft man diese Schritte nicht, entstehen um unsere Neuronen toxische Proteine, die sich zu Plaque-Strukturen verkrusten. Diese wiederum sind eine der Haupt-Risikofaktoren für Alzheimer. Der Link von Kurzschläfern, die später Alzheimer-Patienten werden, ist mittlerweile wissenschaftlich sehr klar dokumentiert.

 

Man wächst in den Pausen

 

Nach seinen Selbstmordgedanken holt sich Chris Surel Hilfe. Experten zeigen ihm auf, dass das Schlafdefizit für seinen desolaten Zustand verantwortlich ist. „Als Sportler hatte ich verinnerlicht, dass man in den Pausen wächst. Im Business-Kontext ließ ich das komplett außer Acht.“ Fortan lässt er sich therapieren, coachen, beraten. Ein Experte sagt beim ersten Gespräch: „Burnout kriegen nur die Allerbesten! Wenn jemand so eine Leidenschaft für ein Thema hat und bereit ist, über Grenzen zu gehen, dann muss er sehr große Ziele haben.“ Damit hat er Chris.

 

Er will zurück ins Leben finden, dafür aber keine Auszeit nehmen. Deshalb folgt Sitzung auf Sitzung, Chris nennt es Druckbetankung. Funktioniert für ihn. In seinem Kopf werden die Dinge wieder richtig gedreht, bessere Gewohnheiten etabliert. Das bemerkt auch sein Umfeld. „Ich war empathischer, hatte Energie, meine Augen glänzten. Die Leute fragten mich, wie ich das geschafft habe – und ich gab mein neues Wissen gerne weiter. Die Gespräche, in denen ich anderen helfen konnte, waren die schönsten der Woche.“ Da ist aber noch sein Start-up, das parallel weiterläuft. Chris erkennt, dass es nicht seine größte Stärke ist, online Klamotten zu verkaufen. Dass er aber in Höchstform aufläuft, wenn er seine Erfahrungen weitergeben kann. Er trifft eine wichtige Entscheidung und zieht seinem Unternehmen den Stecker.

 

"Du kannst im Leben voll auf dem Gas stehen und musst nicht dabei ausbrennen." - Chris Surel

 

Längst hat er sich da tief in die Wissenschaft eingelesen und ist selbst zum Experten in Sachen Schlaf und Regenration geworden. Zusätzlich arbeitet er sich in Coaching-Methoden ein – denn die Anfragen reißen nicht ab. „Klar war es ein großes Risiko, alles aufs Coaching zu setzen. Ich hatte schließlich weder einen Namen in dem Bereich noch echte Kompetenz. Trotzdem hat es sich richtig angefühlt“, erzählt Chris. Sein Bauchgefühl gibt ihm Recht, bald kann er als „Recovery and Sleep Coach“ leben. Seine tiefe Überzeugung ist seither die: „Du kannst im Leben voll auf dem Gas stehen, du kannst Imperien aufbauen, die Karriere-Leiter erklimmen. Und du musst dabei nicht ausbrennen.“ Sein Erfolgsrezept nennt sich „Strategic Recovery“, also das strategische Erholen. Es geht darum, das Stresslevel durch maximal effektive Mikropausen immer wieder zu unterbrechen, damit das Nervensystem zügig abschalten kann. Und das auch mal zwischen zwei Meetings und nicht nur abends vor dem Schlafengehen. Das geht zum Beispiel mit speziellen Atemtechniken in Kombination mit binauralen Tönen, einer speziellen Audiotechnologie, die auf jedes Ohr eine andere Frequenz abspielt. So werden die Gehirnwellen verlangsamt. Dazu setzt man sich hin, atmet tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus, schließt die Augen, spürt bewusst den eigenen Körper und lauscht diesen monotonen Tönen.

Mittlerweile kommen sie alle zu ihm: die führenden Unternehmensberatungen, die Dax-Konzerne, die Top-Manager:innen. Sie alle glauben an Karriere, an Erfolg, an viel Arbeit. Genau deshalb wollen sie nicht von Chris Surel erfahren, wie sie ihr Leben umkrempeln können. Sie wollen wissen, wie sie energiegeladen auf der Erfolgsspur bleiben.

 

Codewort Tiefschlafverdichtung

Neben dem Abschalten lernen, besserer Bewegung und einer gezielten Ernährung geht es Chris Surel vor allem um: Tiefschlafverdichtung. Viele Menschen liegen in der Nacht lang genug im Bett, fühlen sich am nächsten Tag aber trotzdem wie gerädert. „Der Tiefschlaf findet bei einer gesunden Schlafarchitektur in der ersten Nachthälfte statt. Wenn ich da aber noch mit dem Kopf im Büro bin und auf Problemen herumdenke, fällt es schwer, in den Tiefschlaf zu finden“, sagt Chris Surel. Das Problem sei, dass viele Erfolgsmenschen 15 Stunden am Tag ununterbrochen im Stressmodus sind. Von der Evolution sei aber vorgesehen, dass dieser Modus nicht länger als eine halbe Stunde dauere. Etwa, wenn man bei Gefahr kämpft oder flieht. Der Switch vom Sympathikus ­– dem Stressmodus – in den Parasympathikus – den Erholungsmodus – könne also nicht sauber funktionieren. Langfristig leide dabei die so existentielle Tiefschlafphase. Um diese zu begünstigen, sei es vonnöten, zwei Stunden vor dem Schlafengehen den direkten Augenkontakt mit grellem Licht zu meiden. So bekommt der Körper die richtigen Signale, das Schlafhormon Melatonin zu produzieren. Dazu gehört auch, sich beim Zähneputzen keine Blaulicht-Dusche im hellen Badezimmerlicht mehr abzuholen. Chris Surel empfiehlt seinen Klienten außerdem, weniger Zeit bei Instagram, Twitter und Facebook zu verbringen: „Schneidet 15 Prozent von der Zeit, die ihr in sozialen Medien verbringt, weg und investiert sie in eure Stresselastizität. Also die Fähigkeit, wieder in den Erholungsmodus zu kommen.“

 

Workaholics wollen andere Menschen beeindrucken

 

Heute ist Chris Surel nicht nur als Coach erfolgreich, er ist auch wieder verlobt. Sein Labrador Karli ist mittlerweile elf Jahre alt und nach wie vor an seiner Seite. Abschließend die vielleicht wichtigste Frage: Wie konnte er es so weit kommen lassen? Wie den Raub am eignen Körper, die Gier nach Erfolg, das ganze Leben beinahe zerstören lassen? Chris Surel erklärt, Workaholics eine der Glaube daran, dass allgemeingültige Standards für sie nicht gelten. Weil sie härter sind als der Rest. Diese Überzeugung bringe sie dazu, alle Bedürfnisse der Karriere unterzuordnen. Extrem erfolgreiche Menschen hätten gewisse Treiber in sich, die ihnen sagen: Du willst das! Und: Letztlich wollen diese Menschen andere beeindrucken. Chris Surel selbst bezeichnet sich heute als trockenen Workaholic.

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