Meine Gründungsstory | Frauen vor Übergriffen schützen, wenn sie alleine unterwegs sind – das ist die Mission von den vier Gründerinnen von Not Just A Jewel. Sie haben ein smartes Accessoire entwickelt, das nicht nur gut aussieht, sondern bei Gefahr einen Alarm auslösen kann. Wie sind sie auf die Idee gekommen?
STRIVE Redaktion
16. Februar 2022
Wie ein Armreif für Sicherheit sorgt
Susana: Ich bin Susana Gomez und lebe mit Mann und zwei Töchtern in Berlin. Im April 2021 habe ich mit Daria, Olya und Vanessa Rexin die Not Just A Jewel GmbH gegründet. Zusammen bauen wir unter dem Markennamen LÆMON eine innovative Tech- und Design-Marke auf, für alle die sich frei und sicher fühlen wollen. Wir sind die ersten am Markt, die Design und Technik in einem IoT-fähigen Schmuck-Armband verbinden, zum gewaltfreien Selbstschutz mit integriertem lautem und stillem Alarm. Über unsere Schutz-App können Nutzer:innen Familie und Freunde dazu einladen, als Notfallkontakt zur Verfügung zu stehen. Bei Alarm-Auslösung geht dann direkt vom Armband eine SMS mit den GPS-Daten an vorab ausgewählten Notfallkontakte. Das Tracking funktioniert zum Schutz der Privatsphäre ausschließlich im Fall einer Alarm-Auslösung. Über unsere App können die NutzerInnen neben den privaten Kontakten auch ein angeschlossenes Service Notfall Center hinterlegen und haben somit 24/7 Zugriff auf professionelle Hilfe.
Was hat Sie zum Gründen bewogen?
Susana: Ich hatte schon immer den Wunsch, ein nachhaltiges und wirtschaftliches Unternehmen mit sozialem Nutzen aufzubauen. Ich weiß selbst nicht genau, woher dieser Wunsch kommt. Ich bin die Erste in unserer Familie, die ihr Abitur gemacht hat, die Erste die studiert hat und nun die Erste die gegründet hat. Ich bin nach Abschluss meines Modedesign Studiums quer in die PR eingestiegen – mit dem Ziel alles über Unternehmenskommunikation zu lernen und die entsprechenden Kontakte zu Journalist:innen zu knüpfen. 2013 habe ich dann mit einer Freundin meine eigene PR-Agentur gegründet. Dabei fehlte mir aber von Anfang an der soziale Nutzen, die entsprechende Sinnhaftigkeit, nach der ich seit Jahren gesucht habe. Mit LÆMON habe ich diese Sinnhaftigkeit für mich gefunden. Beim Gründen fasziniert mich die Möglichkeit etwas Neues nach meinen eigenen Vorstellungen und Ideen verwirklichen zu können.
Vanessa: Bei mir war das ein längerer Prozess. Nach dem Studium an der RWTH in Aachen habe ich zuerst drei Jahre als Wirtschaftsingenieurin in einer Unternehmensberatung gearbeitet. Gründen war dann immer noch kein Thema für mich. Promovieren stand auf dem Programm. Mein Interesse für Technologien und Innovationen führte mich dann nach Aachen zurück, zu Professor Malte Brettel an den Lehrstuhl für Innovation und Entrepreneurship. Gleichzeitig habe ich dort im digitalHUB als Beraterin, unter anderem für Startups, gearbeitet. Also, bei der Promotion, durch die Beschäftigung mit vielen Startups, kam dann der Gedanke auch selbst zu gründen.
Wie entstand die Idee?
Susana: Ich hatte Anfang 2019 die Idee zu dem Produkt. Ich hatte meinen 4. runden Geburtstag und habe beim Rad fahren über meine Jugend nachgedacht und darüber, wie großartig meine Mutter es geschafft hat mich in meiner Selbstständigkeit zu fördern. Ich konnte mich immer frei bewegen und sie hat mir vertraut, obwohl ich wusste, dass sie sich durchaus auch Sorgen gemacht hat. Gleichzeitig musste ich an viele Catcalling und andere schwierige Situationen denken, die ich über die Jahre erlebt habe. Und dachte dann: Wie kann ich es schaffen mit all diesen Erfahrungen im Kopf, meine Töchter auch so frei ziehen zu lassen, ohne sie zu tracken oder anderweitig zu überwachen. Und da war die Idee plötzlich da und hat mich nicht mehr losgelassen.
Haben Sie allein gegründet oder im Team? Warum?
Susana: Ich habe zusammen mit meinen drei großartigen Mitgründerinnen gegründet. Ich wollte eine sinnhafte Marke aufbauen. Wirtschaftlich und sozial nachhaltig. Das geht nicht allein. Es braucht viele Schlüsselkompetenzen, um eine Gründung erfolgreich zu gestalten. Eine einzige Person kann meiner Meinung nach all das nicht abbilden. Noch dazu hatte ich eine technische Produktidee, ohne jeglichen technischen Background. Ich liebe es, im Team zu arbeiten, vor allem wenn die Zuständigkeiten ganz klar definiert sind. Da wir alle vier aus komplett unterschiedlichen beruflichen Hintergründen kommen, ergänzen wir uns hervorragend und haben damit einen entscheidenden Vorteil in der besonders herausfordernden Startphase. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich Vanessa, Olya und Daria, alles Top-Expertinnen, für LÆMON gewinnen konnte.
Vanessa: Für mich war immer klar, dass nur eine Gründung im Team in Frage kommt. Allein gründen war trotz vieler Gründungsideen nie eine Option. Ich habe dann gezielt nach Teams gesucht, wo ich vielleicht gut reinpasse. Irgendwann habe ich dann bei LÆMON drei Gründerinnen gefunden, ein Team, das ich mit meinen Interessen und Fähigkeiten ideal ergänzen konnte.
Mit VC Geld oder ohne? Warum?
Susana: Ganz klar mit. Wir suchen aktuell nach den passenden VC’s oder Impact Funds, um in die Skalierung gehen zu können. Eine Produkt-Innovation im Hardwarebereich zu realisieren ist kostenintensiv. Ebenso der Aufbau einer B2C Marke. Um einen wirklichen Skalen-Effekt zu erzielen, muss entsprechend in der frühen Phase in die Qualität des Produktes und ins Marketing investiert werden. Wir suchen nach einem Partner mit Erfahrung im Hardwarebereich mit Fokus auf den B2C Markt. Hier sehen wir über alternative Business Modelle, wie z.B. Abo-Modelle, und den Ausbau des Portfolios ein großes Potential für Wachstum. Gerade haben wir auch eine Crowdfunding-Kampagne laufen, um an Kapital zu kommen und zu testen, wie das Produkt ankommt.
Welche Hindernisse hatten Sie beim Gründen?
Susana: Wir haben das Projekt pünktlich zu Beginn der Corona Pandemie gestartet und kannten uns bis dahin noch gar nicht. Wir haben uns wochenlang nur in Online-Calls gesehen und über den Zeitraum von einem Jahr nur ca. 4-mal persönlich getroffen. Das war schon sehr speziell, hat uns aber auch direkt dazu verholfen gute Strukturen aufzubauen, um uns gegenseitig zu informieren.
Vanessa: Vom Finanziellen abgesehen war für uns die größte Herausforderung, die richtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die mit uns die nächsten Schritte beim Unternehmensaufbau gehen.
Wie haben Sie sich am Anfang finanziert?
Vanessa: Die Entwicklung unserer Hardware ist sehr kostenintensiv. Die Prototypen-Herstellung mit 3D-Druckern können wir teilweise durch ein EXIST-Stipendium abdecken,
dazu wurden wir anfangs durch ein Gründungsprogramm der Digitalwirtschaft in Berlin-Brandenburg finanziell unterstützt. Über das EXIST-Stipendium ist auch der Lebensunterhalt für drei von uns Gründerinnen finanziert. Ganz wichtig war dann der Einstieg der ersten Investoren. Jetzt brauchen wir bald zusätzliche Mittel, um schnell skalieren zu können.
Welche Fuckups mussten Sie und ihr Team bereits überwinden?
Susana: Durch Zeitverzögerungen in der Produktion unserer Prototypen waren wir auf unseren ersten zwei Offline-Events mit dem Produkt nicht so weit wie geplant, was uns dazu zwang die „alten“ Prototypen vorzustellen und Termine mit potentiellen PartnerInnen zu verschieben. In solchen Momenten fühlt man sich machtlos und ausgebremst.
Was war für Sie persönlich die größte Herausforderung?
Susana: Ich habe bisher immer in einem sehr homogenen Arbeitsumfeld gearbeitet. Meine Mitarbeitenden hatten alle mehr oder weniger denselben beruflichen Hintergrund. Bei LÆMON arbeite ich jetzt sehr eng mit meinen technischen Mitgründerinnen zusammen. Das ist auf vielen Ebenen eine neue Erfahrung und kommunikativ durchaus herausfordernd. Mittlerweile haben wir einen guten Weg gefunden uns gegenseitig zu verstehen, oder einfach zuzugeben, wenn nur Fragezeichen über dem Kopf aufpoppen.
Vanessa: Den Überblick zu behalten und die Verantwortung für alle MitarbeiterInnen. Wir entwickeln sowohl Hardware als auch Software und haben dazu im letzten Jahr ein Team aufgebaut, dass aus internen MitarbeiterInnen, Freelancern und externen Dienstleistern und Produzenten besteht. Es gilt, die richtige Flughöhe zu finden und wie man die Arbeit richtig kontrolliert, ohne zu viel Mehraufwand zu generieren. Eine der größten Herausforderungen ist vielleicht, die richtige Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle zu finden.
Wie haben Sie gelernt zu führen?
Vanessa: Unter anderem in Seminaren des Frauenförderung-Netzwerks Femtec.
Haben Sie einen Mentor bzw. eine Mentorin, mit dem/der Sie sich austauschen?
Susana: Wir haben das Glück von vielen großartigen Menschen mit ebenso großartigen Netzwerken umgeben zu sein. So findet sich für fast jede Frage jemand, der oder die uns weiterhelfen kann. Zurzeit sind wir Teil des IoT Inkubators hubraum, der Deutschen Telekom, und haben hier Zugriff auf einen Pool an ExpertInnen.
Vanessa: Für mich sind unsere Investoren Viola Klein und Andreas Mönch sehr wichtig. Da sie selbst zusammen sehr erfolgreich ein Unternehmen aufgebaut haben, ist ihnen unsere Situation vertraut und wir können uns bei unseren Entscheidungen immer auch von Ihnen beraten lassen.
Was haben Sie für Erfahrungen gemacht, als Sie vom Arbeitnehmertum ins Unternehmertum „gewechselt“ sind?
Susana: Das liegt bei mir schon ein paar Jahre zurück. Ich habe mich 2012 selbständig gemacht und kann nur sagen, dass das definitiv die beste Entscheidung für mich war. Ich habe mich seitdem persönlich und beruflich enorm weiterentwickelt. Wer darüber nachdenkt, sollte den Schritt wagen. Zurück kann man immer wieder. Nur will man es unter Umständen nicht mehr.
Worauf blicken Sie aus ihrer bisherigen Gründungszeit gerne zurück?
Susana: Auf sehr viele Momente. Die ersten Treffen mit Daria, Olya und Vanessa. Unsere ersten Prototypen am Arm. Unsere erste Angestellte. Unser erster Artikel in der FAZ, woraufhin sich über 900 Menschen zu unserem Newsletter angemeldet haben und mein Telefon nicht mehr stillstand. Diese Telefonate mit Menschen, die mir erzählen, warum unsere Idee ihr Leben bereichern würde, sind immer ein Highlight. Ganz besonders war auch unsere Vertragsunterzeichnung zur Gründung unserer GmbH. Es war mitten im Lockdown und wir konnten nirgendwo hin, um zu feiern. Also haben wir einen Büro-Raum gemietet, klein und ohne Fenster, und haben mit Champagner angestoßen. Ich kann den Moment schwer beschrieben, aber wir haben viel gelacht und es fühlte sich großartig an.
Vanessa: Worauf ich besonders stolz bin, ist die Produktentwicklung, dass wir mit einem kleinen Team in so kurzer Zeit einen IoT-Prototypen und eine zugehörige App entwickeln konnten, inklusive einer Patentanmeldung.
Ihr Buch-/Filmtipp für Gründer:innen?
Susana: Ich habe über viele Jahre PR für Nike gemacht und habe die Biografie von Phil Knight „Shoe Dog“ verschlungen. Das Buch hat mich inspiriert und meinen Wunsch zu gründen bestärkt. Die Geschichte hat mir glaube ich dabei geholfen groß zu denken. Zurzeit lese ich das „Public Arena Playbook“ von Juri Schnöller um all das zu lernen, was ich noch nicht über das Thema digitale Kommunikation weiß. Generell kann ich nur empfehlen sich mit Inhalten zu beschäftigen, die dich wirklich interessieren und inspirieren. Bei Themen, die so einfach gar nicht in deinen Kopf gehen, suche dir Unterstützung von PartnerInnen oder aus deinem Netzwerk.
Vanessa: Ich habe im letzten Jahr das Buch Starting a Revolution von Naomi Ryland und Lisa Jaspers gelesen und fand das sehr inspirierend. Naomi und Lisa haben mehrere Unternehmerinnen befragt und dargestellt, wie eine bessere Businesswelt möglich ist. Das Buch motiviert, den Status Quo zu verändern, beziehungsweise dazu selbst einen Beitrag zu leisten müssen, denn das geht nicht von alleine.
Welchen Tipp würden Sie ihrem 18-jährigen Ich in Sachen Gründung geben?
Susana: Sei nicht neidisch auf deine MitschülerInnen, die offenbar ganz genau wissen was sie studieren oder beruflich machen wollen. Jede Findungsphase hat seine Berechtigung und jeder Schritt führt dich zum nächsten. Bleib einfach immer offen und neugierig und warte nicht darauf, dass du selbst eine geniale Idee hast, sondern suche nach Menschen mit genialen Ideen, denen du dich anschließen kannst. Das Team zählt, die Ideen wachsen.
Vanessa: Mutig sein. Sich früh für Möglichkeiten außerhalb der klassischen Industriekarriere zu interessieren, und nicht immer nur die Optionen in Betracht ziehen, die einem explizit angepriesen werden. Immer neugierig sein, Dinge auszuprobieren, und keine Angst davor zu haben, zu scheitern.