Insa Schniedermeier

13. Oktober 2021

8 Min. Lesedauer

Ein Unternehmen muss ein Pain Killer sein

Meine Gründungsstory | Yao Wen ist Vorstandsvorsitzende und Mitgründerin der CIP GROUP, einem Supply Chain Spezialisten mit Hauptsitz in München. Mit ihrem neuesten Projekt mocci möchte Yao Wen die Stadt der Zukunft mitgestalten und die Mobilität der ersten und letzten Meile revolutionieren. Wir haben mit der Gründerin über Ihre Anfänge und Ihre größten Learnings gesprochen.

Ein Unternehmen muss ein Pain Killer sein
Ein Unternehmen muss ein Pain Killer sein

Frau Wen, Sie sind in China geboren und aufgewachsen und kamen dann 1985 für ein weiterführendes Studium nach Augsburg. Wie kam es dazu, dass Sie die CIP GROUP gegründet haben?

Nach meinem Abschluss in Kommunikationswissenschaften, Soziologie und Germanistik startete ich bei Siemens mit der Aufgabe Einkaufsbeziehungen zu chinesischen Lieferanten aufzubauen. Für den Job ging ich 1992 nach Hongkong, um dort die International Procurement Offices der Siemens AG in Greater China aufzubauen. Wir waren damals Pioniere, da Siemens sich als erster westlicher Großkonzern Richtung Asien aufmachte. Dort baute ich das Supply Chain Business für elektronische Bauteile und Komponenten auf. Aus dem internen Business-Case wurde schnell eine globale Dienstleistung. Durch mein Netzwerk erweiterte ich das Geschäftsfeld auf deutsche und europäische Großkonzerne, die wettbewerbsfähig bleiben wollten. Als Abteilungsleiterin lernte ich meinen späteren Geschäftspartner Dimitrios Bachadakis kennen. In einem Management-Buy-out wagten wir 2004 gemeinsam den Schritt ins Unternehmertum. Seitdem führen wir gemeinsam die CIP HOLDING AG.

Wieso der Management-Buy-out?

Als Siemens sich 2004 mehr auf das Kerngeschäft konzentrieren wollte, stellte das Unternehmen die von mir aufgebaute Supply Chain Abteilung zum Verkauf. Doch ich wollte die Abteilung nicht aufgeben. Daher der Management Buy-Out. Heute besteht unser Team aus 50 MitarbeiterInnen aus 13 Nationen und wir haben CIP gemeinsam zu einer starken Unternehmensgruppe entwickelt, inklusive Joint Ventures sowie exklusiven Partnerschaften mit führenden globalen Playern.

Welche Hindernisse hatten Sie beim Gründen?

Wir mussten den Siemens Konzern erst einmal überzeugen, dass wir die Abteilung herauskaufen und den Kund:innen mit Langzeitverträgen den gleichen hohen Service bieten können. Ich hatte das Geschäft von Null aufgebaut und wusste, worauf es ankam. Als es zur Übernahme kam, wurden Dimitrios und ich über Nacht von Angestellten zu Unternehmer:innen. Damit kamen neue Herausforderungen: Steuerliche, rechtliche, und personelle Angelegenheiten, die man von nun an ebenfalls zu steuern hatte. Mit der Gründung habe ich erkannt, dass man Unternehmertum keinesfalls im Großkonzern lernt. Es war ein langer Prozess und nichts, was man über Nacht lernt. Man muss sich selbst Dinge aneignen und dabei auch ein gewisses Lehrgeld zahlen.

"Ich hatte das Geschäft von Null aufgebaut und wusste, worauf es ankam." – Yao Wen

Welche Hürden mussten Sie und Ihr Team bereits überwinden?

Ein Unternehmen befindet sich im ständigen Wandel und muss auf den Markt und die Bedürfnisse der Kund:innen reagieren. So haben wir beispielsweise gelernt, dass wir unser Supply Chain-Modell umstellen, modernisieren und digitalisieren mussten. Heute sind wir ein Full-Service-Anbieter der End-to-End Supply Chain Lösungen anbietet.

Ein anderes Beispiel für Wandel ist unser Nachhaltigkeits-Bereich. 2005 entwickelten wir in einem Joint Venture mit dem chinesischen Unternehmen Yingli zeitweise den größten Solarmodulhersteller der Welt. 2018 trafen wir die strategische Entscheidung, das Solargeschäft innerhalb der CIP Group aufzugeben. Doch die Erfahrungen, die wir damals gesammelt haben, dienen uns noch heute und bilden das Fundament unserer neuen Sparte mocci.

Was ist Ihre Vision für mocci?

Mit mocci wollen wir den innerstädtischen Verkehr revolutionieren, Mobilitätslösungen kreieren und die sogenannte letzte Meile im Supply Chain Geschäft verbessern. Für die Vision einer Stadt der Zukunft ist für mich nichts so naheliegend wie der Vorstoß in das Thema Mikromobilität. Ich schöpfe hier viel aus den Erfahrungen des Supply Chain Geschäfts sowie der Zusammenarbeit mit Industriekund:innen.

Was ist aus unternehmerischer Sicht spannend an mocci?

Wir platzieren unsere Lösungen in Kombination mit einem ganzheitlichen Hardware- und Software-Ökosystem. Dabei setzen wir auf den Ansatz „Engineered and Made in Germany“ um die Abhängigkeiten von Lieferanten aus dem Ausland, speziell aus Asien, stark zu reduzieren. Das Produktionsverfahren ermöglicht zudem eine schnelle Skalierbarkeit und somit Lieferfähigkeit an unsere gewerblichen Kund:innen.

Woher stammt der Name mocci?

Das Wort „mocci“ ist eine Wortschöpfung aus dem Chinesischen und bedeute so viel wie „magisches Fahren“. Aus meiner Kindheit in der chinesischen Megametropole Chongqing erinnere ich mich an viele Hügel, die man mit dem Fahrrad nur schwer bezwingen konnte. Hier haben wir mit dem mocci Smart Pedal Vehicle eine Lösung geschaffen, denn das smarte Bike passt sich immer automatisch an die Leistung des Fahrers an.

Was war für Sie persönlich die größte Herausforderung?

Eine meiner größten Herausforderungen war es als 21-Jährige mit nur 30 Dollar in der Tasche in ein völlig fremdes Land zu ziehen, um dort zu studieren. Als ich nach Deutschland kam gab es hier noch nicht mal Sojasauce. Über acht Jahre konnte ich meine Eltern nicht sehen und mit ihnen lediglich per Brief kommunizieren. Aber aus dieser Zeit habe ich viel gelernt.

Eine weitere Herausforderung war es, mich in einigen Männerdomänen durchzusetzen. In meiner Zeit im Solargeschäft war ich die erste Chinesische Frau, die die Bundesliga und die Fifa gesponsert hat. Es war für mich ein besonderer Moment als wir während der WM 2014 in Brasilien auf der Werbebande zu sehen waren.

"Ich war die erste Chinesische Frau, die die Bundesliga und die Fifa gesponsert hat." – Yao Wen

Welchen Tipp würden Sie Ihrem 18-jährigen Ich in Sachen Gründung geben?

Zunächst einmal: Klarheit. Nichts ist wichtiger als ein klares Ziel. Außenstehenden sollte sofort ersichtlich sein, wofür ein Unternehmen und die Unternehmerin dahinter stehen. Darauf aufbauend würde ich mich immer wieder einem Produkt oder Dienstleistung zuwenden, welches einen großen Markt und dementsprechend viel Nachfrage hat. Das Produkt sollte zu Beginn der Selbstständigkeit eher einfach sein, und auf großen Umsatz abzielen. Man selbst sollte seinen ganzen Fokus auf diese Idee setzen und nicht versuchen, zu Beginn mehrspurig zu fahren. Den Begriff „Pain Killer“, den ich kürzlich in einem chinesischen Wirtschaftsartikel über Sequoia Capital gelesen habe, finde ich sehr treffend. Heißt: Mit einer Unternehmensgründung sollte möglichst ein Problem gelöst werden. Im Kern des Handelns sollte man sich immer fragen: „Wie kann ich anderen Leuten helfen?“, also andere dabei unterstützen, ihrem eigenen Ziel näher zu kommen, quasi ganz ohne Schmerzen.

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