MARIAM MISAKIAN
1 Min. Lesedauer

Die Grosse (Ent-)Scheidung

Eine Scheidung reißt Wunden auf und wirbelt das ganze Leben durcheinander. In ihrem Schmerz müssen Ex-Paare Entscheidungen treffen, etwa den Alltag neu ordnen, Kinderzeiten definieren, Finanzen und Besitz gerecht verteilen. Das Ende einer Liebe ist aber auch ein Neuanfang. Wer den Mut findet, respektvoll und fair zu verhandeln, kann gestärkt in die Zukunft starten.

Die Grosse (Ent-)Scheidung
FOTO: KELLY SIKKEMA

Sie hatten alles versucht: einen Umzug ins Grüne, Urlaube, Geschenke, Haushaltshilfe, sogar räumliche Distanz. Sie waren Konflikten aus dem Weggegangen, statt sie wie zuvorauszutragen. Trotzdem musste Wiebke Apitzsch (42) am Ende einsehen: „Wir haben uns auseinanderentwickelt, werden einfach nicht mehr glücklich miteinander.“ Die Beziehung zu ihrem Ex-Mann und dem Vater des gemeinsamen Sohnes ging im Jahr 2020 in die Brüche. Zuvor waren die beiden zehn Jahre lang ein Paar gewesen, fünf davon verheiratet. „Ich hatte mir sehr gewünscht, als klassische Mutter-Vater-Kind-Familie glücklich zu leben. Das musste ich aufgeben, es hat sich einfach anders entwickelt“, erinnert sich Wiebke Apitzsch.

Nach dieser bitteren Erkenntnis und der Trennung begann eine neue Phase. Die empfand sie als friedlich: „Wir konnten wieder konstruktiv Dinge miteinander klären und nach vorne blicken.“ Sie und ihr damaliger Ehemann nahmen einen gemeinsamen Anwalt, der vor allem dabei helfen sollte, ihren Besitz fair zu verteilen. Und so streiften beide mit Zettel und Stift durchs gemeinsame Haus und verhandelten, wer das Bett bekommt, wer den Mähroboter und wer das Blumenservice. Es folgten weitere Anwalts- und Notartermine. Dann, ein Jahr nach dem Bruch, kam der Scheidungstermin.

Wiebke Apitzsch hat eine friedliche Scheidung hinter sich gebracht. Während ihrer Ehe blieb sie finanziell unabhängig, deshalb war Geld für sie nach der Trennung kein Problem | FOTO: MARIUS ROEER

UNGEFÄHR JEDE DRITTE EHE hierzulande wird geschieden, 15 Jahre hält der vermeintliche Bund fürs Leben im Schnitt. Wer bei einer Trennung die Nerven und seine Würde behalten will, muss einiges beachten und in entscheidenden Punkten nachgeben können. Sonst laufen die Kosten aus dem Ruder, emotional und auch finanziell.

Estell Baumann (45) macht entliebten Eheleuten Mut: „Mit der richtigen Begleitung bedeutet eine Scheidung für keinen von beiden den finanziellen Ruin“, sagt die Fachanwältin für Familienrecht mit Kanzlei in Heidelberg und Autorin der Ratgeber „Scheidung ohne Scherben“ und „Scheidungs-Navi“. Estell Baumann ist Befürworterin des sogenannten CLP-Verfahrens, das aus den USA stammt und für „Collaborative Law and Practice“ steht. Statt einer gerichtlichen Konfrontation setzen sich dabei beide Eheleute mit ihren Anwält:innen in Vierer-Gesprächen zusammen und finden eine einvernehmliche Lösung für alle Scheidungsfragen. Die beteiligten CLP-Jurist:innen dürfen ihre Mandant:innen dann vor Gericht nicht weiter streitig vertreten, der Scheidungstermin wird zur anwaltlich begleiteten Form­ sache.

FALLS ES SO ETWAS WIE eine Traum-Scheidung gibt, dann hatten Wiebke Apitzsch und ihr Ex-Mann sie, trotz all der Trauer: Die beiden gingen weiter fair und wertschätzend miteinander um, übten sich im Nachgeben und vermieden Kämpfe um materielle Dinge. Für das Wohl des gemeinsamen Kindes vermieden beide jedes Drama. Es half enorm, dass sie einen Ehevertrag aufgesetzt hatten, in dem das meiste bereits geregelt war. Statt einen Rosenkrieg anzuzetteln, unterschrieben sie eine sogenannte Trennungs- und Scheidungsfolgevereinbarung, in der die Noch-Eheleute die rechtlichen und finanziellen Folgen ihrer späteren Scheidung verbindlich regelten. So einen Vertrag muss dann lediglich noch ein:e Notar:in beurkunden, das Gericht erklärt ihn dann für wirksam. So ersparen sich alle ein kräftezehrendes und teures Verfahren mit Schriftsätzen und Anhörungen.

Eine derart harmonische Scheidung ist bei Weitem nicht selbstverständlich, weiß Juristin Baumann. In ihrer 19-jährigen Karriere als Familienanwältin hat sie schon einiges erlebt. Paare, die vor Gericht darüber stritten, wer den Werkzeugkasten, den Thermomix oder den Gartenschlauch bekommt. „Meist steckt ein Stellvertreterstreit dahinter. Es geht nicht wirklich um das Geschirr, sondern darum, dem anderen wehzutun.“ Dabei schaden sich die Streitenden vor allem selbst. Denn jeder Zankapfel treibt die Kosten für Anwält:innen und Gericht in die Höhe. „Klar, man muss sich positionieren und seine Ansprüche kennen“, sagt Estell Baumann, „aber man muss nicht jeden einzelnen Anspruch durchstreiten, sonst hat am Ende niemand gewonnen.“

Estell Baumann macht als Familienanwältin und Autorin zweier Bücher entliebten Eheleuten Mut: Entscheidend bei der Scheidung sei die richtige Begleitung | FOTO: PRIVAT

EINE SCHEIDUNG IST potenziell teuer. Anwält:in und Gericht, gegebenenfalls Notar:in oder Sachverständige, das alles kostet. Die Kosten für Anwält:innen und Gericht hängen vom sogenannten Streitwert ab, den das Gericht festlegt; vorausgesetzt, man hat keine andere Honorarvereinbarung mit dem oder der Anwält:in geschlossen. Der Streitwert für die reine Ehescheidung errechnet sich aus dem dreifachen Monatsnettoeinkommen beider Parteien plus fünf Prozent des gemeinsamen Vermögens. Daneben wird der Streitwert für den sogenannten Versorgungsausgleich, also den Ausgleich der Rentenansprüche, noch mal gesondert berechnet. Am Ende wird der Streitwert des Ehescheidungsverfahrens samt Versorgungsausgleich dann um Freibeträge bereinigt.

Wer ein zu geringes Einkommen hat, um die Verfahrenskosten selbst zu tragen, kann Verfahrenskostenhilfe vom Staat beantragen. Dieser kommt für Anwalts- und Gerichtskosten auf. Mit Scheidungs- und Prozessrechnern im Internet kann jede:r die Kosten vorab grob ausrechnen. Allerdings zeigen die Rechner nur Richtwerte an. Ein komplexes Verfahren kann die Kosten ungemein verteuern. Zwischen rund 3.000 und 30.000 Euro pro Scheidung ist alles möglich, im Durchschnitt landen deutsche Durchschnittsverdiener:innen-Paare bei um die 4.000 Euro Scheidungskosten. Wenn sich die unterhaltsrelevanten Einkünfte zwischen den Eheleuten unterscheiden, hat der bzw. die Geringerverdienende meist Anspruch auf Trennungsunterhalt bis zur Scheidung, damit jede:r ihren bzw. seinen Lebensstandard halten kann. Allerdings fließt das Geld nicht von selbst. Den Unterhalt muss man beim Partner nachweisbar einfordern, am besten schriftlich per Einwurfeinschreiben. Wie hoch der Unterhalt ausfällt, ist komplex zu berechnen und hängt vom Einzelfall ab.

HAT DAS PAAR KINDER, muss das Gericht klären, welcher Elternteil dem anderen Kindesunterhalt zahlt. Die Höhe richtet sich nach der Düsseldorfer Tabelle und hängt vom Alter der Kinder sowie vom Nettoeinkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils ab. Die Düsseldorfer Tabelle greift allerdings nicht, wenn sich beide Elternteile die Kinderbetreuung 50:50 teilen. Aber: Wenn ein Elternteil mehr Geld verdient als der andere, muss er dennoch einen Ausgleich zahlen. Wie hoch der ausfällt, ermittelt das Gericht dann gesondert. Auch das gemeinsame Vermögen will aufgeteilt sein, ob Immobilien oder Geld auf Sparkonten und Depots. Lebt das Paar ohne Ehevertrag in einer Zugewinngemeinschaft, dann wird alles, was während der Ehe an Vermögen dazugekommen ist, hälftig geteilt. Das gilt auch für gemeinsame Immobilien oder Geld, das eine:r von beiden während der Ehezeit erbt. Auch sämtliche Rentenansprüche, die das Paar während der Ehe erworben hat, teilt das Familiengericht in den meisten Fällen 50:50 zwischen den Eheleuten auf. Das ist der sogenannte Versorgungsausgleich.

NICHT JEDE TRENNUNG VERLÄUFT
so harmonisch, wie man es sich wünscht. Oft kommt es gerade bei den Themen Kinder oder Unterhalt
zum Streit. Grundsätzlich gilt: Auch nach der Scheidung behalten beide Eltern das gemeinsame Sorgerecht, solange kein Gericht etwas anderes entscheidet. „Wenn es Streit über den Aufenthalt der Kinder gibt, steht bei der Entscheidung immer das Kindeswohl im Mittelpunkt“, sagt Juristin Estell Baumann. Können sich die Eltern partout nicht einigen, kann eine Familienmediation mit Rechtsanwält:innen oder eine Elternberatung helfen. Ansonsten entscheidet das Familiengericht. Weigert sich der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin, den geschuldeten Unterhalt zu zahlen, kann auch das Jugendamt helfen. Ein sogenannter Beistand kann dabei unterstützen, den Kindesunterhalt beim anderen Elternteil durchzusetzen.

Wie ein Phönix aus der Asche
Wiebke Apitzsch blieb während ihrer Ehe finanziell unabhängig, deswegen war Geld für sie nach der Scheidung kein Problem. Aber emotional verlangte ihr der Lebensabschnitt alles ab, auch weil noch andere Probleme dazukamen: Ihr Hund starb, die Vermieterin warf sie raus, sie war unglücklich im Job. „Alles, wovor ich Angst hatte, ist mir passiert“, erinnert sie sich. „Ich versuchte trotzdem, einen kühlen Kopf zu bewahren und alles Schritt für Schritt anzugehen. Und das hat funktioniert.“ Wiebke Apitzsch ging gestärkt aus der Feuertaufe hervor. Heute ist sie sehr zufrieden mit ihrem Leben. Sie wohnt mit ihrem siebenjährigen Sohn in einer Wohngemeinschaft auf einem Hof am Hamburger Stadtrand und hat im Juli 2024 mit zwei Kollegen das KI-Beratungsunternehmen AI.Impact gegründet. Durch die schwierige Trennungszeit geht sie jetzt angstfreier durchs Leben, sagt sie. „Ich lebe heute viel kompromissloser und weiß, was mir wirklich wichtig ist.“

AUCH FAMILIENANWÄLTIN Estell Baumann, die außerdem zertifizierte Coachin ist, sieht in der Trennungszeit eine Chance: „Man kann sich reformieren und sich den eigenen Triggerpunkten und Mustern stellen.“ Die Hamburger Mode-Unternehmerin Sue Giers (56) etwa feierte ihre eigene Scheidung sogar als eine Art Wiedergeburt: Im vergangenen Mai hat sie eine Scheidungsparty unter dem Motto „Divorced but not dead“ geschmissen, bei der es Ballons und Fingerfood gab, außerdem Cocktails, Vorträge, einen Blumen-Workshop und eine Tauschbörse: Brautkleid gegen Bluse.