Personal Branding: So werden Sie sichtbar!
STRIVE+ | In der Business-Welt ist Personal Branding so wichtig wie noch nie. Die Social-Media-Plattform der Wahl dafür ist LinkedIn, wo sich Gründer:innen, Digitalprofis und die wichtigsten CEOs vernetzen. Wer hier sichtbar ist und Reichweite hat, ist wertvoll – und das kann sogar über beruflichen Erfolg entscheiden. Wie funktioniert das Spiel mit den Likes und Shares?

Irgendwie hat das Thema ein mieses Image. „Selfie-Show“, „Ego“, „Too much information“. Das jedenfalls sind die Dinge, die den Teilnehmer:innen der Workshops von Unternehmerin Tijen Onaran (37) zum Thema Personal Branding einfallen. Lernen, wie das geht, wollen sie trotzdem. Die Workshops, die Onaran über ihr Unternehmen Global Digital Women anbietet, haben ein Ziel: beizubringen, wie man mithilfe von Personal Branding auf sich aufmerksam macht – und so sichtbarer und erfolgreicher wird.
Es ist ein Megatrend. Waren soziale Medien früher eher ein Ding des Privatlebens – Bilder vom Urlaub auf Facebook, die Pizza mit der Freundin auf Insta –, wollen viele nun zeigen, was ihr professionelles Ich ist. Weltweit, das ergab der „Digital 2021“-Report des britischen Unternehmens Global Web Index, nutzen 40 Prozent der User im Alter von 16 bis 64 Jahren Social Media für berufliche Zwecke. Die bei Weitem wichtigste Plattform dafür ist LinkedIn. Rund 800 Millionen Menschen vernetzen sich dort mit Kolleg:innen oder Leuten aus ihrer Branche. 17,5 Millionen nutzen LinkedIn in der DACH-Region. Die Plattform wirbt damit, dass mehr als zehn Millionen Mitglieder „Top-Manager“ sind. Wer hätte nicht gerne wenigstens ein paar davon in seinem Netzwerk? Schließlich sind das Leute, die richtig was zu sagen haben – und viel Reichweite.
„Personal Branding ist mehr als Eigenmarketing. Personal Branding ist Persönlichkeitsbildung.“ –Tijen Onaran
Es ist genau das, was sich viele erhoffen, die anfangen, sich auf Plattformen wie LinkedIn eine Präsenz aufzubauen: Reichweite, eine Stimme zu haben. Und Unternehmer:innen wie Tijen Onaran haben diesen Trend aufs nächste Level gebracht. Onaran, deren Mission es ist, andere Frauen und ihre Expertise öffentlich wahrnehmbar zu machen, hat daraus sogar ein Business gemacht. Und sie ist damit nicht allein, LinkedIn-Erfolg ist eine Branche mit vielen Gesichtern. Eines davon gehört zu Céline Flores Willers (29).

Jede:r brauche Personal Branding, sagt auch sie. Nicht nur bekannte Persönlichkeiten. Die Frage sei, ob man selbst steuern will, was andere über einen denken. Die ehemalige Miss Universe Germany ist zuerst Business-Influencerin auf LinkedIn geworden, hat sich so ihre eigene Marke aufgebaut, bevor auch sie ein Unternehmen gegründet und den LinkedIn-Erfolg anderer zu ihrem Geschäftsmodell gemacht hat (siehe auch Interview auf S. 18). Mit ihrer The People Branding Company berät sie Konzerne, Unternehmer:innen und Selbstständige, unterstützt sie dabei, ihre Messages auf LinkedIn zu verstärken. Tijen Onaran drückt es im Titel ihres Buches noch drastischer aus: „Wer nicht sichtbar ist, findet nicht statt“. Ihre These: Ohne eine gut orchestrierte Online-Präsenz geht heute gar nichts mehr. Egal, in welcher Branche. Vor allem Frauen ermutigt sie dazu, Hemmungen abzulegen und das Brandbuilding in die Hand zu nehmen. Beide, Onaran und Willers, predigen, dass es dabei vor allem um eines geht: die Positionierung.
Wie die aussehen kann, kann man sich zum Beispiel bei Lea-Sophie Cramer (34) abgucken, die sich mit ihrem Startup Amorelie zuerst als Unternehmerin positioniert und das Thema Sexspielzeug erfolgreich auf die Höhe der Zeit geholt hat. Nachdem sie sich 2019 als CEO zurückgezogen hatte, wurde sie zur Expertin und Mentorin zum Thema Gründen und Investieren – ein entscheidender Hebel war ihr LinkedIn-Profil. Sie habe erkannt, sagte sie 2020 im Podcast von OMR-Gründer Philipp Westermeyer, dass LinkedIn als Kanal sehr gut zu ihr passe. „Ich hatte sofort das Gefühl: Hier ist meine Business-Crowd. Ich habe die Power dieser Medien gespürt. Auch die Power, die es einem selber gibt.“ Sie beschreibt in dem Podcast die Vision, ein LinkedIn-Profil wie eine Akademie aufzubauen: Wissen vermitteln, Tipps geben, Kontakte herstellen. Inzwischen folgen Cramer auf LinkedIn über 158.000 Menschen.
„Ich hatte sofort das Gefühl: Hier ist meine Business-Crowd.“ – Lea-Sophie Cramer
Oder bei Hildegard Wortmann (55), die Mitglied des Vorstands von Audi für Vertrieb und Marketing ist und im Februar dieses Jahres zusätzlich in den Vorstand von VW berufen wurde. Wortmann ist eine der einflussreichsten Managerinnen Deutschlands. Sie hat auf LinkedIn 86.500 Follower. Nicht eine Kommunikationsabteilung schreibt für sie. Sie postet selbst, antwortet auf Kommentare. Ihr Fokus: moderne Führung und lebenslanges Lernen. Über LinkedIn, sagt sie zu STRIVE, trete sie mit Führungskräften und Mitarbeitenden aus der ganzen Welt in den Dialog – und mit Kund:innen und Audi-Fans. „Es geht mir gar nicht um mich als Person oder um Personal Branding im engeren Sinne“, sondern darum, etwas zu bewegen, einen Beitrag zu leisten. Dafür nutze sie ihre Sichtbarkeit. „Dazu zählt für mich, der jüngeren Generation Begeisterung an unserer Branche zu vermitteln.“ Die Vernetzung mit Vordenker:innen und Expert:innen aus Wirtschaft und Politik böten Inspiration und Impulse.
Onaran, Willers, Cramer, Wortmann haben verschiedene Karrieren, stehen für unterschiedliche Themen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Expertise für ein Publikum sichtbar machen. Dass sie diese Sichtbarkeit selbst steuern. Und dass sie auch dank dieser Sichtbarkeit Erfolg haben: Onaran etwa ist auch viel gebuchte Speakerin für Diversity-Themen und Investorin für Startups von weiblichen Gründerinnen. Willers berät große Unternehmen wie Accenture und SAP. Anfang des Jahres wurde sie von LinkedIn als „Top Voice“ ausgezeichnet. Zum dritten Mal in Folge. Cramer ist eine der bekanntesten Gründerinnen Deutschlands und aufgrund ihrer Erfahrung als Speakerin und Executive Coach gefragt. Und Wortmann gelingt durch ihre Präsenz auf LinkedIn, was nur wenige Manager:innen schaffen: Sie gilt als nahbare Führungskraft, schafft es nicht nur, mit guten Ergebnissen, sondern auch als Mensch zu wirken. Selbst Mitarbeiter:innen, die die Chefin noch nie persönlich getroffen haben, bekommen dadurch ein Gefühl, für wen sie arbeiten.
„Es geht mir nicht um mich oder um Personal Branding im engeren Sinne. Ich will etwas bewegen.“ – Hildegard Wortmann
Was auf LinkedIn leicht aussieht, passiert im Real Life aber nicht von allein. Sichtbarkeit ist kein Selbstläufer. Man muss sie mit immer neuen Auftritten, Veröffentlichungen, Postings pflegen. Wer sichtbar sein will, muss lernen, aus sich herauszugehen. Nicht jede:r gleich weit und gleich laut, aber doch so sehr, dass man an der richtigen Stelle wahrgenommen wird. Und dann muss man lernen, auch Kritik auszuhalten und vielleicht sogar mal einen Shitstorm. Lohnt sich der Aufwand also überhaupt? Die kurze Antwort ist: Ja. Aber nur, wenn man den für sich passenden Raum und die richtige Dosierung findet – und sich auf die einzelnen Schritte im Prozess einlässt.

Will man verstehen, warum Personal Branding wichtig ist, muss man erst einmal erfassen, was das Ganze eigentlich ist. Zunächst einmal: Es ist gar nicht so neu. HR-Expertin Gitta Blatt (57), ehemalige Executive Vice President Human Resources bei Sky Deutschland, Gründerin von Gitta Blatt HR Strategy und seit Januar Chief HR Officer des FinTechs sevDesk, sagt: „Im Grunde ist jeder Lebenslauf Personal Branding. Denn was ist er anderes als die Selbstwahrnehmung und Zusammenfassung dessen, wie ich meine bisherigen Erfahrungen und meinen Werdegang bewerte und für andere darstelle?“
Groß wurde das Thema zum ersten Mal in den 90er-Jahren. Damals musste man noch eine Berühmtheit sein, um sich als Marke positionieren zu können. Wie das ging, kann man sich am Beispiel von Martha Stewart (80) ansehen. Die Amerikanerin wurde durch Magazinbeiträge und Fernsehauftritte als Expertin für Kochen und Gartenarbeit bekannt. Dann lancierte sie unter ihrem Namen TV-Shows, ein Magazin, in Zusammenarbeit mit der Handelskette Kmart gab sie eigene Produkte heraus, sie ging an die Börse. Kurz: Sie wurde zur Marke.
Heute ist das einfacher. Über die sozialen Medien kann sich jede:r selbst präsentieren und vernetzen. Das schafft ungeahnte Zugänge zur globalisierten Business-Welt. LinkedIn ist nicht neu, das Netzwerk gibt es schon seit 2002. Von Anfang an lag der Fokus auf beruflichem Netzwerken. Schnell Fahrt aufgenommen hat der Trend vor allem in den USA. Spanx-CEO Sara Blakely etwa hat 1,6 Millionen Follower. Deutschland hinkt hinterher. Auch wenn seit Jahren immer mehr Nutzer:innen auf die Plattform strömen, sind die Dimensionen kleiner. Mit 100.000 Followern ist man bereits ganz vorne mit dabei. Man ahnt aber, dass da noch Luft nach oben ist, auch bei uns wird LinkedIn weiter wachsen. Weil die Plattform für viele zum beruflichen Kontext gehört. Und weil die Hemmungen mitzumachen niedriger sind – weil man auf LinkedIn mit seiner Expertise statt mit Exhibitionismus punkten kann.
Buzz-Words: Was ist was?
THOUGHT LEADER: Neudeutsch für „Meinungs- führer:in“. Meint eine Person, die auf einem bestimmten Gebiet über große Fachexpertise verfügt und diese empathisch vermitteln kann. Das können Themen wie New Work sein, KI, oder E-Mobilität.
CORPORATE INFLUENCER: Wer mit seinem Fachwissen im Dienst und Namen eines Unternehmens in den sozialen Medien positioniert ist und dessen Inhalte und Werte kommuniziert, gilt als Corporate oder Business Influencer. Sie geben anonymen Firmen ein Gesicht. Dass das wertvoll ist, haben viele Konzerne bereits erkannt. Die Telekom zum Beispiel hat ein eigenes Programm für interne Corporate Influencer aufgebaut, das Mitarbeitende zu Botschafter:innen macht.
SINN-FLUENCER: Influencer, die von Purpose getrieben sind. Sie äußern sich zu politischen oder gesellschaftlichen Themen, wollen ihre Follower informieren und motivieren. Beispiele sind die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim und der Youtuber Rezo.
Wenn Tijen Onaran sagt, dass heute jede:r sichtbar sein sollte, dann klingt das trotzdem erst einmal radikal und einschüchternd. Aber: Ein immer größerer Teil des Lebens spielt sich nun einmal online ab. Fast 80 Prozent der Deutschen verwenden laut einer Studie der Gesellschaft für Innovative Marktforschung (GIM) soziale Medien. Tendenz steigend. Zwischen 2020 und 2021 um ganze 13 Prozent. Und seit sich Social Media nicht mehr nur um Privates dreht, sondern auch im Beruflichen immer wichtiger wird, weil man die eigene Expertise in einem professionellen Umfeld für andere sichtbar machen kann, hat sich ein wichtiger Parameter verschoben. Längst geht es nicht mehr nur darum, die meisten Follower zu gewinnen, sondern darum, dass es auch die richtigen sind. Qualität statt Quantität, wenn man so möchte. Zielgruppe statt Masse. Wenn einem alle 40 DAX-CEOs folgen, scherzt Céline Flores Willers, ist das keine große Zahl, aber der Effekt ist enorm.
Aber: Wer das schaffen will, muss für etwas stehen. Die Marke, die man ist oder werden will, definieren. Anknüpfungspunkte schaffen, dass man Expert:in für ein bestimmtes Thema ist. Wenn man sich selbst treu bleibt, passiere das fast von allein, erklärt Willers. Dann sei Personal Branding auch mehr als Eigenmarketing, dann wird daraus Persönlichkeitsbildung, sagt Tijen Onaran. Ähnlich sieht es HR-Expertin Gitta Blatt, für die Sichtbarkeit auch im Recruiting-Prozess zunehmend entscheidend wird. Einerseits im Sourcing, also beim Finden von Kandidat:innen. Aber auch immer mehr Unternehmen würden inzwischen darauf achten, ob Bewerber:innen Social Media nutzen, erklärt sie. Ein gut gepflegtes Profil ist demnach mehr als eine Streicheleinheit fürs Ego, es kann über die Karriere entscheiden. Ein:e Manager:in solle eben nicht nur die passende Arbeitserfahrung haben, sondern diese auch mitreißend und empathisch vermitteln können. Dann hätten Plattformen wie LinkedIn die Macht, hergebrachte Hierarchien zu schleifen.
„Heute passiert es oft, dass jemand ein Idealbild entwirft und sich mit Werten verkauft, die nicht die eigenen sind“ – Gitta Blatt
Damit man dabei glaubwürdig ist, muss man sich selbst kennen. Onaran und Willers empfehlen in ihren Workshops, Familie und Freund:innen darüber auszufragen, wo sie Stärken und Schwächen sehen. Schließlich will man genau mit den Themen gesehen werden, die man mit Überzeugung vertreten kann. Anhand der Themen bestimmt man Ziele und Agenda der kommenden fünf bis zehn Jahre, schreibt Onaran in ihrem Buch. Oder in kurz: Handlung folgt Haltung. Hildegard Wortmann etwa schreibt nicht nur auf LinkedIn über ihre Vorstellung von moderner Führung, sondern setzt sie auch im Alltag um.
Das fängt mit ihrer in der Regel offenen Bürotür an und geht bei Terminen weiter, die sich die Vorständin im Kalender blockt, um Zeit für ihr Team zu haben. „Heute passiert es oft, dass jemand ein Idealbild entwirft und sich mit Werten verkauft, die nicht die eigenen sind“, sagt die HR-Expertin Gitta Blatt. „Um diesem Wunschbild gerecht zu werden, muss man dann Leben, Werte und Ansichten verbiegen. Das ist anstrengend. Ich sehe oft bei Kolleg:innen und Influencern, dass sie es nicht lange schaffen, das aufrechtzuerhalten.“ Wer also eine Zielgruppe aufbauen will, muss ehrlich sein – zuallererst zu sich selbst. Das ist aufwendig und kostet Zeit, das kann anstrengend sein. Was beim Durchhalten hilft: nicht nur auf den unmittelbaren Effekt achten, sondern das langfristige Ziel im Auge behalten.
„Personal Branding macht einen Erfolgsunterschied“, weiß HR-Expertin Gitta Blatt. „Man kann das nicht unbedingt direkt einpreisen, etwa in einer Gehaltsverhandlung. Sicher ist aber: Werde ich mir meiner Stärken bewusst, werde ich erfolgreicher. Nicht über Nacht, aber mein Marktwert steigt in dem Maße, in dem ich Chancen erhalte und in einer Followerschaft mehr Relevanz habe.“ Weil mir nicht 100, sondern 1.000 Leute zuhören. Und zwar genau die Richtigen.