Die Grande Dame der Tech-Welt
STRIVE+ Sie fuhr Ski mit den Google-Gründern und holte Mark Zuckerberg auf die Bühne, lange bevor er berühmt wurde: Steffi Czerny (67) erfand den DLD – Deutschlands erste Tech-Konferenz – und gilt als bestens vernetzte Digital-Pionierin. Ihr Gespür für Innovationen und die Köpfe der Zukunft ist legendär. Czernys größte Gabe ist aber etwas zutiefst Analoges: Sie weiß, wie man verbindliche Beziehungen aufbaut.
Fotos: Simon Koy

Frau Czerny, Sie sind eine der einflussreichsten Personen in der hiesigen Tech-Szene, vor allem: eine Pionierin, die sich seit der ersten Stunde mit Digitalisierung beschäftigt. Überraschenderweise sagen Sie über sich selbst, Sie seien eine „zutiefst untechnische“ Person. Wie geht das zusammen?
Sehr gut sogar! Was stimmt, ist, dass ich mich bis heute wenig für technische Geräte interessiere. Als mein Mann mir Anfang der 90er-Jahre einen Atari-Computer zu Weihnachten schenkte, habe ich ihm den um die Ohren gehauen. Ich fragte ihn: Ich bin Journalistin, was soll ich damit? Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Später fand ich dann einen anderen Zugang zum Thema, durch Zufall.
Der Legende nach passierte es in einer Ski-Gondel.
Tatsächlich, ich lernte den Verleger Hubert Burda beim Skifahren kennen. Er erzählte mir vom Internet, und ich dachte noch: inter, nett? Wie? Aber Burda war sich sicher, dass diese Technologie die Welt für immer verändern würde. Er war so überzeugt, das hat meine journalistische Neugierde geweckt.
Sie fingen dann im Burda-Verlag an, als eigens vom Verleger eingesetzte Frau fürs Digitale. Das war Mitte der 90er-Jahre. Was haben Sie erlebt?
Zunächst bin ich auf großen Widerstand gegen die neue Technik bei den Kolleg:innen in den Redaktionen gestoßen. Das hat mich aber eher angespornt, ich hatte ja schon einmal selbst komplett falsch gelegen in dieser Hinsicht. Hubert Burda schickte mich dann bereits 1996 in die USA, nach San Francisco. Ich war unbedarft und wusste nicht, was mich erwartet. Allerdings war ich 20 Jahre zuvor schon einmal dort gewesen, bin als Hippie mit Rucksack durch die Großkommunen gezogen. In den 90ern traf ich dann im Silicon Valley eine Menge alter Bekannter wieder.
Wen haben Sie getroffen?
Zum Beispiel Mitchell Baker, spätere CEO der Mozilla Corporation. Damals war sie die Rechtsberaterin eines gewissen Marc Andreessen – dem Gründer von Netscape – und voll in der Tech-Szene drin. Andreessen war damals ein echtes Riesen-Baby, hatte aber eben den ersten wichtigen Browser erfunden. Ich traf ihn. Genau wie Danny Hillis, der den damals schnellsten Computer der Welt entwickelt hatte. Aus der Hippie-Bewegung der 70er war die Internetbewegung der 90er entstanden.
Begegneten Sie neben Mitchell Baker auch anderen Frauen? Die Tech-Branche von damals, das frühe Silicon Valley, wurde ja von Männern dominiert.
In der ersten Reihe standen nur Männer, das stimmt. Was man aber nicht übersehen durfte und heute nicht vergessen darf: Viele dieser Gründer wurden von Frauen groß gemacht. Zum Beispiel von der PR-Beraterin Margit Wennmachers. Die Erzählung des TechNerds, der mit seiner Vision die Welt besser macht – sie stammt von ihr.

Auf den DLD, den Sie einige Jahre später gründeten, holten Sie dann genau diese großen Tech-Köpfe. Viele standen aber auch auf Ihrer Bühne, bevor sie ihren Durchbruch hatten. Mark Zuckerberg war früh beim DLD, genau wie Reed Hastings von Netflix. Wie spürt man solche Visionäre auf?
Man muss sehr viel lesen. Zeitungen und Bücher durcharbeiten, Autor:innen kennenlernen, sich durch Newsletter wühlen. Ich mache manchmal tagelang nichts anderes! Und dabei auf die Zwischentöne achten, nicht auf die offensichtlichen News. Eine Info nehmen, einen Namen, den man noch nicht kennt, weiter recherchieren. Wo wird investiert? Spricht da jemand auf einer Konferenz, von dem oder der an anderer Stelle schon mal die Rede war? Irgendwann bildet sich ein Muster heraus, dann wird klar: Man ist an etwas oder an jemandem dran.
Wenn Sie dann jemanden im Visier haben, ihn oder sie zum DLD holen wollen. Wie kommen Sie an diese teils sehr abgeschotteten Persönlichkeiten heran? Besorgen Sie sich Telefonnummern?
Nie. Anrufen reicht nicht, auch heute nicht. Man muss vor Ort sein, auf Veranstaltungen gehen. Wenn ich dort jemanden sehe, den ich kennenlernen möchte, warte ich einen guten Moment ab – dafür muss man natürlich ein Gespür haben – und spreche den oder diejenige an: Hallo, ich bin Steffi aus München, ich mache da diese Digitalkonferenz … Ehrlich, so einfach ist das.
Wie überzeugt man internationale Tech-Stars, ausgerechnet nach München zu kommen?
Das ist ganz wichtig: Wir beim DLD zahlen den Speaker:innen kein Geld, denn das sollte nicht die Motivation sein, um zu uns zu kommen. Ich erkläre ihnen vielmehr, was wir ihnen bieten können: Wenn ihr zum DLD kommt, könnt ihr die spannendsten Leute auf eurem Gebiet aus Deutschland und Europa treffen. Die meisten bleiben dann stehen.
Auf Zuckerberg sollen Sie, wir benutzen Ihre eigenen Worte, regelrecht „Jagd gemacht“ haben.
Ganz sicher war und bin ich nicht im Inner Circle von Mark Zuckerberg unterwegs. Also habe ich mir sein Umfeld genau angesehen. Wer investiert in ihn? Wer sind seine engsten Mitarbeiter:innen? Kenne ich jemanden, der jemanden aus seiner Entourage kennt? Sie müssen das Netz, das diese Menschen umgibt, verstehen – und im richtigen Moment zugreifen. Da müssen Sie dann skrupellos sein, dürfen keine Angst vor einer Absage haben. Bei mir kommt immer auch ein Überraschungsmoment dazu, das ist ein Vorteil. Mit jemandem wie mir rechnen viele gar nicht. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste. Und jetzt stellen Sie sich Mark Zuckerberg vor, wie er von so einer Tante aus Germany angesprochen wird … das macht dann schon neugierig. Mit dieser Naivität spiele ich öfter mal.

Zuckerberg kam dann 2008 tatsächlich nach München, damals war er noch kein Star, hatte noch nie auf einer internationalen Bühne gestanden.
Mark war damals definitiv noch kein Star und sehr introvertiert. Der Verleger hat ihn zum Essen eingeladen, das hat Zuckerberg aber nicht weiter interessiert. Er wollte lieber mit den Kindern von Burda sprechen, hören, was die so umtreibt.
Heute gelten Sie als Frau mit dem „besten Netzwerk“ der Szene, als begnadete Netzwerkerin.
So werde ich öfter vorgestellt, richtig. Dabei stimmt das gar nicht unbedingt. Ich bin zum Beispiel kein sonderlich geselliger Mensch. Aber: Ich erkenne, wer zu wem passt, und spüre, wer sich kennenlernen muss. Davon haben schon viele profitiert, das bleibt hängen.
Sie sind aber als warmherzige, großzügige Gastgeberin bekannt.
Das ist wichtig. Deshalb gehört zum DLD auch nicht nur die eigentliche Konferenz, sondern auch ein intimeres Dinner und eine Party. Die wichtigsten Kontakte werden beim DLD nicht auf der Bühne geknüpft, sondern drum herum. Da werden die Geschäfte gemacht, Ehen angebahnt, wird die Zukunft ausgemacht. Die Keynotes, die Panels, das kann man heutzutage ja alles auch im Stream verfolgen, dafür muss man nicht zwingend kommen.
"[...] Sprachsteuerungen, AI – das wird unsere Welt noch einmal grundsätzlich verändern. Dagegen ist die komplette Digitalisierung [...] Kindergartenkram. - Steffi Czerny
In den Tagen vor dem DLD hängen angeblich über 300 Fotos in Ihrem Büro, eines von jedem/jeder Teilnehmer:in – ohne Namen …
Meine Mitarbeiter:innen und ich lernen dann alles auswendig. Wer ist wer? Wer passt zu wem? Wer muss sich kennenlernen? Das muss sitzen. Das ist ja unsere Aufgabe – während der Konferenz die richtigen Leute zusammenbringen, Themen anstoßen. Ich sage immer: Wenn unsere Mitarbeiter:innen während des DLD nicht mindestens drei Kilo verlieren, haben wir etwas falsch gemacht. Als Gastgeber:innen müssen wir permanent herumrennen, Leute einander vorstellen, klarmachen, warum ausgerechnet diese beiden ins Gespräch kommen müssen … und weiterrennen.
Beim DLD sollen so schon einige legendäre Tech-Deals zustande gekommen sein.
Besonders in Erinnerung behalten habe ich den DLD 2014 mit Jan Koum, dem Gründer von WhatsApp. Ich habe mich damals auf der Konferenz schon ge - wundert, weil auf einmal so viele Investor:innen da waren. Die hatten sich gar nicht angemeldet, klün - gelten aber plötzlich alle um Jan herum. Einige Tage später wurde WhatsApp dann an Facebook verkauft. Das hatte sich beim DLD angebahnt.
Wie schaffen Sie persönlich es, mit den vielen Menschen, die Sie kennenlernen, wirklich nachhaltige Verbindungen aufzubauen?
Was ich selbst lange unterschätzt habe: Wenn Sie jemanden mögen, müssen Sie sich wirklich für ihn oder sie interessieren. Wissen, was los ist, dranbleiben. Ein Kind wird getauft? Schicken Sie eine Karte. Die Dinge, die vermeintlich selbstverständlich sind, sind viel wichtiger, als man denkt. So entsteht Bindung.
Frau Czerny, in Sachen Digitalisierung haben Sie alles gesehen, meistens bevor es massentauglich wurde. Wenn wir Sie zum Schluss noch um eine Prognose bitten dürfen: Welche Innovation wird uns die nahe Zukunft bringen?
Ich durfte unlängst auf einer Veranstaltung neben Jeff Dean sitzen, er ist Senior Vice President von Google Brain und einer der wichtigsten Programmierer der Welt. Was er mir über neuronale Netzwerke erzählt hat, über Sprachsteuerungen, AI – das wird unsere Welt noch einmal grundsätzlich verändern. Dagegen ist die komplette Digitalisierung, die wir aktuell sehen und in unserem Alltag erleben, Kindergartenkram.
Über Steffi Czerny: Steffi Czerny studierte Politik und Journalismus, arbeitete als Redakteurin unter anderem für die US-Ausgabe des „Playboy“ und für „Architektur & Wohnen“. Seit 1995 im BurdaVerlag, gründete sie 2005 gemeinsam mit Yossi Vardi den DLD, den sie bis heute veranstaltet und dessen Geschäftsführerin sie ist. Czerny wurde am Tegernsee geboren, wo sie noch immer lebt. Sie hat vier Kinder und mehrere Enkelkinder.