STRIVE Redaktion

19. Oktober 2022

6 Min. Lesedauer

Allbright-Bericht: Zu wenig Frauen in den Vorständen börsennotierter Unternehmen

Interview | Die Vorstände deutscher börsennotierter Unternehmen liegen wie in den letzten Jahren hauptsächlich in männlicher Hand. Dabei haben mehr als die Hälfte der 160 börsennotierten Unternehmen noch immer keine einzige Frau im Vorstand – das zeigt der neue Allbright-Bericht. Doch es gibt auch Unternehmen, die als Vorbild agieren. Wir haben mit Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der AllBright Stiftung, darüber gesprochen, vor welchen Herausforderungen die Unternehmen heute stehen und werfen einen Blick in die Zukunft.

Allbright-Bericht: Zu wenig Frauen in den Vorständen börsennotierter Unternehmen

(Symbolbild)

Was ist für Dich der schockierendste Fakt des aktuellen Berichtes? Dass im Jahr 2022 immer noch mehr als die Hälfte (81) der 160 Börsenunternehmen keine einzige Frau im Vorstand hat, ist schon krass. Sonst ist die Liste in jedem Jahr wenigstens ein kleines bisschen kürzer geworden, in diesem Jahr hat sich da zum ersten Mal gar nichts getan, das hat uns überrascht.

Fehlt der Wille oder fehlen die Frauen? Die Frauen fehlen nicht, in kaum einem Land arbeiten so viele Frauen wie in Deutschland und in kaum einem Land sind sie so gut ausgebildet. Wir haben schon seit zehn Jahren mehr BWL-Absolventinnen als Absolventen, die starten auch in den Unternehmen, aber sie kommen nicht oben an. Sehr viele arbeiten in geringer Teilzeit oder unter ihrem Niveau, weil Führungsverantwortung in Deutschland häufig noch schwer mit einer Familie vereinbar ist oder weil ihnen die Führung nicht zugetraut wird. Da liegt so viel Talent brach, eine riesige ungenutzte Reserve auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Wir sehen eine zunehmende Konkurrenz um die Top-Managerinnen, die können sich ihren Arbeitsplatz inzwischen gut aussuchen.

Welche Trends sind neu? Wir sehen eine zunehmende Konkurrenz um die Top-Managerinnen, die können sich ihren Arbeitsplatz inzwischen gut aussuchen. Die Unternehmen sind ja zurzeit herausgefordert wie nie: Fachkräftemangel, Lieferkettenkrise, Energiekrise – sich weiterzuentwickeln und mit der richtigen Mannschaft an der Spitze anzutreten ist absolut zentral. Es braucht die besten Köpfe, und die sind natürlich nicht nur Männer, immer mehr Unternehmen verstehen das.

Die Mehrzahl der neu berufenen Vorständinnen ist in DAX-Unternehmen gegangen, in denen es zuvor schon Frauen gab, das bestätigt den Trend vom letzten Jahr. Wir haben jetzt zum ersten Mal drei DAX-Unternehmen, die schon einen ausgewogenen Anteil von Frauen und Männern im Vorstand haben, und drei weitere, bei denen der Frauenanteil nur knapp unter 40 Prozent liegt. Unternehmen in MDAX und SDAX hatten dagegen Probleme, für ausscheidende Vorständinnen weiblichen Ersatz zu finden.

Warum sind MDax und SDax so viel unbeliebter als DAX Unternehmen? Bei den großen, international aufgestellten DAX-Unternehmen gibt es meist schon länger und häufiger Frauen in den Top-Etagen und damit auch mehr „Übung“ mit diversen Teams – die Wahrscheinlichkeit, dass Managerinnen da eine veränderungsfähige und inklusive Kultur vorfinden, in der sie einfach ihren Job machen können, ist natürlich viel größer. In einem sehr homogenen Vorstandsteam aus bis zu 6 oder 7 Männern die einzige Frau zu sein, ist eine Anstrengung, die man sich gerne erspart, wenn es geht. Und es geht eben heute, weil es immer mehr Alternativen dazu gibt.

Was können die „kleineren“ Unternehmen machen, um mehr Frauen für sich zu gewinnen? Sie sollten diese Reserve der wenig oder unter ihrem Niveau arbeitenden Frauen nutzen und so schnell wie möglich auf allen Ebenen attraktivere Arbeitsbedingungen und Karrierechancen für Frauen schaffen, dann können sie Top-Positionen auch aus den eigenen Reihen besetzen. Es braucht eine offene, veränderungsfähige, flexible Arbeitskultur, die Raum zum Leben lässt – für Männer und Frauen. Führung in Teilzeit, im Tandem, aus dem Home Office; neue Strukturen müssen heute „Dual Career“ in den Familien ermöglichen. Karrierewege dürfen nicht voraussetzen, dass einem zu Hause jemand den Rücken freihält, denn das ist immer seltener der Fall. Und das Tolle ist: das macht das Unternehmen auch attraktiver für männliche Talente. Wichtig ist, dass die Unternehmen sofort damit anfangen, wenn sie es noch nicht getan haben.

Das Bewusstsein, dass die Frauen an der Spitze gebraucht werden, wächst.

Nur Polen schneidet im Ländervergleich schlechter ab als Deutschland. Können wir diesen Rückstand noch aufholen? Um den Rückstand aufzuholen, müsste Deutschland das Tempo deutlich erhöhen, denn die Entwicklung steht ja in den anderen Ländern nicht still. Die DAX-Unternehmen zeigen im Moment, dass es geht: da sind zurzeit 40 Prozent der Neurekrutierungen für die Vorstände Frauen. Wenn sie einfach nur so weitermachen wie im vergangenen Jahr, dann haben sie in 11 Jahren 50:50 erreicht. Wenn die anderen Unternehmen da nachziehen, muss es also nicht mehr 26 Jahre dauern, bis wir Parität in den Vorständen aller Börsenunternehmen haben (so wäre es mit dem Durchschnittstempo der letzten 5 Jahre).

Nächstes Jahr werden wieder ca. 100 Vorstandsposten neu besetzt. Ein Blick in die Glaskugel: Wie wird sich der Anteil an Frauen im Vorstand in einem Jahr verändert haben? Die Voraussetzungen dafür, dass wir viele neue Frauen im Top-Management sehen werden, sind gut: Das Bewusstsein, dass die Frauen an der Spitze gebraucht werden, wächst. Und wir können sehen, dass die Unternehmen Vorständinnen zurzeit immer öfter aus den eigenen Reihen besetzen, die „Pipelines“ mit internen Führungsfrauen sind offenbar so gut gefüllt wie nie. Jetzt müssen sie nur auch ordentlich genutzt werden.

Über die Person:

Wiebke Ankersen führt seit 2016 gemeinsam mit Christian Berg die AllBright Stiftung in Berlin. Die promovierte Skandinavistin hat zuvor vor allem für schwedische Organisationen in Deutschland gearbeitet, zuletzt als Presseattachée an der Botschaft in Berlin. Die gemeinnützige deutsch-schwedische AllBright Stiftung engagiert sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft. Sie schafft Transparenz, präsentiert Fakten und Best Practice, sensibilisiert und fordert von den Unternehmen konkrete Ergebnisse bei der Erhöhung des Frauenanteils in den Führungsteams ein.

Der Bericht der AllBright Stiftung kann hier abgerufen werden.

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