Sarah Wiebold

vor 5 Tagen

5 Min. Lesedauer

“Life is either an adventure or nothing at all”

Als die Pandemie die Straßen New Yorks buchstäblich leerfegte, wurde die Stadt von so manchem totgesagt. Umso aufregender ist es jetzt, das Wiedererwachen im Big Apple zu beobachten. Als allererstes kam die rush hour zurück, die subway fährt wieder 24 Stunden durch, Museen und Theater öffnen.

Mit besonderer Spannung erwartet werden zahlreiche Neu- und Wiedereröffnungen der Gastronomieszene. In den vergangenen Monaten haben kreative Konzepte für viel Begeisterung gesorgt. Doch jetzt stellt sich die Frage: Wer kommt zurück, wer schließt die Türen für immer? Kaum eine Ankündigung hat allerdings ein größeres Beben verursacht als die des Schweizer Spitzenkochs Daniel Humm. Sein Restaurant Eleven Madison Park wird mit der Wiedereröffnung am 10. Juni 2021 ausschließlich ein komplett veganes Menü anbieten.

“Life is either an adventure or nothing at all”

Die pflanzenbasierte Revolution wurde gerade erst von den Herstellern veganer Burger salonfähig gemacht, doch dass jetzt das als weltbeste Restaurant gekürte Eleven Madison Park tierische Produkte von der Karte verbannt, gibt der veganen Bewegung eine ganz neue Bedeutung.

 

Seine Beweggründe schildert Humm in einem sehr persönlichen Brief. Er erklärt wie das vergangene Jahr ihn in seinem Denken verändert hat und dass er das Restaurant, dessen Türen er 2020 geschlossen hatte, nicht in alter Form wiedereröffnen könne. Der vielleicht wichtigste Satz: „It is time to redefine luxury as an experience that serves a higher purpose and maintains a genuine connection to the community.”

 

Einen tieferen Einblick gibt Humm im Podcast „How I Built This“ mit Guy Raz. Hier wird deutlich: sich neu zu erfinden begleitet den Ausnahme Gastronomen schon fast sein ganzes Leben lang. Mit 14 Jahren verlässt er die Schule um Profiradsportler zu werden und sagt sich gleichzeitig von seiner Familie los. Um sich zu finanzieren, beginnt er als Hilfskraft in Restaurants zu arbeiten. Mit 18 Jahren wird er Vater und erkennt auf seinem Weg, dass er vermutlich nie zur Weltspitze im Radrennsport gehören wird. Er erhält Chancen in Schweizer Restaurants und weiß diese zu nutzen. Fast ein wenig demütig bekennt er sich im Podcast auf seinem Weg häufig Glück gehabt und die richtigen Leute getroffen zu haben. Vor allem aber war er mutig und hat seiner kreativen Vision Raum gegeben.

 

Er kommt in die USA, zunächst nach San Francisco, dann nach New York. Im Eleven Madison Park wird er erst Koch, dann Mitinhaber, fast ein wenig subtil beginnt er, das Menü zu verändern. Er erkocht drei Michelin Sterne, vier Sterne der New York Times, schließlich wird das Eleven Madison Park zum weltbesten Restaurant gekürt.

 

Daniel Humm wird Alleininhaber des „EMP“– nur kurze Zeit darauf zwingt Covid-19 die Gastronomie in die Knie. Das Restaurant schließt und als die Pandemie anhält, muss er fast alle Mitarbeiter:innen entlassen, viele stammten aus dem Ausland und können nicht in den USA bleiben.

 

Mit einem winzigen Mitarbeiter:innenstamm kommt Daniel Humm kurz nach Pandemiebeginn wieder im Restaurant zusammen, mit einer Idee, wie er der Gesellschaft etwas zurückgeben kann. Im April startet das Spitzenrestaurant eine Partnerschaft mit der New Yorker Non-Profit Organisation Rethink und wird zur Suppenküche. Bis heute wurden über eine Million Essen für bedürftige New Yorker ausgegeben. Auch zukünftig soll gesellschaftliche Verantwortung übernommen werden. Mit jedem Menü im neu eröffneten Restaurant werden fünf Mahlzeiten an New Yorker Menschen in Not finanziert. Die ganz neue Art des Kochens und die Krise, deren Ausgang so ungewiss erscheint, veränderte Humms Sicht auf sich selbst, auf die Welt und den Einfluss, den er vielleicht ausüben könnte. Es entsteht der Gedanke einen radikalen Umbruch zu wagen.

 

Die Wende zum komplett veganen Konzept (nur zum Kaffee soll noch herkömmliche Milch serviert werden) birgt Risiken, die auch Daniel Humm deutlich bewusst sind. Er spricht von schaflosen Nächten und Zweifeln, ob das neue kulinarische Konzept angenommen wird. Und gleichzeitig ist er überzeugt: das Risiko es auszuprobieren ist es wert.

 

Der ursprüngliche Menüpreis von $335 pro Person bleibt unverändert. Die Kosten für die Zutaten würden zwar sinken, dafür sei die Zubereitung der neuen Kreationen deutlich aufwendiger. Inkludiert ist bereits das Trinkgeld, nicht jedoch die Spiritousen-Begleitung. Zweifelsfrei wird das 12-gängige Menü, über das bisher keine Details bekannt sind, an Kreativität kaum zu überbieten sein. Das glaubt auch der Guide Michelin, der Humm kurz nach der Ankündigung, vegan zu werden, erneut drei Sterne verlieh. Ein vielversprechendes Zeichen, ebenso, dass das Restaurant für Juni und Juli bereits komplett ausgebucht ist.

 

Humm ist nicht der erste Spitzenkoch mit der Vision, ein komplett fleischfreies Menü anzubieten. Bereits 2001 kündigte Alain Passard (Koch des Pariser Restaurants L’Arpège) an, kein Fleisch mehr zu servieren. Er war seiner Zeit voraus und obwohl der Fokus immer noch auf feinsten Gemüsekreationen liegt, nahm er in sein Menü wieder Geflügel und Fisch auf.

 

Ob Daniel Humm seinen einstigen Erfolg auf neuer Ebene langfristig fortführen kann, wird sich zeigen. Im Podcast erzählt er, dass ihn einst ein Zitat sehr beeindruckte, das er zu seinem eigenen Mantra machte. Life is a great adventure or nothing at all.

 

Als erstes die Vision, dann der Weg. Die Hamburgerin Sarah Wiebold war zehn Jahre Geschäftsführerin im familieneigenen Unternehmen. Anfang 2019 entschied sie sich mit ihrer Familie in die USA auszuwandern.

 

Mit Blick auf New York lernt sie nicht nur Land und Leute zu verstehen, sondern verwirklicht ihren Traum in Amerika ein Unternehmen zu gründen. Mit ihrer Chocolaterie Little Lotta Love will sie den US-Markt von europäischer Confiserie Kunst begeistern. Bei uns und auf ihrem Instagram Account ahoi.newyork schreibt sie über Traum und Wirklichkeit sowie Leben und Unternehmensgründung als Deutsche in Amerika.

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