Nadine Galandi

06. Mai 2024

4 Min. Lesedauer

„Als ich unterm LKW lag, wusste ich: Ich muss etwas ändern“

Nadine Galandi ist Unternehmensberaterin, arbeitet viel, schläft wenig, ist viel unterwegs. Bis sie einen Unfall hat und versteht: So kann es nicht weitergehen.
„Als ich unterm LKW lag, wusste ich: Ich muss etwas ändern“

Es war der abrupte Aufprall, der mich aus meinem Schlaf riss. Dichter Rauch ließ mich kurz darauf instinktiv aus dem Auto springen. Und dann stand ich dort. Mitten auf der Autobahn, umgeben von vorbeirauschenden Fahrzeugen, und mir wurde bewusst, was passiert war: Ich hatte die Kontrolle über mein Auto verloren und war unter einen LKW geraten. Weil ich vollkommen übermüdet war.

 

Zum Glück ist das Ganze für mich glimpflich ausgegangen. Trotzdem hat dieser Tag vieles verändert. Er war das Ergebnis meines Alltags: Überlange Arbeitszeiten, unzureichende Pausen und chronischer Schlafmangel waren normal. Trotz meiner körperlichen Fitness hatte ich meine Belastbarkeit überschätzt. Als ehemalige Spitzensportlerin war ich es gewohnt, an meine Grenzen zu gehen, doch hatte ich in den Monaten vor dem Unfall meine Selbstfürsorge sträflich vernachlässigt. Mein Leben drehte sich nur noch um die Arbeit, während für Treffen mit Freunden und Sport keine Zeit mehr blieb. Selbst in den wenigen Ruhephasen war erholsamer Schlaf ein Fremdwort.



Dauer-Stress macht immer mehr Menschen krank

Meine Erfahrung ist kein Einzelfall. Laut einer repräsentativen Studie der Pronova-Krankenkasse fühlen sich mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmenden als Burnout-gefährdet. Stress ist zunächst eine natürliche Reaktion unseres Körpers auf Herausforderungen, die uns hilft, Energie und Konzentration zu mobilisieren. Wird Stress zum Dauerzustand, kann er jedoch ernsthaft krank machen. Schlafmangel ist dabei ein typisches Problem. Auch ich selbst hatte viel zu wenig Schlaf und Erholung in mein Leben integriert.

 

Die Ursachen für Stress sind vielfältig und reichen von beruflichen Konflikten und ständiger Erreichbarkeit bis hin zu hohen persönlichen Ansprüchen. Oft unterschätzt wird die Belastung, die aus der Vernachlässigung eigener Bedürfnisse und Werte resultiert – sei es das Bedürfnis nach Bewegung, Zeit mit der Familie oder kreativen Aufgaben im Beruf. Mir fehlte mein Sport und mir fehlte die Zeit mit meiner Kamera. So oft hatte ich diese Bedürfnisse zurückgestellt und mich schon oft gefragt, ob meine Berufswahl überhaupt mir selbst und meinen Zielen entsprach.

 

 

Um wieder gesünder zu leben, muss ich nicht den Job wechseln

Der Weg aus der Stressspirale erfordert Mut und die Bereitschaft, gewohnte Verhaltensmuster zu hinterfragen und anzupassen. Nicht immer ist ein Jobwechsel die Lösung; so können bereits kleine Veränderungen im Berufsleben oder die Wiederaufnahme liebgewonnener Freizeitaktivitäten große Wirkung entfalten. Das Verstehen der eigenen Werte und Ziele ist hierbei ein notwendiger Schritt.

 

Mein eigener Weg aus dem Stress begann in dem Moment, in dem ich aus meinem Auto unter dem LKW herauskroch. Schritt für Schritt integrierte ich wieder Aktivitäten in mein Leben, die mir wichtig waren: Ich fing wieder an, regelmäßig zu rudern. Früh morgens auf der Alster dem Sonnenaufgang entgegenrudern, das ist der perfekte Kurzurlaub! Ich fotografiere wieder. Das Warten auf das perfekte Licht ist Entschleunigung pur. Und habe eine neue Herzensangelegenheit entdeckt: Nach intensiven Jahren der Ausbildung und des Lernens unterstütze ich heute als Coach und Beraterin Menschen und Unternehmen dabei, ihren Stresskreislauf zu durchbrechen. Es erfordert Mut, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Doch die Anstrengung lohnt sich!

 

 

Über die Gastautorin

Prof. Dr. Nadine Galandi (45) ist promovierte Chemikerin, Unternehmensberaterin und Coach. Sie unterstützt Unternehmen und Führungskräfte dabei, einen gesünderen Umgang mit Stress zu lernen und Erschöpfungszuständen wie Burnout vorzubeugen. Seit Kurzem hat sie außerdem eine Honorarprofessur an der Leuphana Universität in Lüneburg inne.

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