Interview I Mara Ridder ist Vice President Talent & Music, Central & Northern Europe bei MTV. Wir haben mit ihr über Diversity in der Musikbranche, ihre Karriere und die diesjährigen MTV EMA´s gesprochen.
STRIVE Redaktion
25. Oktober 2022
Keine Chancengleichheit für Frauen in der Musikbranche
Mara Ridder, Foto: Bernd Jaworek
Sie sind seit 25 Jahren bei MTV/Viva und haben damit jeden Umbruch der Musikindustrie miterlebt. Welche Zeit hat Sie am meisten geprägt?
Definitiv meine ersten Jahre bei VIVA in Köln. Wir schreiben das Jahr 1996: Ich war gerade mal 20 Jahre alt und hatte meinen ersten Job überhaupt, als Praktikantin im Musikmanagement bei VIVA. Meine Chefin und das ganze Team wurden von den Plattenfirmen umgarnt. Die Backstreet Boys, die ja ihre Karriere in Deutschland gestartet haben, sind bei uns im Büro ein- und ausgegangen, selbst als Praktikantin durfte ich Robbie Williams treffen und die VIVA-Events wie der VIVA Comet hatten ihre Hochzeit.
VIVA war wirklich ein Sprungbrett – und das nicht nur für die Moderator:innen. Ein junges Team mit wahnsinnig vielen Praktikant:innen konnte sich ausprobieren und einfach machen. Ich habe als Praktikantin z.B. das Music Programming für VIVA gemacht. Wenn ich mir das heute vorstelle, ist das schon ziemlich irre.
Wie haben sich die Einschaltquoten verändert, seitdem es YouTube gibt?
Wir hatten als MTV Deutschland ja erst einmal das große Glück, dass es anfänglich keine Einigung zwischen der GEMA und YouTube gab. Sprich: Überall auf der Welt konsumierte man plötzlich Musikvideos auf YouTube – nur bei uns ging das nicht.
Aber klar hatte YouTube einen massiven Einfluss auf MTV – positiv wie negativ. Auf einmal konnte jeder seine Lieblingsvideos jederzeit anschauen und musste nicht darauf warten, dass es irgendwann im Programm auf MTV lief und man zufällig genau dann einschaltet.
Insgesamt ist die TV-Nutzung, aber nicht nur bei MTV, in der jüngeren Zielgruppe deutlich zurückgegangen. Viele haben zu Hause noch nicht einmal mehr einen Fernseher.
Parallel gibt es allerdings einen klaren Trend zu kuratierten Musikinhalten. Sprich: wenn jede:r immer und überall die Wahl hat, seine oder ihre Songs und Videos aufzurufen, dann kann es auch schnell ein Overload sein. Und hier kommt wieder MTV ins Spiel: gut zusammengestellte Musikstunden und Musikformate, bei denen sich der oder die Zuschauer:in zurücklehnen kann, erfreuen sich wieder immer größerer Beliebtheit.
Wenn eine Show, wie die MTV EMA auf MTV in über 170 Ländern ausgestrahlt wird, ist das eine globale Reichweitenpower.
Wie reagiert MTV auf die fortschreitende Digitalisierung der Musikindustrie?
Bei uns kommen an der Stelle sogar zwei Welten zusammen: die Musikindustrie und die Medienunternehmen. Klar, wir haben keine Exklusivität mehr auf Musikvideoinhalte wie es bis ca. 2016 der Fall war. Dafür haben wir aber auch neue, digitale Verbreitungswege dazu gewonnen.
Wichtig ist, dass wir als MTV auf allen Plattformen eine Relevanz haben und entsprechend stattfinden müssen. MTV hat einen 360°-Approach: MTV ist auf Social, im TV, on the ground, im Web, auf Produkten – überall da, wo Konsument:innen auch sind. Nur so konnte MTV, im Gegensatz zu vielen anderen Marken in diesem Segment, auch den Schritt in das hier und heute machen.
Früher waren wir die Promo-Plattform, die Künstler:innen eine Verbreitungsmöglichkeit gab. Heute sind sie selbst die Multiplikator:innen und brauchen uns in der Hinsicht nicht mehr. Dafür können wir ihnen aber z.B. guten Content, mit MTV eine wertvolle Marke und durch unser weltweites Netzwerk Verbreitungsmöglichkeiten bieten, wie kein anderes es vergleichbar kann.
Warum hat TV immer noch eine Relevanz?
Wenn eine Show, wie die MTV EMA auf MTV in über 170 Ländern ausgestrahlt wird, ist das eine globale Reichweitenpower, die kein Streaminganbieter so einfach abbilden kann. Das ist für uns immer noch ein USP gegenüber anderen Musikmarken. Und man wird es kaum glauben: Viele coole und junge Artists fotografieren ihr Video ab, wenn es auf MTV läuft und posten dies dann über ihre Social-Media-Kanäle.
Frauen sind in der Musikbranche noch immer unterpräsentiert – und das völlig zu Unrecht.
Der diesjährige Schwerpunkt der MTV EMAs liegt auf dem Thema Diversity. Warum?
Diversity ist nicht nur in diesem Jahr ein Schwerpunkt für uns, sondern in allem was wir tun – und das nicht erst, seitdem das Thema gesellschaftlich und medial so stark in den Fokus gerückt ist. MTV hat in Deutschland schon sehr früh Moderator:innen eine Plattform gegeben, die es anderswo in der Medienwelt so nicht gab.
Trotzdem kann man nie genug dafür tun und es immer wieder in das Bewusstsein aller rufen. Eine Herzensangelegenheit ist mir das Thema Frauen in der Musikbranche. Frauen sind bei den Plattenfirmen, in der Veranstaltungsbranche und auch als performende Künstlerinnen noch immer unterpräsentiert – und das völlig zu Unrecht. Umso mehr freue ich mich, dass drei unseren fünf Nominees für den Best German Act in diesem Jahr Frauen sind.
Wie wird dieser Schwerpunkt auf der Bühne umgesetzt?
MTV ist bunt, vielfältig und international und setzt sich für Gruppen ein, die jede Unterstützung gebrauchen können. Wenn man z.B. an die EMA´s im vergangenen Jahr zurückdenkt: Wir hatten uns entschieden, das Event in Ungarn stattfinden zu lassen, obwohl (oder gerade weil!) die aktuelle Regierung sich u.a. mit der LGBTQIA+ Community – sagen wir es mal freundlich – schwer tut. Wir haben die EMA´s als die buntesten, lautesten und diversesten EMA´s of all times in dieses Land gebracht und somit auch der Community gezeigt, dass wir da sind und hinter ihnen stehen.
Dieses Mal sind die EMAs erstmalig seit 10 Jahren in Deutschland. Wie wichtig ist Deutschland in Sachen Music Business?
Deutschland ist immer noch der viertgrößte Musikmarkt und für MTV ist Deutschland daher eines der allerwichtigsten Länder. MTV in Deutschland ist stark und erfolgreich und das vor allem mit Musikinhalten. Deutschland ist außerdem der Markt, in dem die Marke MTV Unplugged am erfolgreichsten ist. Die EMA´s sind unsere Möglichkeit, die Marke MTV wieder in das Bewusstsein aller zu bringen. Und vielleicht auch den einen oder anderen dazu zu bringen mal den Sendersuchlauf zu starten.
Welche Deutschen Künstler:innen haben eine Chance auf eine internationale Karriere und wer ist im Ausland am bekanntesten?
Eines der größten Talente sind für mich Giant Rooks, die gerade auch für den Best German Act nominiert sind. International am erfolgreichsten sind zum einen unsere DJ-Riege mit Topic, Robin Schulz und Felix Jaehn. Und dann natürlich unsere etablierteren Artists wie Rammstein, Scorpions und Kraftwerk. Tatsächlich aber auch Milky Chance und vor allem Scooter!!!!
Welche Stars dürfen wir dieses Jahr bei den EMAs und der dazugehörigen Music Week erwarten?
Ach, das darf ich doch noch gar nicht erzählen – zumindest in Bezug auf die EMA´s. Bei der Music Week in der Woche zuvor haben wir ein ganz tolles und vielfältiges Programm. Unter anderem am Start sind: Alice Merton, Kontra K, Bryce Dessner (The National), Badmómzjay, Nina Chuba, Schmyt, Domiziana, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, Alle Farben, Drunken Masters, DJ Flashdance aka Jan Delay und viele viele mehr. Einfach mal vorbeischauen!