STRIVE Redaktion
20. Mai 2021
Kommt nach Corona die Inflation?
STRIVE+ Zeit frisst Geld. Was würde eine Inflation für meine Geldanlage bedeuten und wie kann ich mich schützen?
Bald dürfte er losgehen: der Komsumboom. Man muss kein/e Wirtschaftswissenschaftler:in sein, um zu prognostizieren, dass die Menschen, wenn Corona erst einmal überstanden ist, Nachholbedarf haben werden. Und zwar großen. Im Lockdown haben die Deutschen nämlich vor allem eins: gespart. Anders, als es der gefühlte Ansturm auf den E-Commerce und die Baumärkte hätten vermuten lassen. Geschlossene Geschäfte, Reisewarnungen und über sechs Millionen Kurzarbeiter:innen dürften Gründe dafür gewesen sein. Die Sparquote jedenfalls stieg in 2020 sprunghaft an auf 16,3 Prozent, das ist der höchste Wert aller Zeiten. Das ist Geld, das nach Corona wieder ausgegeben werden kann – und ausgegeben werden wird, weil wir so lange auf so vieles verzichten mussten. Vor allem aber ist das Geld, das ausgegeben werden muss. Damit unsere Wirtschaft wieder zum Laufen kommt.
Und wie immer, wenn die Deutschen über die Themen Sparen und Konsum nachdenken, kommt auch sie ins Spiel: die Inflation. Oder besser gesagt: die Angst vor ihr. Es gibt fast nichts, wovor sich die Deutschen mehr fürchten; eine Studie belegte vor einigen Jahren sogar, dass sie lediglich Pflegebedürftigkeit im Alter noch schrecklicher finden. Die Inflation hatte sogar tödliche Krankheiten und Terroranschläge getoppt.
Dazu kommt, dass auf den globalen Finanzmärkten derzeit beunruhigend viel Bewegung herrscht. Die Preise für Rohstoffe und Finanzwerte steigen. Edelmetalle wie Gold und Silber waren bis vor Kurzem als Absicherungsinstrumente gegen steigende Teuerungsraten gefragt. Der DAX überspringt erstmalig die 15.000-Punkte-Marke – und Krypto-Währungen erleben einen neuen Boom, den es in dieser Form nie gegeben hat. Selbst die deutschen Sparfüchse haben endlich verstanden, dass ihre Angst vor der Inflation und ein auf dem Girokonto geparktes Vermögen nicht zusammenpassen. 2020 haben sie so viel Geld in Aktien investiert wie nie zuvor.
Es brodelt also, gefühlt an allen Ecken. Obendrauf kommen in die Debatte geschossene Buzzwörter, die ihre Wirkung nicht verfehlen: Die Blase, die bald platzt. Der Crash, der demnächst kommt. Die Währungsreform, das ewige Damoklesschwert. Und eben die Inflation, die unser Geld auffrisst, wenn wir es nicht in Sicherheit bringen. Zurück bleibt Ratlosigkeit – und das Gefühl, JETZT handeln zu müssen.
Müssen sich Verbraucher:innen und Unternehmen tatsächlich auf ein neues Zeitalter der Inflation einstellen? Und zweitens: Wie lege ich mein Geld an, damit es vor der Inflation sicher ist?
Das muss man sortieren. Und sich dann um das Wichtigste zuerst kümmern. Ein Börsen-Bonmot besagt, an den Märkten werde die Zukunft gehandelt. Es drängen sich also zwei Fragen auf: Müssen sich Verbraucher und Unternehmen tatsächlich auf ein neues Zeitalter der Inflation einstellen? Und zweitens: Wie lege ich mein Geld an, damit es vor der Inflation sicher ist?
Was für eine Inflation spricht: Inflation bedeutet, dass die Preise steigen. Alles wird teurer. Zugegeben, die von Bundesbank-Chef Jens Weidmann prognostizierten drei Prozent Inflationsrate klingen erst einmal unangenehm. Aber es handelt sich um einen Durchschnittswert. Besonders stark steigen gerade die Preise für Energie – wenig überraschend, denn zu Beginn der Corona-Pandemie waren sie extrem gesunken. Im Frühjahr 2020 rutschte der Ölpreis an der New Yorker Börse sogar ins Negative. Der Käufer bekam also Geld dafür, dass er Erdöl kaufte. Verkehrte Welt. Dass die Preise wieder steigen, ist deshalb ein gutes Zeichen. „Unsere Wirtschaft wird sich nach dem Ende des Lockdowns rasch vom Corona-Schock erholen“, sagt die Professorin Lena Dräger, Direktorin des Instituts für Geld und Internationale Finanzwirtschaft der Universität Hannover. Hinzu kommt, dass seit Anfang 2021 wieder der normale Mehrwertsteuersatz fällig ist. Die Steuer war vergangenes Jahr gesenkt worden, damit die Leute in Kauflaune bleiben. Auch das führt zum Preisanstieg.
Zudem werden, wie eingangs beschrieben, die ersten Monate nach der „Durchimpfung“ der Gesellschaft davon geprägt sein, die Dinge nachzuholen, die uns so lange verwehrt blieben: Reisen, Restaurantbesuche, Friseur, Konzerte. Die Menschen werden ihr Geld gern in die Hand nehmen und mehr ausgeben. Wie viel mehr, weiß allerdings niemand. Gehen die Leute doppelt so oft ins Restaurant, wenn sie lange nicht durften? Buchen sie drei statt zwei Wochen Sommerurlaub, weil Skifahren ausgefallen ist? Es ist unklar, wie stark diese Nachholeffekte tatsächlich sein werden. Und damit auch der Grad der Inflation. Aber schon jetzt haben viele Friseure und Reiseveranstalter die Preise erhöht.
Professorin Dräger geht davon aus, dass der Konsumboom vorübergehend ist und sich der Anstieg des Preisniveaus danach normalisiert. „In den nächsten Jahren dürfte sich die Inflationsrate bei ca. zwei Prozent einpendeln“, sagt sie. Das ist auch die Zielmarke, die die Europäische Zentralbank für die Eurozone anstrebt. Denn bei diesem Wert, so die Vorstellung von Ökonom:innen, kann sich eine Wirtschaft entfalten, sprich: wachsen. In einigen Branchen können die Preise dann stärker als zwei Prozent steigen, in anderen fallen. Auch deshalb reden im Moment viele Expert:innen über das Thema. Denn seit der letzten Finanzkrise war die Inflation eigentlich zu niedrig. Es drohte eine Deflation, bei der die Preise im Durchschnitt fallen. Für Verbraucher:innen klingt das erst mal gut. Aber für den Wirtschaftskreislauf als Ganzes ist das gefährlich. Geringere Preise bedeuten geringere Margen und damit langfristig auch weniger Arbeitsplätze. Eine Abwärtsspirale beginnt. Deshalb haben die Zentralbanken seit der Finanzkrise so viel Geld in die Märkte gepumpt. Laut dem ökonomischen Lehrbuch sollte das die Inflation steigern, das hat aber nur mäßig gut funktioniert. Nun könnte sich die geldpolitische Welt also wieder normalisieren.
"Blockchains können die Welt verändern." - Elisa Spiess
Ist damit alles gut? Nicht ganz. Die Inflationsrate wäre bei knapp zwei Prozent zwar wieder auf Normalmaß – die Zinsen sind es aber keineswegs. Der Leitzins liegt weiter bei null Prozent und im Moment rechnet kaum jemand damit, dass er bald steigen wird. EZB-Chefin Christine Lagarde hatte bereits angedeutet, dass die Zentralbank zeitweise auch einen Preisanstieg von mehr als zwei Prozent tolerieren würde. Offenbar ist die Angst vor einer Deflation bei der Zentralbank immer noch größer als die Angst vor einer Inflation. Für Sparer:innen sind das keine guten Nachrichten. Ein Beispiel: Bei einer Inflation von 1,5 Prozent und einer Verzinsung von null halbiert sich das Vermögen nach 30 Jahren beinahe. Dann hat man vielleicht immer noch 100.000 Euro auf dem Konto, aber die Kaufkraft beträgt nur noch die Hälfte. Die Rechnung ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern entspricht der Situation der letzten Jahre.
Wer sein Vermögen sichern will, muss investieren
„Auf lange Sicht kann auch eine moderate Inflation viel Vermögen vernichten“, sagt Professor Hartwig Webersinke, Finanzwissenschaftler an der TH Aschaffenburg. Er empfiehlt deshalb, nur so viel Geld auf dem Girokonto zu lassen, wie man für absehbare Anschaffungen braucht und ansonsten in Sachwerte wie Aktien oder Immobilien zu investieren. Eine Rendite, ganz ohne Risiko – das gibt es zurzeit nicht.
Aber lohnt sich der Einstieg aktuell überhaupt? Die Preise für Häuser und Eigentumswohnungen erreichen vielerorts bereits schwindelerregende Höhen und auch die internationalen Börsen eilen von Rekord zu Rekord. Verrückt? „Nein“, sagt Webersinke. „Auf dem Aktienmarkt spielen Erwartungen die maßgebliche Rolle“, sagt er. Und die sind eben gut, meint er. Sobald sich die Lage wieder normalisiert, rechnen viele Unternehmen mit guten Geschäften. Die steigenden Preise spiegelten das wider.
Auch Edelmetalle wie Gold oder Silber sind Sachwerte – und in Zeiten steigender Inflation typischerweise stark nachgefragt. Aber das ändert sich vielleicht gerade. Stand der Goldpreis im Juli 2020 noch auf einem Allzeithoch, sinkt der Preis gerade wieder. Webersinke vermutet, dass eine neue Anlageklasse die Rolle der Edelmetalle übernommen hat: Kryptowährungen.
Die bekannteste Kryptowährung ist der Bitcoin. Er ist 2008 entstanden, vermutlich als Reaktion darauf, dass die Zentralbanken angefangen haben, die Märkte mit Geld zu fluten. So genau weiß das niemand, denn der Erfinder oder die Personengruppe um ihn herum, ist nur unter dem Pseudonym „Satoshi Nakamoto“ bekannt. Anders als beim Euro oder Dollar kann die Geldmenge des Bitcoins nicht beliebig ausgeweitet werden, weil sie durch einen Algorithmus festgeschrieben ist. Neue Kryptowährungen wie beispielsweise Ethereum, Uniswap oder Tether sprießen aus dem Boden. Längst gilt der Bitcoin mit der zwischenzeitlich geknackten Marke von 50.000 EUR pro Bitcoin nicht mehr als Geheimtipp. Elon Musk kaufte für 1,5 Mrd Dollar Bitcoins für Tesla und Paypal kündigte an, dass ihre US-Amerikanischen Kunden schon bald auch über ihren Zahlungsanbieter mit der Kryptowährung bezahlen können.
"Auf lange Sicht kann auch eine moderate Infltion viel Vermögen vernichten." - Hartwig Webersinke
Aber sollte man deshalb in Kryptowährungen investieren? Viel zu riskant, meint Webersinke. Er ist jedes Mal erstaunt, wenn er hört, dass jemand den Aktienmarkt wegen des großen Risikos meidet und stattdessen Bitcoins kaufen will. „Das ist wirklich absurd“, sagt er. Auch Katharina Lawrence von der Verbraucherzentrale Hessen sieht das so. In ihre Beratung kommen immer wieder Menschen, die auf dubiose Broker:innen im Internet hereingefallen sind. „Häufig wurden sie über soziale Netzwerke oder gute Freunde geködert“, sagt sie. Wollen sie das Geld ausgezahlt haben, ist der/die vermeintliche Broker:in nicht mehr zu erreichen, die Website gelöscht, das Geld verschwunden. Häufig sind Betrüger am Werk, die Facebookseiten duplizieren oder Mailadressen faken.
Solche Berichte kennt auch Elisa Spiess. Sie ist Gründerin der FemmeCapital GmbH, die Krypto-Workshops für Frauen anbietet. Dennoch hat sie eine andere Sichtweise auf das Thema. Sie glaubt, dass die neuartige Blockchain-Technologie, die dem Bitcoin zugrunde liegt, enormes Potenzial hat. „Blockchains können die Welt verändern“, sagt sie. Denn langfristig könnten sie Banken, Notenbanken und andere Institutionen, die heute sehr mächtig sind, überflüssig machen. Im Moment stünden wir aber noch ganz am Anfang dieser Entwicklung. Welche Blockchains die Welt erobern, ist noch gar nicht absehbar. Dass der Bitcoin zu einer echten Weltwährung werden könnte, hält sie aber für ausgeschlossen. Er sei technisch noch nicht genügend ausgereift dafür.
Aber es existierten längst Alternativen. Laut der Krypto-Börse Coinbase gibt es mittlerweile 8000 verschiedene Kryptowährungen. „Da ist allerdings auch viel Quatsch dabei“, sagt Elisa Spiess. Beispiel Dogecoin: Ein Australier erschuf vor ein paar Jahren aus Spaß seine eigene virtuelle Währung, indem er den Bitcoin-Code einfach kopierte. Als Logo verwendete er das Bild eines Hundes, der als Internet-Meme Bekanntheit erlangt hat. Ein Witz, mehr nicht. Allerdings ist der Witz inzwischen mehrere Milliarden Euro wert.
Wie kann ich investieren, wenn die Inflation steigt?
1. Aktien: Börsenkurse gehen rauf und runter. Das kann die Nerven arg strapazieren – und auch mal schiefgehen, zum Beispiel, wenn ein Unternehmen Insolvenz anmelden muss, wie man zuletzt beim DAX-Unternehmen Wirecard sehen konnte. Deshalb rät Verbraucherschützerin Lawrence, das Risiko zu streuen und beispielsweise in Aktienfonds oder ETFs statt in einzelne Titel zu investieren. Um Kursverluste, etwa durch Finanzkrisen, aussitzen zu können, sollte man auf das Geld in jedem Fall langfristig verzichten können, am besten mindestens zehn Jahre.
2. Immobilien: Für die meisten Menschen ist der Immobilienkauf eine einmalige und höchst persönliche Sache, weil es eine sehr große Investition ist. Ob das Haus oder die Eigentumswohnung mit der Zeit an Wert gewinnt, ist von vielen Faktoren wie Lage, Zinsniveau und auch gesetzlichen Regelungen abhängig. Wer mit weniger Kapital am Immobilienmarkt teilhaben will, kann Anteile an Immobilienfonds erwerben oder über Crowdinvesting Plattformen in Immobilienprojekte investieren. Diese Varianten gelten als risikoärmere Geldanlage mit weniger Kurssprung-Potential, sprich geringeren Renditen. Allerdings gibt es auch hier vereinzelnd Totalverluste.
3. Edelmetalle: Wenn mein Geld auf der Bank an Wert verliert, kann ich mir auch gleich Gold in den Tresor legen. So dachten in der Vergangenheit viele Menschen. Das Edelmetall ist in Inflationszeiten typischerweise stark nachgefragt. Entweder physisch als Barren und Münzen oder in Form von Wertpapieren, die zum Beispiel den Goldpreis nachbilden. Ähnlich läuft es bei Öl und Silber. Das sind bekannte Assetklassen mit reellem Gegenwert. Es gilt aber wie bei allen anderen Investitionen: Die Mischung macht‘s. Gold kann einem Portfolio beigemischt werden; ob der Preis weiter steigen wird, ist allerdings höchst fraglich.
4. Kryptowährungen: Das wichtigste, was man über Krypto-Währungen wissen muss: Es existiert kein greifbarer Sachwert. Es gibt keine Goldmünze, kein Haus oder keinen Unternehmenswert, der als Sicherheit dient. Der Handel ist also reine Spekulation und in großen Teilen eine Wette. Hinzu kommt, dass man in diese digitalen Währungen nur an den relativ neuen Krypto-Börsen wie Coinbase oder Kraken kaufen kann. Nur wenige traditionelle Banken bieten Investitionen in Kryptowährungen an, wie etwa die Börse Stuttgart mit ihrer Bison App.
Das Besondere bei Bitcoin: Bei den beiden größeren Währungen Bitcoin und Ethereum stehen die Community und ihr Kapital hinter den Währungen. Sie sehen Bitcoin z.B. als Wertespeicher an und wehren immer wieder Angriffe auf die Währung ab.
Investieren sollte man eher mit „Spielgeld“ – und sich innerlich von dem Geld verabschieden, denn es könnte alles weg sein. Die kleineren Währungen und ihr spezifischen Marktgegebenheiten gelten als reine Zockerei; vor allem Anfänger sollten lieber die Finger davonlassen.