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Bis zum letzten Atemzug

STRIVE+ Kurzfristig haben wir Beate Sander, Aktienmillionärin und bekannt als „Börsen-Oma“, für ein Interview angefragt. Ihre Antwort kam prompt: Sie habe nur noch heute Zeit für ein Gespräch. Ihre Krebstumore sorgten für ein fortschreitendes Organversagen. Fünf Tage nach unserem Gespräch ist Beate Sander gestorben. Hier gibt sie ein letztes Mal Tipps rund um den Aktienhandel.


Seit November 2017 ist Müller Vorsitzende der Geschäftsführung von Douglas.
Beate Sander, die „Börsen-Oma“ (Bild: Nina Wellstein)

„Ich weiß wirklich nicht, ob ich den heutigen Tag überleben werde.“ Beate Sander sagt dies ohne Umschweife, ohne viel Aufhebens und mit einer Selbstverständlichkeit, als handele es sich um einen Zahnarzttermin und nicht um ihren nahen Tod, von dem sie da spricht. Dieser Satz wirkt wie eine Kopfnuss. Er trifft hart und in seiner Deutlichkeit völlig unvorbereitet. Vom Tod spricht man nicht. Genauso wenig wie über Geld. Doch mit solchen Konventionen hat sich Beate Sander nie aufgehalten. Damit wird sie jetzt, an ihren letzten Tagen, nicht mehr anfangen. „Ich bin kein Mensch, der um den heißen Brei herumredet. Ich tue nicht so, als ob das eine Grippe wäre. Wenn man so ein schweres Leben als Kind hatte wie ich, wenn man diszipliniert ist und sich erreichbare Ziele setzt, dann lernt man vernünftig zu klagen und dann kann man auch mit ungewohnten Situationen gut zurechtkommen. Mit meinem Tod kann ich mit 82 Jahren, auf dem Gipfel meines Erfolgs, locker umgehen.“ Warum sie jetzt noch Interviews gibt? Sie will jeden ihr bleibenden Moment sinnvoll nutzen. „Bis zum letzten Atemzug kämpfe ich für Frauen und für ihre Kapitalvermehrung.“ Beate Sander ist unbequem. Von Altersmilde keine Spur. Dieses Gespräch wird kein gemütliches.


Beate Sander klingt nicht wie eine Sterbende. Im Gegenteil: Ihre Stimme ist kraftvoll und lässt erahnen, wie bestimmt und unnachgiebig sie ihr Leben lang war - mit sich selbst vor allem. Vielleicht auch mit ihren Mitmenschen, ihren Schülern.


Ihre Mutter habe sie nie leiden können, erzählt sie in Interviews. Weil sie nicht so gewesen sei, wie Mädchen damals zu sein hatten. Weder interessierte sie sich für Mode, was bis zu ihrem Tod so bleiben sollte, noch hatte sie großes Interesse, sich einen Mann zu angeln. Lieber boxte sie mit ihnen und spielte Fußball. Ihre Familie sei früher sehr reich gewesen. Im Krieg ging dann alles verloren. Beate Sander wurde Realschullehrerin, heiratete doch, bekam zwei Kinder und führte, so klingt es, ein gutes Leben - allerdings ohne große Sprünge machen zu können.

Beate Sanders Stimme war kraftvoll, unbequem und unnachgiebig.
Beate Sander (Foto: Nina Wellstein)

Erst mit 59 Jahren, als ihre Kinder auf eigenen Beinen standen und sie etwas Geld gespart hatte, kaufte sie ihre erste Aktie von der Deutschen Telekom. Ein Papier, das für seine Volatilität reichlich verspottet worden ist: „Mal ist sie hoch, mal ist sie niedrig. Wie der Arsch vom alten Friedrich“, zitiert sie die Spötter von damals gern. Bis zuletzt hält die Autorin von Bestsellern wie „Der Börsenführerschein“ Aktien des Telekommunikationsunternehmens in ihrem Portfolio. Minus gemacht habe sie mit dieser Aktie nie. „Ist zwar kein Rennpferd. Die Kurse sind nicht doll. Aber man bekommt eine anständige, steuerfreie Dividende heraus.“


„Wer sich von so idiotisch hohen Kursen beeinflussen lässt, ist selbst schuld.“ - Beate Sander

Ein Fall wie Wirecard, bei dem zahlreiche Aktionäre um Geld betrogen worden sind, hält sie für Anlegerfehler. „Wer sich von so idiotisch hohen Kursen beeinflussen lässt, ist selbst schuld.“ Sie ist rigoros in ihren Aussagen. Diplomatie wird im Alter überflüssig. Wem sollte man es noch recht machen müssen? Die Frage, ob Fälle wie Nikola Vorboten einer drohenden Blase seien, wischt sie verärgert weg. Insbesondere Nikola habe nichts mit einer Blase zu tun, sondern schlichtweg mit miserablen Aktienanlagen. „Warum investieren die Leute in so eine Firma? Warum nicht in PowerCell oder in Linde, die als drittes Geschäftsfeld auch Wasserstoff haben?“ Die Anleger hätten hier versagt und ihr Geld für Blödsinn ausgegeben. Anstatt Bilanzen zu lesen, seien sie auf schlechte Tricks hereingefallen, so das vernichtende Urteil.


Wenn man wissen möchte, wie sie eigentlich zum Börsenhandel gekommen ist, der bekommt eine sehr knappe und etwas ruppige Antwort. Sie habe Schulbücher geschrieben. Und dann investiere man eben, sobald es geht. Beate Sander sagt das so, als verstünde sie die Frage nicht. Als wäre privater Aktienhandel ein Naturgesetz. Ein Leben ohne Börse? Für Sander wäre das wahrscheinlich ein Leben ohne Sinn. Die etwas ausführlichere Erklärung für ihren Aktieneinstieg lautet so: Beate Sander leitete an ihrer Schule eine Börsen-AG und stellte fest, dass es keine guten Schulbücher gab. Also schrieb sie kurzentschlossen selbst eins, das prompt zum Bestseller wurde. Danach schrieb sie weitere Bücher, unzählige Kolumnen und knackte mit 75 Jahren ihre erste Million an der Börse.


Anfangen in Aktien zu investieren sollte man so früh wie möglich. Aber spät sei besser als nie, sagt sie. Das Geld auf dem Sparbuch zu lassen, sei grober Unsinn. Das Sparbuch gaukele eine Sicherheit vor, die in Wirklichkeit nicht existiere. Der Kaufkraftverlust dagegen sei real. „Man sieht es dem Geld nicht an. Man sieht nicht, dass es mit der Zeit weniger wert ist, denn der Betrag bleibt derselbe. Wer heute nicht in Aktien investiert, hat bereits verloren.“, sagt sie eindringlich.

Von pauschalen Investment-Tipps für Anfänger hält sie derweil gar nichts. „Die Leute müssen nach ihrem individuellen Situation ausgerichtet starten.“ Wenn man verhältnismäßig wenig Geld hat, weniger als 10 Tausend Euro Kapital, dann rät sie zu Sparplänen mit ETF’s. Das sind fondsgebundene Aktienkörbe, die dem Kursverlauf großer Indices wie dem Dax entsprechen und daher breit gestreut sind und somit geringeren Risiken ausgesetzt sind.


„Niemals auf Einzelaktien setzen, schon gar nicht, wenn das Kapitalvolumen noch gering ist.“ So lautet der erste Grundsatz ihrer Hoch-Tief-Mut-Strategie: „Breit gestreut, nie bereut“. Beate Sander hält nichts von kurzfristigen Spekulationen. Sie habe immer nur das gekauft, was sie langfristig behalten wollte. Aktien abgestoßen habe sie immer nur zu Höchstpreisen mit mehr als 100 Prozent Gewinn und auch dann habe sie immer nur Teilverkäufe getätigt. „Kein Fluch, sondern Segen: langfristig anlegen“, lautet ihr zweiter Grundsatz.


Beate Sander hat knapp drei Millionen Euro an der Börse verdient. Durch die Corona-Krise hat sie zwischenzeitlich 500 Tausend Euro verloren, die sie in wenigen Monaten wieder zurückgeholt hatte. Wichtig, nicht nur in Krisenzeiten, sei es, Ruhe zu bewahren und besonnen zu bleiben. So lautet der dritte Grundsatz von Sanders Strategie: meide die gefährlichen Vier: Euphorie, Panik, Angst und Gier. Sie plädiert für eine antizyklische Anlagestrategie, das heißt zu niedrigen Kursen ab mindestens 1.000 Euro einzusteigen und rät damit zum genauen Gegenteil dessen, was Anlagestrategen sonst oftmals propagieren. Investieren sollte man generell nur Geld, auf das man notfalls verzichten könnte.

Tina Müller
Beate Sander mit ihrem Buch "Der Aktien- und Börsenführerschein" (Bild: Nina Wellstein)

Zu den Aktien, die von Sander als solide und zuverlässig eingestuft werden, sogenannte „ewige Aktien“ gehören Adidas, Allianz, SAP oder die Münchner Rück, sowie die großen US-Amerikanischen und chinesischen Tech-Konzerne wie Alphabet, Amazon, Apple, Tencent oder Alibaba. Reich wird man durch diese Firmen in der Regel wohl nicht mehr, aber sie schütten nach Sander „vernünftige Dividenden“ aus. Als wichtigen neuen Markt, neben den Bereichen KI, Robotics und Health, sieht sie den Bereich Sustainability.


„Ich beschränke mich auf Unternehmen, die die schlimmsten Sünden unterlassen und glaube ansonsten den Analysen und Bilanzen. Ich bin nicht päpstlicher als der Papst.“ - Beate Sander

Um diese Thematik dreht sich ihr neuestes Buch „Gutes Gewissen und dennoch erfolgreich“, das noch kurz vor ihrem Tod erschienen ist. Die Frage, inwiefern Anleger „Greenwashing“ erkennen könnten, beantwortet sie mit ihrer mittlerweile gewohnt deutlichen Art: „Ich beschränke mich auf Unternehmen, die die schlimmsten Sünden unterlassen und glaube ansonsten den Analysen und Bilanzen. Ich bin nicht päpstlicher als der Papst.“


Nein, das ist Beate Sander wirklich nicht gewesen. Sie war gnadenlos direkt und entwaffnend ehrlich. Mit der Börse, mit Anlegern, aber auch mit sich selbst. Eine Frau, die unter Schmerzen und kurz vor ihrem Tod noch daran dachte, Menschen und vor allem Frauen an die Börse zu bringen. Vielleicht sollten wir ihr den Gefallen tun und es mit unseren individuellen Mitteln und Möglichkeiten zumindest versuchen.

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