Dr. Sophie Pollok

30. März 2021

8 Min. Lesedauer

Warum Vorständ:innen in Deutschland kein Vorbild sein können

Am 11. Februar 2021 schrieb die 31-Jährige Whitney Wolfe Herd Geschichte und sorgte dafür, dass ein Bild um die Welt ging, das für Millionen Frauen eine unglaubliche Strahlkraft entwickelt hat. Wolfe Herd brachte nicht nur ihr Unternehmen „Bumble“ an die amerikanische Tech-Börse NASDAQ und wurde damit zur jüngsten self-made Milliardärin der Geschichte der USA, sie feierten den historischen Moment auch mit ihrem einjährigen Sohn auf dem Arm. Eine Multi-Billion Dollar CEO mit einem Baby auf dem Arm – dieses Bild verbreitete sich viral und sorgte auch in Deutschland für viel Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt, weil wir auf solche Aufnahmen noch lange warten müssen, jedenfalls wenn es nach der aktuellen Rechtslage geht.

Dabei wird der Stereotyp des deutschen Vorstandsmitgliedes – männlich, Ü50, die Familienplanung längst abgeschlossen – auch hierzulande langsam aber dennoch zunehmend aufgebrochen. Rechnet man die bereits für dieses Jahr beschlossenen und bekannt gegebenen Neubesetzungen von Vorstandsposten mit Frauen hinzu, beträgt der Frauenanteil im Dax 16,9 % – die größte jährliche Steigerung innerhalb der letzten zehn Jahre. Und auch die kürzlich beschlossene Frauenquote soll dafür sorgen, dass deutsche Vorstandsetagen weiblicher werden. Zudem gehen in Deutschland vermehrt junge Technologieunternehmen an die Börse.

Warum Vorständ:innen in Deutschland kein Vorbild sein können

Das kann für die oftmals verhältnismäßig jungen Gründer den Fast-Track in Richtung Vorstand eines börsennotierten Unternehmens bedeuten. Daneben sorgen gezielte Förderprogramme in Konzernen dafür, dass Karriereleitern schneller erklommen werden können. Dadurch nehmen immer mehr junge Frauen und Männer Posten in Leitungs- oder Kontrollgremien ein, nichts ahnend, dass ein Vorstandsmandat eine rechtliche Fesselung hinsichtlich zeitgemäßer Familienambitionen bedeutet.

 

Dabei möchte gerade diese Generation mit veralteten Rollenbildern und gläsernen Decken brechen. Die junge Generation weiblicher und männlicher CEOs und Vorstände will sich partnerschaftlich zu Hause stärker einbringen und kein dauerabwesendes Familienmitglied alter Prägung mehr sein. Zudem wissen viele aus eigener Erfahrung, welchen Mehrwert divers besetzte (Führungs-)Teams mit sich bringen. Das hört auch mit dem Gang auf das Frankfurter Parkett nicht auf.

 

Wäre da nur nicht das Problem mit der Vereinbarkeit: Weibliche und männliche Vorstandsmitglieder sind nach dem deutschen Recht keine Arbeitnehmer. Sie haben somit keinen Anspruch auf beispielsweise Mutterschutz oder Elternzeit. Das Aktiengesetz, das die Rechte und Pflichten von Vorstandsmitgliedern regelt, kennt keine entsprechenden Mandatspausen.

 

Kann ein Vorstandsmitglied seine Aufgabe aufgrund der Geburt eines Kindes oder längerfristiger Krankheit nicht wahrnehmen, gibt es nach aktueller Rechtslage keine Möglichkeit einer vorübergehenden Befreiung von den Vorstandspflichten. Zwar können Aufsichtsrat und Vorstand einvernehmlich eine sogenannte Dienstbefreiung vereinbaren, gleichwohl wird das betroffene Vorstandsmitglied für diese Zeit nicht von seiner Haftung befreit. Das „pausierende“ Mitglied trifft nach dem Aktienrecht weiterhin eine Überwachungspflicht.

 

Will ein Vorstandsmitglied einer zivilrechtlichen Haftung sowie ggf. auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit, z.B. wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, entgehen, bleibt nur die Niederlegung des Amtes. Ist das Vorstandsmandat einmal niedergelegt, gibt es kein Rückkehrrecht. Das betroffene Vorstandsmitglied ist auf die Gunst des Aufsichtsrates angewiesen, um nach einer Pause wieder auf seinen Posten berufen zu werden. Dieser Weg kann sich als Sackgasse erweisen.

 

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Vorstandsmitglieder in der Praxis lieber die bestehenden Haftungsrisiken in Kauf nehmen als ihr Mandat niederzulegen - und dieses Risiko nur in absoluten Ausnahmefällen eingehen.

 

Dass die Problematik sich bis jetzt unterhalb des Radars der öffentlichen Wahrnehmung bewegte hat jedoch noch einen weiteren Grund: Um nicht als vermeintliche Schwächen wahrgenommen zu werden, werden Schwangerschaften oder längerfristige Krankheiten von Vorstandsmitgliedern in der externen Unternehmenskommunikation häufig unter den Tisch gekehrt und beispielsweise als Sabbatical getarnt. Wir haben somit nicht nur rechtlich, sondern auch kommunikativ noch einen langen Weg vor uns. In den goldenen Türmen deutscher Vorstandsetagen ist zurzeit noch kein (rechtlich abgesicherter) Platz für die menschlichen Themen der Konzernlenker.

 

Die Initiative #stayonboard will das deutsche Dilemma des familienfeindlichen Vorstandsrechts ändern. Seit März 2020 fordern die InitiatorInnen ein Recht für Vorstandsmitglieder, ihr Amt bei längerfristiger Abwesenheit aufgrund der Geburt eines Kindes, Elternzeit, längerfristiger Krankheit oder Pflege von Angehörigen temporär ruhen lassen zu können, ohne persönlichen Haftungsrisiken ausgesetzt zu sein.

 

Bei dem konkreten Vorschlag zur Gesetzesänderung werden auch die besondere Verantwortung eines Vorstandsmitgliedes sowie die Interessen der Unternehmen berücksichtigt, unter anderem indem die Auszeit auf eine gesetzlich festgelegte Höchstdauer von maximal sechs Monaten begrenzt sein soll. Ein wesentlicher Punkt, den die Initiative fordert, ist, dass das Mandat im Anschluss an die Ruhezeit automatisch wiederaufleben soll. Das gibt dem Vorstandsmitglied und dem Unternehmen die erforderliche Planungssicherheit. Daneben sollen konkrete Ausnahmesituationen definiert werden, die sicherstellen, dass ein Vorstandsmitglied ein Ruhenlassen nicht verlangen kann, wenn diesem gewichtige Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen.

 

Durch die Einschränkungen wird deutlich, dass es nicht das Ziel ist Vorstandsmitgliedern die gleichen, weitreichenden Rechte wie Arbeitnehmer:innen einzuräumen. Vielmehr soll ihnen ein mit der besonderen Verantwortung ihrer Position im Einklang stehender Weg ermöglicht werden, Familie und Beruf vereinbaren zu können.

 

Der Vorstoß von #stayonboard ist auf breite Unterstützung aus der Wirtschaft gestoßen. Unternehmer:innen wie etwa Dieter Zetsche (ehemaliger Vorstandsvorsitzender Daimler AG), Tina Müller (CEO Douglas Group) und Dr. Sigrid Nikutta (Vorstand Güterverkehr Deutsche Bahn AG) bekannten sich als offizielle Unterstützer zu der Initiative, deren Forderungen auch von der Politik aufgegriffen wurden.

 

Nach parteiübergreifender Zustimmung zum Vorhabens wurde am 1. März 2021 ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums veröffentlicht, der einen ersten Vorschlag für eine entsprechende Regelung enthält. Das Papier, das derzeit die regierungsinterne Ressortabstimmung durchläuft, geht den Intiator:innen und Unterstützer:innen von #stayonboard jedoch nicht weit genug, denn es enthält eine wesentliche Einschränkung: Die Entscheidung über die Gewährung einer Auszeit sowie die erneute Bestellung nach der Ruhezeit obliegen demnach dem freien Ermessen des Aufsichtsrates. Ein gesetzlicher Rechtsanspruch auf eine familien- oder krankheitsbedingte Auszeit bestünde für das Vorstandsmitglied nicht.

 

Somit ist die Hürde für die Inanspruchnahme dieser Kann-Lösung nach wie vor hoch und es ist fraglich, ob sie zu einer tatsächlichen Verbesserung der Lage führen würde. Durch die genannten Einschränkungen und die damit für das Vorstandsmitglied verbundene Unsicherheit ist davon auszugehen, dass von der im Referentenentwurf formulierten Regelung nur in absoluten Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden würde. Ziel des Gesetzes sollte es jedoch sein, männlichen und weiblichen Vorstandsmitgliedern durch eine entsprechende Formulierung die erforderliche Sicherheit zu geben, sich auch außerhalb absoluter Härtefälle in den genannten Situationen eine familienbedingte Auszeit nehmen zu können. Nur so können wir den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer selbstverständlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in die Führungsetagen tragen.

 

Auch aus den Reihen der Politik wurde bemängelt, dass die vom Bundejustizministerium vorgeschlagene Regelung durch die vagen Formulierungen einer Worthülse gleicht. In den weiteren Abstimmungen des Gesetzesentwurfs mit den Ministerien soll die Regelung nun insbesondere durch das Einfügen eines Rechtsanspruches auf eine entsprechende Ruhezeit nachgeschärft werden. Somit könnte noch in dieser Legislaturperiode ein starkes Zeichen für die Modernisierung des Aktienrechts gesetzt werden.

 

In unser nach Gleichstellung strebenden Gesellschaft ist es längst überfällig, dass wir die rechtliche Grundlage dafür schaffen, dass es in Führungspositionen als selbstverständliches Recht beider Elternteile angesehen wird, sich für einen bestimmten Zeitraum um die Familie kümmern zu können. Die Botschaft, die dadurch vermittelt wird, ist das, woran es in der öffentlichen Wahrnehmung und den gelebten Unternehmenskulturen noch mangelt: Es ist auch als Vorstandsmitglied möglich, für einen vorübergehenden Zeitraum von der Verantwortung zurückzutreten, um sich um seine Familie zu kümmern ohne um sein Amt oder Ansehen fürchten zu müssen. Denn eine privat bedingte Auszeit darf nicht mehr mit Schwäche oder mangelndem Verantwortungsgefühl konnotiert werden.

Wenn wir es wirklich ernst meinen mit dem Wunsch nach Gleichstellung, wenn wir in Zukunft mehr Frauen in deutschen Vorstandsetagen und mehr Männer als Vorbilder für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehen wollen, müssen wir die Gesetzeslage entsprechend anpassen. Damit auch VorständInnen zu wahren Vorbildern werden können.

 

Über die Autorin

Dr. Sophie Pollok ist Rechtsanwältin und Unternehmerin. Sie hat für eine internationale Wirtschaftskanzlei Investoren, Fonds und Startups bei Venture Capital und M&A Transaktionen beraten, bevor sie 2019 ihr eigenes Beratungsunternehmen gründete. Zudem ist Dr. Sophie Pollok General Counsel von Choco.

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